Autos sind ineffizient, schlecht für die Umwelt und nehmen uns den Lebensraum weg. Also: weg damit! So argumentieren viele Menschen, vor allem in der Szene um Mobilitäts-Start-ups. Und merken nicht, wie sie damit an der Lebensrealität vieler Deutscher völlig vorbeireden. Ein Kommentar.
Wer sich mit Menschen in der deutschen Start-up-Szene über Mobilität unterhält, könnte fast meinen, es gäbe eine Verschwörung gegen Autos. Gegen das Besitzen eines eigenen Autos, um genau zu sein. Wir alle könnten, so heißt es von vielen, wunderbar mit Rad, Carsharing und öffentlichen Verkehrsmitteln auskommen. Ein eigenes Auto sei jetzt schon praktisch überflüssig. Dementsprechend zielen auch viele neue Mobilitätsangebote dieser Start-ups darauf ab, das eigene Auto zu ersetzen. Doch liebe Gründer, wenn ihr glaubt, die Deutschen bräuchten keine eigenen Autos mehr, dann habt ihr ein paar grundlegende Dinge nicht verstanden.
Vorab: Ich habe seit sieben Jahren kein eigenes Auto mehr. Ich bin also durchaus in der Lage, mein Leben mit Bus, Bahn, Rideshare-Anbietern und Rad zu organisieren. Ich bin also weder ein Autofanatiker noch glaube ich, dass wir ohne Autos nicht leben können. Doch glaube ich auch, dass die Diskussion um das Aufgeben des eigenen Fahrzeugs an der Lebensrealität vieler Deutscher schlicht und ergreifend vorbeigeht.
Wenn Großstädter von tollen ÖPNV-Anbindungen sprechen
„Fahrt doch einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln!“ Wer in Berlin, Köln oder Hamburg wohnt, kann das sehr einfach sagen und schüttelt dann missmutig den Kopf über all die Menschen, die sich mit ihrem Auto von A nach B bewegen. Doch genau diese Großstädter vergessen auch (oder wissen es vielleicht schlichtweg nicht), dass man auf dem Land ohne das eigene Auto nahezu völlig aufgeschmissen ist.
Ein Auto auf dem Land spart Zeit
Ich nehme mal ein Beispiel mit dem ich bestens vertraut bin. Ich bin in einem kleinen Ort im Sauerland aufwachsen. Die Stadt ist so klein, dass es dort nicht mal mehr ein eigenes Kino gibt. Auch keine Disko, und eine Barszene sowieso nicht. Von einer Einkaufsmeile oder einem vernünftigen Möbelgeschäft mal ganz abgesehen. Theater? Fehlanzeige. Wer also außer Schützenfestfeieren etwas anderes in seiner Freizeit tun möchte oder manchmal auch schlichtweg etwas besorgen muss, muss aus dem eigenen Ort herauskommen. Nach der Logik der Autofeinde sollten dann all diese Menschen entweder mit dem Bus, der Bahn oder dem Rad fahren.
Carsharing nenne ich gar nicht, denn das gibt es in kleinen deutschen Städten so gut wie gar nicht. Auch wenn es wirklich begrüßenswert ist, dass sich immerhin erste Unternehmen darüber Gedanken machen.
Okay, liebe Autogegner. Das sähe dann ungefähr so aus: In meiner Kleinstadt haben wir genau zwei Buslinien. Diese fahren ein Mal pro Stunde und oft auch nicht mehr nach 22 Uhr. Um also zum Beispiel ins Kino der Nachbarstadt zu fahren, dürfte man keine Vorstellung nach 19 Uhr anschauen und bräuchte auch noch eine Stunde für Hin- und Rückweg. Im Vergleich dazu, brauche ich mit dem Auto 10 Minuten und bin komplett unabhängig von Fahrzeiten.
Der Zug ist noch schlimmer, da er nur weitere Kleinstädte im Sauerland anbindet. Wenn ich also zum Beispiel ins Ruhrgebiet fahren möchte, muss ich erstmal den Bus zum Regionalbahnhof nehmen, dann mit dem Regionalzug zum ICE-Bahnhof, um dann endlich in einen Zug gen Ruhrgebiet steigen zu können. Das dauert mindestens drei Stunden – mit dem Auto lege ich die gleiche Distanz in einer Stunde zurück und zahle weniger fürs Parken als für das Zugticket.
Ein Fahrrad wiederum ist bei den Bergen im Sauerland auch wirklich nur etwas für sehr fitte, junge Menschen. Und das auch nur, wenn einem die 250 Tage Dauerregen im Jahr nichts ausmachen. Um damit auch noch Lasten zu transportieren, müsste man wahrscheinlich auf Tour-de-France-Niveau sein.
Wenn wir jetzt noch an Berufspendler denken, die garantiert nicht in der Nähe einer Bushaltestelle arbeiten, und bei denen die Buszeiten wohl auch nicht immer mit den Arbeitszeiten korrespondieren (gerade im Schichtdienst), wird schnell klar, warum man ohne eigenes Auto außerhalb einer großen Stadt in Deutschland einfach nicht weit kommt.
