Die Einschaltquoten im Live-TV sinken, nun sogar schon im Sport. Liegt alles nur an den sinkenden Aufmerksamkeitsspannen, vor allem bei den jüngeren Generationen? Und: Ist es nun die beste Lösung, nur noch kurze Content-Häppchen zu produzieren?
Unser sich stetig wandelndes Nutzungsverhalten wird vielerorts diskutiert. Gerade haben die Experten von McKinsey einen weiteren spannenden Report veröffentlicht. Im Fokus steht das Nutzungsverhalten der Millenials im Rahmen von Live-Sport-Übertragungen. Die Erkenntnisse und Implikationen sind sehr interessant und nachvollziehbar. Deshalb möchte ich einen Punkt betrachten, der aus meiner Sicht oft missinterpretiert wird.
Eine der Aussagen lautet: Unsere Aufmerksamkeitsspannen sind mittlerweile kürzer als wir es bisher gewohnt waren. Meinen wir damit nicht eigentlich nur, dass Menschen weniger Zeit haben, unseren Angeboten ihre Aufmerksamkeit zu schenken?
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Zugegeben, der Unterschied mag nicht direkt deutlich werden. Für beide Aussagen gilt aber das Resultat: Menschen schauen weniger „Long form“-Inhalte. Wie können wir damit umgehen?
Es scheint, als ob viele Anbieter ihre Inhalte im Vorhinein auf kurze Aufmerksamkeitsspannen ausrichten. Oftmals wirkt es etwa so, als ob sie Videos produzieren, die kürzer ausfallen, als eigentlich geplant. In diesem Fall ist es kein Wunder, dass Nutzer 30-Sekunden-Videos bevorzugen.
Was aber, wenn das Problem nicht die Aufmerksamkeitsspannen sind, sondern die generell zur Verfügung stehende Zeit? Dann sollten wir doch lieber Inhalte erstellen, die es wert sind, dass Menschen dafür ihre Zeit investieren.
Zusammengefasst:
- Annahme A: Unsere Aufmerksamkeitsspannen sind zu gering, um umfangreiche Inhalte zu konsumieren.
- Annahme B: Wir haben zu wenig Zeit zur Verfügung, um umfangreiche Inhalte zu konsumieren.
Es geht nicht nur um Aufmerksamkeitsspannen
Blicken wir zurück in die Vergangenheit. Früher war es schwieriger, die eigene Freizeit zu füllen. Menschen stürzten sich etwa auf Bücher. Viele hatten über 1.000 Seiten. Dies war aber kein Problem, den Menschen hatten wenige Alternativen, die Zeit (medial) zu überbrücken. Ja, vielleicht hatten die Menschen vor 100 Jahren auch größere Aufmerksamkeitsspannen, aber sie wussten mit ihrer Zeit auch (medial) weniger anzufangen.
Zu abstrakt? Gehen wir etwa 20 Jahre zurück. Wir können heute auf jede Zeitung der Welt zugreifen, meist sogar kostenlos. Informationen sind im Überfluss vorhanden, dies nennt sich neudeutsch: „Information overload“. Blog, Artikel, Video, Radio, Podcast oder Social-Media-Beiträge – die Quellen sind zahlreich. Wer ein vergleichbares Angebot vor 20 Jahren nutzen wollte, musste zwangsläufig Unsummen in Zeitungen, Zeitschriften, Alben etc. investieren. Es wäre nahezu unmöglich gewesen. Und es hätte bedeutet, sich auf nur ein oder zwei Angeboten gleichzeitig zu widmen.
Damit zurück zur Ausgangsfrage: Das Problem sind nicht sinkende Aufmerksamkeitsspannen, sondern zu viele Angebote auf einmal. Auf was sollen sich Konsumenten also konzentrieren?
Der Punkt ist: Argumentieren wir nur mit Aufmerksamkeitsspannen, werden Content-Produzenten einfach nur noch kürzere Inhalte anbieten. Das Ergebnis: In den Newsfeeds häufen sich vor allem Inhalte, die das wahrgenommene Problem bedienen. Was bleibt, sind oft Inhalte, die wenig Zeit beanspruchen, dafür aber minderwertig sind.
Letztlich werden Menschen nach wie vor Zeit für gute Inhalte investieren. Das gilt für Filme, Bücher, „Long form“-Journalismus, Dokumentationen oder Podcasts. Wir alle überlegen intensiv, womit wir unsere wertvolle Zeit verbringen. Wenn die Qualität der Angebote stimmt, sind sie auch das zeitliche Invest wert.