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Carsharing auf dem Land geht nicht? Geht doch – wie dieses Dorf zeigt

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Bild: Vorfahrt für Jesberg e.V.
geschrieben von Marinela Potor

Carsharing auf dem Land geht nicht? Offensichtlich geht es doch! Und zwar in Jesberg, einer 2400 Einwohner Ortschaft in der Nähe von Marburg.

Hinter dem Carsharing-Konzept in Jesberg steckt aber kein Start-up und auch kein großer Konzern, sondern ein Verein. Vorfahrt für Jesberg e.V. heißt dieser Verein, der sich offiziell 2016 gegründet hat. Michael Schramek ist die treibende Kraft hinter der Idee, die die kleine Ortschaft und vor allem die Menschen darin, mobil machen soll.

Landflucht – unter anderem ein Transportproblem

Schramek ist kein Neuling in Sachen Transport und Sharing. Acht Jahre arbeitete er beim Bundeswehr Fuhrpark Service, danach gründete er „Ecolibro“, eine Firma, in der er seit acht Jahren Unternehmen bei der Organisation ihrer betrieblichen Fahrten hilft. Als im Dorf schließlich über eine Erneuerungsstrategie diskutiert wurde – die Bevölkerung in Jesberg schrumpft in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich um 25% und zwar auch aufgrund der mangelhaften Transportmöglichkeiten – war für Schramek klar: Jesberg braucht Sharing-Angebote. „Wir waren am Anfang mit mir ein Aktionskreis von drei Leuten und wollten einfach mal probieren, ob wir in Jesberg ein Sharing-Modell einführen können“, erzählt Michael Schramek im Gespräch mit Mobility Mag.

Gesagt, getan. Seitdem hat auch Jesberg mehrere Sharing-Angebote. Dieses funktioniert auch hier nicht viel anders als bei anderen gängigen Modellen. Jesberg hat ein stationäres Modell mit einem Fuhrpark. Die Fahrzeuge werden dabei von Privatpersonen oder Unternehmen zur Verfügung gestellt. Schrameks Firma und eine lokale Bank waren die ersten, die jeweils ein Auto in den Fuhrpark stellten.

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So sah zunächst der „Fuhrpark“ in Jesberg aus (Bild: Vorfahrt für Jesberg e.V.)

Die Verleiher tragen alle laufenden Kosten, bekommen aber im Gegenzug auch 90 Prozent der Einnahmen aus den Vermietungen. Der Verein bekommt die restlichen 10 Prozent, um das Konzept zu vermarkten und neue Mitglieder zu finden. Die Kosten für ein gemietetes Fahrzeug richten sich nach der Tageszeit (abends und nachts sind die Fahrzeuge günstiger) und nach Fahrzeugtyp, Dauer der Ausleihe und gefahrenen Kilometern.

Auch das Ausleihen ist recht simpel. Alle Fahrzeuge im Fuhrpark Jesberg sind mit einem Chipleser in der Windschutzscheibe ausgestattet. Wer die Sharing-Optionen nutzen möchte, registriert sich über eine Webseite, bucht sein Fahrzeug und öffnet es, indem er seinen Führerscheinchip von außen an das Lesegerät hält. Und wenn eins der wenigen Fahrzeuge nun doch doppelt gebucht wird? „Das ist bei uns dann doch etwas anders als bei klassischen Angeboten. Hier sieht man auf der Seite, wer das Auto angefragt hat und da sich hier alle kennen, kann man dann einfach mal kurz telefonieren und sich abstimmen. Bisher hatten wir damit noch keine Probleme“, sagt Schramek.

Sharing-Konzepte ideal fürs Dorf?

Schramek selbst hat seit fast drei Jahren kein eigenes Auto mehr. In einem Ort, der noch nicht einmal einen eigenen Bahnhof hat, ist das etwas ganz anderes als in Berlin. Statt Auto fährt Schramek nun mit dem Zug, mit seinem elektrischen Faltrad – und nutzt natürlich die Sharing-Angebote in Jesberg.

Denn der Vorfahrt für Jesberg e.V. setzt nicht nur auf das Teilen von Autos. Für die Bewohner gibt es mehrere Transportoptionen, alle nach dem klassischen Sharing-Modell. Seit den Anfängen ist aber noch Einiges an Angeboten dazugekommen. „Wir haben aktuell drei Autos für das Carsharing, drei E-Lastenräder, drei Elektrofahrräder und wir sind gerade dabei Mitfahrbänke im Dorf aufzustellen“, sagt Michael Schramek.

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Jesbergs erste Mitfahrbank (Bild: Vorfahrt für Jesberg e.V.)

Die Mitfahrbänke sind keine Neuerfindung der Jesberger. In verschiedenen Kleinstädten in Deutschland wurden diese bereits aufgestellt. Die Idee: Wer eine Mitfahrgelegenheit braucht, setzt sich auf die Bank, dreht das bereits vorhandene Schild mit seinem Zielort nach vorne, und wird so von vorbeifahrenden Autofahrern mitgenommen. Trampen 2.0 sozusagen. In kleinen Ortschaften wie Jesberg funktionieren solche Mitfahrbänke natürlich sehr gut, da jeder jeden kennt und niemand Angst davor hat, einen Unbekannten ins Auto zu lassen.