Zu viele Gründer scheinen hier aber in einer Berlin-Bubble zu leben, in der die große Mehrheit der Nation – die immerhin in kleinen bis mittelgroßen Städten lebt – vergessen wird.
Menschen im ländlichen Raum nutzen sehr wohl ihre Autos
„Autos stehen eh die meiste Zeit nutzlos herum.“ Auch das Argument ist typisch für Großstadtmenschen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ein Auto im Sauerland oder auf der Schwäbischen Alb oder in Friesland verglichen zu einem Auto in Hamburg oder München im Dauereinsatz ist.
Wenn Millennials nicht verstehen, warum jemand ein Auto braucht
Die große Mehrheit der Menschen, die gegen das eigene Auto argumentiert, lebt nicht nur in einer großen Stadt, sie ist auch jung und kinderlos.
Ich möchte mal den Millennial sehen, der die Fahrt zum Job und zurück, zwei Kinder mit vier Freizeitaktivitäten, den Supermarkteinkauf oder die Fahrt in den Urlaub komplett ohne eigenes Auto organisiert. Selbst Konzepte wie die Tretbox gehen hier einfach nicht weit genug.
Es ist also ziemlich naiv, wenn ein junger Mensch ohne Pendlerjob und Kinder, diesen Menschen erklären möchte, warum sie alle auf ihr Auto verzichten sollten.
Wenn wir unter Teil-Zwang gesetzt werden
Autos sind effektiver, wenn sie in Gemeinschaftsbesitz sind und am besten noch mit einem Flottenalgorithmus organisiert werden. Dagegen kann man nicht viel sagen. Es ist einfach effizienter, wenn mehrere Personen in einem Auto fahren und sogar noch wirtschaftlicher, wenn die Autos niemandem gehören und nach Bedarf genutzt werden.
Doch bei dieser Argumentation wird eins übersehen: Nicht jeder WILL sein Fahrzeug teilen. Manche wollen ihre Autos jedes Wochenende blankpolieren und den Innenraum aussaugen und bekommen einen Herzinfarkt, wenn jemand im Fahrzeug isst oder trinkt. Andere wiederum sehen ihr Auto als ihr zweites Zuhause und haben hier von Jacken über Bücher bis hin zu Essen alles in ihrem Gefährt – und wollen das ebenfalls mit niemandem teilen (oder niemand mit ihnen).
Und das ist auch ihr gutes Recht!
Wenn wir zu Minimalisten werden sollen
Damit kommen wir zu dem Punkt, den meiner Meinung nach, viele Gründer bei der Diskussion um den Sinn oder Unsinn um das eigene Auto komplett übersehen. Ein eigenes Auto zu besitzen ist etwas Emotionales. Das muss nicht unbedingt heißen, dass man sich dem eigenen Auto als Gegenstand emotional verbunden fühlt. Auch wenn viele Menschen das sind. Vielmehr bedeutet ein eigenes Auto ein Gefühl von Freiheit.
Mich überzeugt daher auch so eine Aussage wie „Ich fühle mich freier ohne Auto“ nicht. Natürlich ist jede Form von Besitz auch immer Verantwortung und bringt Kosten mit sich. Es kann sich da schon befreiend anfühlen, wenn man sich mit Dingen wie Kfz-Versicherung, TÜV oder Winterreifenwechsel nicht mehr beschäftigen muss.
Andererseits bedeutet das Auto für viele Menschen emotionale Freiheit. Es wartet vor der Tür, bereit wann immer man es braucht. Ohne dass man sich mit anderen Menschen oder über eine App abstimmen muss. Es schützt einen vor Wind und Wetter, spart Zeit und Nerven beim Transport von Lasten und selbst wenn man im Stau steht, tut man das in Eigenregie und nicht weil der Fernbus keine Landwege fährt.
Solange Gründer mit neuen Mobilitätskonzepten Autobesitzer nicht emotional abholen können und ihnen – egal ob jung oder alt, auf dem Land oder in der Stadt, mit Familie oder als Single – eine gleichwertige, bequeme Alternative zum eigenen Auto anbieten können, bleibt die Diskussion um das autofreie Leben ein Thema unter jungen Großstädtern.
Auch hilft es wenig, wenn ich jemanden mit logischen Argumenten davon überzeugen möchte, dass er sein Auto teilen MUSS. Es wird immer Menschen geben – auch wenn wir irgendwann mal autonome Autos haben – die es lieben, ein Auto zu fahren. Und ein Auto zu besitzen. Es führt völlig am Ziel vorbei, diesen Menschen einen moralischen Vorwurf zu machen.
Schlauer wäre es, ihnen für 90 Prozent ihres Alltags smarte Alternativen zum Auto zu bieten, sodass das eigene Auto für diejenigen, die es haben möchten, keine Notwendigkeit ist, sondern ein Hobby.