Neben der täglichen Arbeit am Schreibtisch, ist Autofahren so ziemlich das Schlimmste, was wir unserem Rücken antun können. In der Autoindustrie will man dieses Problem mit Popo-Robotern und Big Data lösen.
Es gibt eine Sache, die fast jeder in Deutschland hat. Jung und Alt, Männer und Frauen, Bankangestellte und Lehrer. Und das sind Rückenschmerzen. Es ist nicht übertrieben, Rückenschmerzen als Volkskrankheit zu bezeichnen. Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet unter chronischen Rückenschmerzen. Jeder siebte spürt die Schmerzen sogar täglich, heißt es im aktuellen Rückenschmerz-Report des Vereins Aktion Gesunder Rücken e.V (AGR). Vereinfacht gesagt gibt es zwei Hauptursachen für die häufigen Schmerzen: Wir sitzen zu viel und bewegen uns zu wenig.
Während es im Büro ein wachsendes Bewusstsein für ergonomische Haltung am Schreibtisch gibt und der Matratzenkauf sich zu einem High-Tech-Erlebnis entwickelt hat, wird ein Bereich sträflich vernachlässigt: die ungesunde Haltung beim Autofahren.
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Schlechte Sitze, ungesunde Haltung: Autofahren ist Gift für den Rücken
Die AGR hat berechnet, dass wir rund 2,5 Jahre unseres Lebens auf einem Autositz verbringen. Berufsfahrer wie Busfahrer, Pendler, Taxifahrer oder LKW-Fahrer sitzen noch länger am Steuer. Meist in völlig falscher Haltung und das auch noch auf Sitzen, die Rückenschmerzen nur noch verstärken.
Tipps zum gesunden Autofahren gibt es schon lange, zertifizierte Sitze zum rückenfreundlichen Autofahren auch. Doch der neueste Trend geht noch einen Schritt weiter: Mit Big Data und Robotern wollen Unternehmen den perfekten Autositz entwickeln. Dieser soll nicht nur gut für den Rücken sein, sondern auch das Autofahren sicherer und angenehmer machen.
Der Popo-Roboter von Ford
So nutzt Ford in Köln einen Gesäß-Roboter, intern angeblich auch Robutt genannt (zusammengesetzt aus den englischen Wörtern „robot“ und „butt“ für Hintern). Der Popo-Simulator soll realitätsnah testen, wie sich ein Sitz bei zehn Jahren Durchschnittsgebrauch abnutzt. Die Abmessungen des Roboters entsprechen deshalb denen eines durchschnittlich großen Mannes. 25.000 Mal setzt sich der Roboter immer und immer wieder auf den gleichen Sitz, drei Wochen lang. Das entspricht laut Ford der typischen Abnutzung eines Autositzes innerhalb von zehn Jahren. Das erste Mal kam der Popo-Simulator 2017 beim Ford Fiesta zum Einsatz, und soll nun sukzessive bei allen Ford-Modellen in Europa eingesetzt werden, sagt der Konzern.
Ford ist nicht das einzige Unternehmen in der Autoindustrie, das Daten sammelt, um das Sitzen im Auto rückenfreundlicher und angenehmer zu gestalten. Big Data soll dabei helfen, Autositze zu intelligenten Sitzen zu machen.
Bis zur Blinzelrate alles messen
Zwei der größten Autositzhersteller der Welt, die Lear Corporation aus Detroit und das französische Unternehmen Faurecia, arbeiten beide fieberhaft am Autositz 4.0. Mithilfe von biometrischen Daten möchte Lear Corp. noch in diesem Jahr intelligente Autositze herausbringen. Der Sitz wird mit Sensoren ausgestattet, die die biometrischen Daten der Fahrer messen und sich dann automatisch und individuell anpassen, um so die bestmögliche Position einzunehmen. Wir würden demnach nicht mehr selbst den Sitz verstellen, der intelligente Autositz würde sich an uns anpassen. Das ergibt Sinn. Denn wer achtet schon auf den perfekten Winkel für rückenfreundliches Fahren? Oftmals sind es so ungesunde Angewohnheiten wie die viel zu niedrige Rückenlehne oder das „Scheibenwischerfahren“, die Rückenschmerzen erst auslösen.
Wie ein solch intelligenter Sitz aussehen könnte, stellte Faurecia auf der Shanghai Auto Show 2017 vor. Der „Active Wellness“ misst Daten zu Herzrhythmus, Atemfrequenz, Blinzelrate (!!!), Kopfneigung oder in welchem Winkel die Augenlider geöffnet sind. Mit diesen Informationen kann zum Beispiel den Stresslevel des Fahrers ermitteln. Bei hohem Stress schaltet sich dann automatisch die Massage-Funktion oder ein erfrischender Luftzug ein. Stellt der Sitz anhand der Daten fest, dass der Fahrer zu müde ist, würde sich bei einem autonomen Auto der fahrerlose Modus einstellen. Der Sitz könnte im Notfall sogar einen Krankenwagen oder die Polizei rufen.
Ist das alles wirklich nötig?
Mal abgesehen davon, dass es ein wenig gespenstisch klingt, dass da erstens ein Sitz all diese Daten über uns sammelt und dann zweitens während der Fahrt plötzlich irgendwelche Popo-Massagen startet – solche intelligenten Sitze sind nicht günstig.
Doch die biometrischen Daten zu den Fahrern sind durchaus interessant für Autohersteller. Funktionen, die bei einem übermüdeten Autofahrer in den autonomen Modus umstellen, machen das Autofahren zudem sicherer. Nur ist die Frage, ob sich diese Daten nicht auch günstiger ermitteln lassen als über einen intelligenten Sitz. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, eine Art Fitness-Tracker einzusetzen, der die Daten an den Bordcomputer weiterleitet. Dieser könnte dann wiederum Befehle an den Sitz geben. Wearables wie Apple Watch könnten theoretisch die gleichen Informationen wie der Sitz sammeln – und das wesentlich günstiger. Es ist auch nicht klar, ob der Autositz wirklich der beste Ort ist, um diese Daten zu ermitteln. Autohersteller denken derzeit auch über Sensoren im Rückspiegel oder im Lenkrad nach.
Dennoch scheinen einige der großen Autokonzerne Interesse an den intelligenten Sitzen zu haben. Nach Informationen von Automotive News hat Lear Corp. angeblich schon Zusagen von mehreren Luxusauto-Herstellern, die noch in diesem Jahr eine neue Generation von intelligenten Autositzen herausbringen möchten.
Wer nicht darauf warten möchte, kann entweder beim Kauf eines Neuwagens den Aufpreis für zertifizierte ergonomische Sitze zahlen (garantiert günstiger als ein intelligenter Autositz), oder einfach seinen alten Sitz gegen einen Ergo-Sitz umtauschen. Wichtig ist nur, den Autositz vorher selbst zu testen. Denn wie bequem ein Autositz für uns ist, kann bisher noch kein Roboter vorhersagen.
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