Seit Jahren diskutiert Deutschland über die Digitalisierung. Fortschritte sind nicht überall erkennbar. Woran das liegt und was sich ändern muss, haben wir mit Panos Meyer im Interview besprochen.
Panos Meyer ist Mitglied der Geschäftsleitung der Digital-Agentur Cellular. Bei seiner Arbeit setzt er sich Tag für Tag mit den Hindernissen und Herausforderungen der Digitalisierung auseinander.
Sein Vorteil: Im Gegensatz zu anderen Gründern und Geschäftsführern ist er bereits mit einem eigenen Unternehmen gescheitert. Was er daraus gelernt und wie damit die deutsche Gründerkultur zusammenhängt, verrät er im Interview.
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BASIC thinking: Panos, seit Ewigkeiten diskutiert Deutschland über die Digitalisierung. Trotzdem geht gefühlt nichts voran. Täuscht der Eindruck?
Panos Meyer: Ich kann verstehen, dass man glaubt, dass nichts voran geht. Es gibt im Markt drei verschiedene Unternehmensgruppen. Es gibt die Gruppe der Unternehmen, die schon früh die Zeichen erkannt und die Weichen gestellt haben. Ein Beispiel wäre für mich Mercedes. Es gibt sie also durchaus – die Beispiele von früher und guter Digitalisierung.
Dann gibt es die Unternehmen, die vor ein, zwei Jahren begonnen und erste Erfahrungen gesammelt haben und sich mittendrin befinden. Dort entsteht manchmal der Eindruck, dass sie jetzt schon fertig sind.
Zum Schluss gibt es noch die große Masse der Unternehmen, die noch nicht begonnen haben und auch nicht glauben, dass sie betroffen sind. Insgesamt gebe ich dir aber Recht, dass wir in Deutschland zu langsam und zu ängstlich sind. Vielleicht ist auch unser Anspruch nicht hoch genug.
Viele Unternehmen glauben, dass sie fertig sind, wenn sie eine App haben. Aber eine App macht noch lange keine Digitalisierung. Es ist viel Arbeit, den Unternehmen zu vermitteln, dass es um tiefgreifende Prozesse, Geschäftsstrukturen, Fähigkeiten der Mitarbeiter und Kundenerlebnisse geht. Das ist schwierig und dauert lange. Deshalb entsteht der Eindruck, dass nichts voran geht. Dabei läuft aktuell im Hintergrund sehr viel, von dem man hoffentlich bald auch viel sehen und spüren wird.
Du selbst hast lange bei Twitter gearbeitet. Sind US-amerikanische Unternehmen schon weiter?
Auch da muss ich sagen: Ja und nein. Es gibt natürlich viele Vorzeigeunternehmen. Da würde ich auch Twitter dazu rechnen. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da gab es alle drei Monate neue Produkte und Funktionen. Man war sehr, sehr schnell und innovativ.
Aber es gibt in den USA genauso Unternehmen, die den Trend vollkommen verschlafen haben. Es reicht schon, wenn man sich Giganten wie Bestbuy oder Walmart anschaut, die viel zu spät begonnen haben und jetzt mit Hochdruck daran arbeiten, ihren immer größer werdenden Rückstand aufzuholen. Das digitale Gras ist auch in den USA nicht grüner.
Hast du Unterschiede in deiner täglichen Arbeit bemerkt?
Das auf jeden Fall. Wenn du bei Twitter Deutschland mit VW oder Audi sprichst, landest du in der PR-Abteilung, weil das Thema dort aufgehängt ist. Die Kollegen in den USA hatten sofort C-Level-Zugang. Daran kann man mit Sicherheit auch ablesen, dass sie offener für Digitalisierung sind.
Wo muss man deiner Meinung nach Digitalisierung in einem Organigramm aufgehängen?
Es ist ganz klar ein Top-Down-Thema. Wenn es von oben nicht vorgelebt wird, hat es keine Chance. Und wenn es in irgendeiner Fachabteilung aufgehängt ist, ist es ein Projekt von vielen. Genauso wird es dann auch behandelt. Wenn in einer Kommunikationsabteilung eine App entwickelt wird, hat das nichts mit dem Unternehmen zu tun.
Die Digitalisierung muss sich ständig verändern und hinterfragen. Das geht nur, wenn das Management das Thema vorantreibt. Stellt man beim Hinterfragen fest, dass es Schwachstellen gibt, kommt schnell das Thema Budgets auf. Digitalisierung kostet Geld. Die Budget-Verantwortung liegt natürlich in der Regel beim Management. Deswegen fängt die Arbeit im Kopf des Geschäftsführers an.
Glaubst du, dass da junge Gründer schon weiter sind?
Wenn du neu anfängst, startest du auf der grünen Wiese. Du hast keine bestehenden Prozesse, Abteilungen und Verträge. Es ist für Tesla wesentlich leichter, ein neues Händlernetz aufzubauen als für VW, das bereits Tausende existierende Partner hat. Deswegen glaube ich, dass es ein neues Unternehmen einfacher hat. Dem gegenüber stehen natürlich Erfahrung und Know-how. Das sieht man auch schön bei Tesla.