„Für jeden ist etwas dabei“

Gerade die enge Dorfgemeinschaft scheint für Sharing-Modelle auf dem Land ein guter Ausgangspunkt zu sein. Das bedeutet aber auch, dass viele mitziehen müssen, damit es funktioniert. So hat es eine Weile gedauert, bis die Idee des geteilten Transports in Jesberg angenommen wurde. „Die meisten hier haben natürlich ein eigenes Auto. Carsharing scheint damit auf dem ersten Blick überflüssig. Doch nach und nach haben immer mehr Bewohner die Vorteile erkannt. Mittlerweile haben wir 30 Mitgliedschaften und etwa 60 Mitglieder, und sind damit wahrscheinlich der am schnellsten wachsende Verein“, sagt Schramek stolz. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nach Ansicht von Schramek an der Vielfalt des Angebots. „Für jeden ist etwas dabei, was ihn interessiert“, sagt Michael Schramek.

Im „Fuhrpark“ von Jesberg stehen aktuell ein Kombi, ein Minibus und ein E-Smart, der aber bald von einem E-Renault mit größerer Reichweite ersetzt werden soll. Wer beispielsweise nur ein Auto in der Familie hat und für eine kurze Besorgung ein zweites Auto braucht, bucht den Smart. Wer mit seinem Sportverein unterwegs ist, nimmt den Minibus. „Den Kombi hat sich neulich jemand für den Kurzurlaub mit Freunden ausgeliehen. Damit konnten sich die Urlauber die Kosten viel einfacher teilen“, sagt Schramek.

Die Pedelecs wiederum werden unter der Woche von zwei Flüchtlingen ausgeliehen – im Monatsabo. Da die beiden auf absehbare Zeit keinen Führerschein haben werden,, waren die Räder ideal für sie, um in der bergigen Region zur Arbeit zu kommen.

Doch es waren vor allem die E-Lastenräder, die das Eis gebrochen haben. Für viele Dorfbewohner sind sie ideal für das Fahren mit Kindern Einkäufe oder Müllentsorgung. Ein Flüchtling fährt sogar Einkaufskisten vom Supermarkt vor die Haustür oder entsorgt Recycling-Müll für die Jesberger. Gerade für ältere Bewohner ist das ein hilfreicher Service. Viele Familien wiederum nutzen die Lastenräder, um ihre Kinder in den Kindergarten oder zum Sportverein zu bringen.

Jesberg im Sharing-Fieber

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Von Groß bis Klein: Sharing kommt in Jesberg gut an (Bild: Vorfahrt für Jesberg e.V.)

Dieser Mix an Transportangeboten hat mittlerweile dazu geführt, dass sich einige Bewohner kein neues Auto mehr kaufen wollen. Eine Familie hat ihr Auto sogar ins Carsharing gegeben. Michael Schramek möchte in den nächsten Jahren 208 Privatautos durch 37 Carsharing-Autos komplett ersetzen. Aktuell gibt es im Dorf 1300 Autos.

Das ist durchaus realistisch gerechnet, gerade wenn man sieht, dass Jesberg im Carsharing-Fieber ist. Das Nachbarschaftsnetzwerk ist bereits auf Carsharing umgestiegen und die Gemeindeverwaltung will ebenfalls dieCarsharing-Autos für die Dienstfahrten nutzen. Die Gemeinde möchte darüber hinaus den Tourismus in Jesberg ausbauen, und ganz bewusst die Sharing-Angebote (vom Abholen am Bahnhof im Carsharing-Auto bis hin zu Pedelec-Touren) mit einbinden.

Ganz besonders stolz ist Michael Schramek aber auf eine Erfolgsgeschichte: Zwei junge Menschen sind für eine Arbeitsstelle aus der Großstadt nach Jesberg gezogen. „Die beiden hatten kein eigenes Auto und sind tatsächlich nur deshalb zu uns aufs Land gezogen, weil wir hier Carsharing haben.“

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Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.

Kommentare

  • Carsharing und Ridesharing wird gerade in den Städten dazu führen, dass noch mehr Autos unterwegs sind. In den USA ist dieses Problem bereits eingetreten und man warnt uns davor denselben Fehler zu machen. Car- und Ridesharing in ländlichen Regionen würde ich begrüßen. Zusaetzlich sollte das Angebot des ÖPNV (Bus, Bahn, S- und U-Bahn …) besser ausgebaut werden. Auch Supermaerkte sollten viel besser angefahren werden. Es wohnt nicht jeder neben einer Bushaltestelle. Und vollbepackt vom Supermarkt zur nächsten Haltestelle oder zum Bahnhof zu laufen, ist auch nicht gerade ein Vergnügen. Der Gewinner wird am Ende die Automobilindustrie sein. Deren Lobbyisten spazieren im Bundestag ein und aus. Sie werden nicht locker lassen und uns das Märchen, dass Carsharing die Städte entlastet, solange vorbeten bis sie ihr (Umsatz-) Ziel erreicht haben. Natürlich alles nur zu unserem Wohl 🙂