Wie viel Geld fließt nun eigentlich in Online-Werbung? Was ist Online-Werbung eigentlich und wieso präsentiert jeder andere Zahlen? Ein polemischer Blick auf die Werbebranche.
Scheinbar hat sich nichts geändert. Selbst etwa 100 Jahre nach Henry Fords berühmt gewordener Werber-Wehklage wissen wir noch nicht, wie viele Menschen fern schauen, wenn die Einschaltquote beim Tatort mal wieder sensationelle 13,2 Prozent beträgt.
Oder wie viele Menschen wirklich in der „TV Hören und Sehen“ blättern, wenn das Allensbach Institut 1,72 Millionen Leser zählt – die Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse aber von 3,35 Millionen Lesern weiß.
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Und warum bedeutet die Nachricht, dass Procter & Gamble sein Online-Budget um 140 Millionen US-Dollar gekürzt haben soll, eigentlich nicht, dass „das Online-Budget“ um 140 Millionen US-Dollar gekürzt wurde? Können die Institute nicht messen? Oder will sich etwa nicht jeder mit gleichem Maß vermessen lassen?
„Die Welt der Reichweitenerhebungen hatte immer schon etwas Esoterisches.“ (Gerrit Klein, Ebner Verlag)
Der Gesamtmarkt für digitale Werbung in Deutschland ist etwa 6,5 Milliarden Euro schwer. Zu diesem Ergebnis kommen die Analysten von Pricewaterhouse Coopers (PWC), auf deren Daten sich sowohl der Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) als auch Arthur D. Little in der Studie „Internetwirtschaft“ für den Branchenverband ECO stützt. Allerdings ergeben sich bereits beim ersten Hinterfragen dieser Zahlen interessante Unschärfen.
Online-Werbung: Display
Denn sowohl der OVK als auch die Marktforscher von Nielsen verstehen unter „Digitaler Werbung“ nicht einfach digitale Werbung, sondern jede digitale Werbung mit Ausnahme von: 1. Search (Google) und 2. Affiliate und Classifieds (Scout24, Axel Springer Digital, Xing).
Während die Zahlen des OVK dann mit 1,785 Milliarden Euro Netto-Werbeinvestitionen im Jahr 2016 immerhin noch 3. Social Media mit vermessen, lässt Nielsen bei seinen 1,583 Milliarden Euro Brutto-Werbeaufwendungen auch den zweiten großen, digitalen Player außen vor.
Nun verstehen wir, wie netto größer als brutto sein kann. Und dass TV-Werbung doch nicht viel größer ist als digitale Werbung, sondern bald nur noch die Rücklichter von Google und Facebook sehen wird. Wetten dass!?
Online-Werbung: Search
Oder wollen wir vorher noch wissen, wie groß „Search“ ist? Da Google Umsätze nur global ausweist, können wir diesen Wert nur schätzen. Die W&V schreibt, dass mehr als zwei Drittel der digitalen Werbeausgaben in Deutschland bei Google landen. Welche Experten so schätzen, sagt die W&V nicht.
PWC weiß von 3,244 Milliarden Euro im Jahr 2016. Statista immerhin von 2,933 Milliarden Euro. Einigen wir uns auf etwa drei Milliarden? Das wäre etwa doppelt soviel wie die „Digitale Werbung“ laut OVK und Nielsen oder in etwa die Hälfte der digitalen Werbung laut PWC.
Viel zu ungenau!? Nicht ungenauer als unvollständiges Messen. Vor allem dann nicht, wenn man den größten Werbeplayer der Welt gar nicht erst vermisst. Und vor allem dann nicht, wenn 99 Prozent des Wachstums in digitaler Werbung und „Digitaler Werbung“ von dort kommen.
Bei solchen Fabelwerten sehen wir doch lieber unscharf, als auf einem Auge ganz blind zu sein. Apropos Blindflug: Was ist eigentlich mit Programmatic?
Online-Werbung: Programmatic
Bereits etwa ein Drittel der Digitalen Werbung oder umgerechnet 577 Millionen Euro werden hierzulande programmatisch gehandelt. Die Erwartungshaltung an die Systeme: Effektivität und Effizienz der (Display-) Werbung soll über die automatische Aussteuerung steigen.
Und der Markt glaubt’s. Um 45 Prozent ist Programmatic allein in 2016 gewachsen, schätzte der BVDW. Die Rückkehr von Display?
„Programmatic Advertising übernimmt damit wie prognostiziert die Online-Werbung. Das Beängstigende dabei: Es passiert in einer anderen Weise als die Industrie es gedacht hatte. Kein offenes, programmatisches Marktplatz- Modell löst die Werbenetzwerke ab, sondern Google und Facebook bilden Super-Networks mit einem eigenen Ecosystem“, kommentiert Jürgen Seitz – für den BVDW.
Dieser Text stammt aus der Netzwirtschaft – dem Journal für digitale Geschäftsentwicklung. Hier gibt es ein kostenloses Probe-Abo für BASIC thinking-Leser.