Ein häufig bemängeltes Problem der Deutschen ist, dass wir unsere Erfolge nicht feiern und Angst vor Kopierern haben. Warum ist das so?
Die Angst vor Kopierern habe ich auch kennengelernt. Ich kenne viele Gründer, die nicht über ihre Ideen sprechen. Ich bin da grundsätzlich anders vorgegangen und habe mit möglichst vielen Menschen über meine Projekte gesprochen. Dass ein gesamtes Konzept gestohlen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Außerdem erhältst du nur durch Offenheit auch Feedback.
Aber sicherlich sind Neid und Missgunst in Deutschland immer ein Thema. Es kann sein, dass das die Kehrseite unserer leistungsorientierten Gesellschaft ist. Niemand gönnt jemandem etwas, weil man es selbst nicht erreicht hat.
Zuletzt ist Erfolg auch ein echt großes Wort. Vielleicht muss man auch mehr darüber reden, was das eigentlich ist. Ist ein Erfolg ein Exit, viele Mitarbeiter, tolle Standorte oder viel Umsatz? Die Start-up-Presse feiert die Unternehmen auch zu sehr. Es gibt wenig kritische Berichterstattung. Und wenn ein wirtschaftlich unprofitables Unternehmen übermäßig gelobt wird, ist das natürlich Wasser auf den Mühlen der Kritiker. Das habe ich damals auch bei meinem eigenen Start-up Flying festgestellt.
Ist die Berichterstattung in den USA kritischer?
Ich habe zahlreiche internationale Interviews geführt. Die Fragen haben dort eine andere Qualität. Das kann damit zusammenhängen, dass es die Start-up-Kultur in den USA bereits viel länger gibt. Hier in Deutschland werden Gründer häufig nur nach ihrem Produkt und ihrer Geschichte befragt.
Die Journalisten packen die Unternehmen viel zu sehr in Watte und hinterfragen zu selten die Geschäftsmodelle. Vergleiche zu bestehenden oder bereits gescheiterten Unternehmen mit ähnlichen Geschäftsmodellen werden im Prinzip gar nicht gezogen.
Dabei könnten kritische Fragen den Gründern auch dabei helfen, nicht abzuheben.
Ich bin da hin- und hergerissen. Als Gründer bist du selbstverständlich glücklich, wenn positive Nachrichten verbreitet werden. Schließlich ist jedem klar, dass kleine Unternehmen Probleme haben. Deswegen ist das immer ein zweischneidiges Schwert. Außerdem musst du als Gründer natürlich die Braut hübsch machen, um von Unternehmen und Investoren ernstgenommen zu werden.
Ich habe mit meinem eigenen Start-up in Gesprächen festgestellt, dass du belächelt wirst, wenn du noch ein kleines Unternehmen bist. Deswegen hörst du irgendwann auf, über die Größe zu sprechen. Und das ist glaube ich in den USA anders. Dort ist jedem bewusst, dass du klein startest. Es geht mehr um das Geschäftsmodell und die Chancen, die sich daraus ergeben.
Das Scheitern ist im Deutschen ja negativ besetzt. Was musstest du dir anhören, als du mit deinem Start-up Flying gescheitert bist?
Ich empfinde das Wort „Scheitern“ gar nicht kritisch, habe es aber häufig erlebt, dass Gesprächspartner versuchen, die Stärke des Wortes abzumildern. Selbstverständlich war das eine schlimme Zeit. Ich hatte natürlich in meinem Umkreis die Leute, die immer gesagt haben: „Siehst du, das wird nichts.“ Diese sahen sich durch das Scheitern bestätigt.
Selbst nachdem wir Flying verkauft hatten und ich als Berater tätig war, habe ich einen Satz besonders häufig gehört: „Ja, der hat Gründungserfahrung, ist allerdings gescheitert.“ So nach dem Motto: Er ist gescheitert, deswegen kann er nichts.
Das ist lustig, weil ich das genau andersherum sehe. Man lernt das Segeln bei schlechtem Wetter und nicht bei Sonnenschein. Und nur um das klarzustellen: Ich rede da jetzt so cool darüber, weil das Jahre her ist. Damals war alles scheiße. Trotzdem ist für mich diese Erfahrung unfassbar wertvoll.
Also die Kritik, selbst wenn sie nicht immer berechtigt ist, geht schon sehr tief.
Natürlich. Du kämpfst dafür rund um die Uhr. In meinem Fall habe ich alle meine Ersparnisse in das Unternehmen gesteckt, weil ich bis in die letzte Pore davon überzeugt war, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Auch die Übergänge zwischen zu viel und zu wenig Ehrgeiz verlaufen fließend. Und erfolgreiche Speaker wie Frank Thelen oder Gary Vaynerchuk heizen dich mit ihren Motivationsreden nur noch mehr an. Man muss selbst den Punkt finden, an dem man merkt, dass das Produkt wirtschaftlich nicht tragfähig ist. Es ist schwierig, sich das einzugestehen und dafür habe ich auch lange gebraucht.
Glaubst du, dass dich diese Erfahrungen, bei einem nächsten eventuellen Scheitern weiterbringen?
Ein ganz, ganz klares „Ja“! Ich glaube, wenn man einmal durch diese Phase gegangen ist, formt das einen Menschen. Nach Flying habe ich Entscheidungen anders getroffen – vielleicht auch ein wenig nüchterner. Als Unternehmer oder Führungskraft stehst du jeden Tag vor kleinen Rätseln und Entscheidungen. Diese entscheiden letztlich über den Erfolg deines Unternehmens.
Seit Flying fälle ich diese Entscheidungen viel rationaler und weniger emotional. Leidenschaft ist nach wie vor wichtig. Früher waren wir jedoch so sehr in unsere Marke verliebt, dass wir die Dinge, die nicht gut gelaufen sind, einfach ausgeblendet haben.
Man hat da eine rosarote Brille auf und das passiert mir heute nicht mehr. Ich versuche, eine neutrale Position einzunehmen und Dinge zu hinterfragen. Ich weiß nicht, ob es dafür Naturtalente gibt. Für mich ging der Weg aber definitiv durch das Scheitern.
Würdest du auf dich selbst hören, wenn du in die Vergangenheit zurückreisen könntest?
Nein, ich glaube, dass ich nicht auf mich hören würde. Und genau das ist und war das Problem. Ich hatte in meinem Umfeld durchaus Freunde und Berater mit viel wirtschaftlicher Erfahrung. Allerdings möchte man das nicht hören und nimmt schnell eine abwehrende Haltung ein. Schließlich kennen sich die anderen ja nicht mit dem eigenen Geschäftsmodell aus. Das Gefährliche ist, dass man es einfach nicht hören möchte.
Nachdem Flying Geschichte war, wurde ich zu vielen Konferenzen eingeladen, um darüber zu sprechen. Auch dort kamen Gründer auf mich zu. Ich habe versucht, deren Fragen zu beantworten. Ja, ich kann verstehen, was du fühlst, habe ich ihnen gesagt. Aber hinterfragt zunächst euer Geschäftsmodell und rennt nicht nur Venture Capital hinterher.
Welchen Tipp gibst du anderen Gründern in solchen Gesprächen mit?
Ich glaube das Wichtigste ist ein Geschäftsmodell, mit dem man valide nachhaltig Geld verdienen kann. Das größte Problem ist, dass wir damals – und das gilt auch heute noch für zahlreiche Start-ups – mit oder ohne Finanzierungsrunde durch unser Produkt nicht genügend Geld verdient haben. Nur wenn Kunden für dein Angebot zahlen, kannst du ohne Fremdkapital wachsen. Und das nimmt ganz viel Stress aus einer Gründung.
Twitter hatte die ersten sechs Jahre auf ihrer Website stehen, dass sie kein Geschäftsmodell haben, sich aber noch eines ausdenken. Das funktioniert heute nicht mehr. Kein Venture-Capital-Unternehmen gibt dir heute 10 Millionen Euro und will in fünf Jahren über ein Geschäftsmodell sprechen. Die Leute wollen heute KPIs und Zahlen sehen.
Das ist am Ende des Tages auch richtig, weil wenn es keine zahlenden Kunden gibt, braucht es auch kein Unternehmen dafür. Das klingt so einfach. Aber wenn man sich die neuen Start-ups anschaut, kann man in 99 Prozent der Fälle sagen, dass sie kein Geschäftsmodell haben oder es nicht skaliert.
Gerade in Deutschland scheitern viele Unternehmer am hierzulande herrschenden Perfektionismus. Müssen wir loslegen, auch wenn noch nicht alle Fragen restlos geklärt sind?
Auf jeden Fall. Das rate ich aber nicht nur Gründern, sondern auch normalen Unternehmen. Wenn ein großes Projekt ansteht, ist es wichtig, schnell Daten zu generieren, um die Hypothese überprüfen zu können. Je größer das Projekt ist, desto wichtiger ist diese Erkenntnis. Was hilft ein perfektes Produkt, das Millionen von Euro gekostet hat, für das sich aber kein Kunde interessiert? Das kann der K.O-Stoß für eine Firma sein.
Wenn ich in die Start-up-Branche blicke, sehe ich, dass viele Gründer sich zunächst mit Themen beschäftigen, die nicht essenziell sind. Das kann der Name des Produkts, die Wahl der passenden Rechtsform oder die Suche nach dem ersten Büro sein. Das ist alles zunächst irrelevant. Ein unfertiger Protoptyp ist besser als ein fertiges Produkt, das sechs Jahre zu spät kommt.
Vielen Dank für das Gespräch, Panos!