Graphen, das neue „Supermaterial“, soll so revolutionär sein wie damals das Plastik. Beispiel gefällig? Beim Startup Launch Pad in Hong Kong haben wir ein tragbares Ladegerät entdeckt, das sich in wenigen Minuten komplett aufladen lässt.
Dieses fertige Graphenprodukt hat uns dazu veranlasst herauszufinden, was Graphen genau ist, wie es die Welt revolutionieren wird und welche Probleme es bei der Verbreitung des Materials gibt.
Was ist Graphen?
Graphen ist das erste vom Menschen gemachte zweidimensionale Material. Graphen besteht eigentlich aus Graphit bzw. Kohlenstoff, aus dem auch Bleistiftminen hergestellt werden. Anders als Graphit ist es aber zu einer einzelnen Schicht dicht miteinander verwobener Atome verarbeitet. Graphen ist also quasi zweidimensionaler Kohlenstoff.
Graphen vs Graphit: Wo liegt der Unterschied?
Graphit ist ein Festkörper, den man in der Hand halten kann. Graphen ist eine extrem dünne Schicht aus Graphitatomen.
Der Unterschied liegt in den Elektronen, die sich im Graphen anders verhalten als im Graphit. Beim Graphit interagieren die Elektronen der Kohlenstoffatome miteinander, um die Schichten aus Graphit miteinander zu verbinden und ein Objekt zu bilden. Beim Graphen fehlt diese Verbindung, wodurch sich einzelne Schichten aus Atomen bilden, die sich in verschiedene Formen bringen lassen.
Normalerweise besitzen Elektronen in einem Feststoff eine geringe Masse, die durch die gegenseitige Interaktion erzeugt wird. Ohne diese Interaktion, wie beispielsweise in einer Graphenschicht, verhalten sich die Elektronen wie masselose Teilchen und bewegen sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit frei umher.
Diese Eigenschaft macht Graphen so vielseitig.
18 Wege, wie Graphen unsere Technologie verändern wird
Ein Akku, der sich in Minutenschnelle aufladen lässt
Wir hatten bereits von Graphenakkus gehört, aber während des Startup Launch Pad in Hong Kong, einer internationalen Handelsmesse, trafen wir den Hersteller G-King, der einen solchen Akku tatsächlich auf den Markt bringen wird. Die 5000mAh-Variante war in Relation zur Kapazität sehr groß, aber sie funktionierte ausgesprochen gut! Ich konnte in weniger als 15 Minuten, genauer gesagt in 12,5 Minuten, den 5000mAh-Akku vollständig aufladen.
Ich wusste, dass diese Akkutechnologie in den Startlöchern steht, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie schon in diesem Jahr für den Normalverbraucher verfügbar sein würde. Genau wegen solchen Technikwundern besuche ich das Startup Launch Pad so gerne, man findet dort immer die neusten Produkte, die in China zum Verkauf stehen.
Der G-King-Akku soll frühestens Anfang September, spätestens aber zu Weihnachten, auf den Markt kommen. Der Menschenmenge am Ausstellungsstand nach zu urteilen, wird es wohl kein Problem sein, Käufer für das Produkt zu finden.
Neuer Grundbestandteil von Computerchips
Wenn diese Vision tatsächlich Realität wird, wird sich uns in Sachen Computerchips eine völlig neue Welt eröffnen. Im Jahr 2011 gaben Intel und IBM bekannt, dass sie Graphen nicht als neues Material in der
Halbleitertechnik verwenden werden. Das hat IBM aber nicht davon abgehalten, im Jahr 2014 ganze 3 Millionen US-Dollar in die Entwicklung von siliziumfreien Halbleitern zu investieren.
Das Problem der aktuellen „Dies“ von Silizium-Prozessoren ist, dass ihre Architektur nicht kleiner als sieben Nanometer sein kann. Die „Dies“ zu verkleinern ist aber der traditionelle Weg, um schnellere und effizientere Prozessoren zu bauen.
Graphen würde die Herstellung von Transistoren ermöglichen, die eine wesentlich geringere Betriebsspannung benötigen als die der heutigen Generation. Ob Graphen in diesem Bereich tatsächlich Anwendung finden wird, liegt jetzt natürlich an den Ingenieuren, aber der Autor einer aktuellen Studie zu diesem Thema ist der Meinung, dass dieses Material große Auswirkungen auf die Halbleitertechnik haben wird.
Wir finden, dass man Graphen in dieser Hinsicht noch nicht komplett abschreiben sollte.
Transparente Elektronik
Graphen ist transparent. Weil sich aus dem Material auch Akkus und Prozessoren herstellen lassen, kommen wir dem Traum, transparente Smartphones herzustellen, einen großen Schritt näher.
In Taiwan sahen wir vor ein paar Jahren den Prototyp eines transparenten Smartphones. Akku, Kabel und Platine waren jedoch noch nicht transparent. In naher Zukunft wird es solche Geräte wohl nicht geben, aber immerhin sind wir dieser Science-Fiction-Realität, die ich mir schon immer gewünscht habe, einen Schritt näher gekommen.
Kamerasensoren
Kameras mit Sensoren aus Graphen wären 1000 Mal lichtempfindlicher als aktuelle Bildsensoren. Das würde es extrem erleichtern, Bilder in schlechten Lichtsituationen oder bei Nacht aufzunehmen.
Die University of Michigan verwendet eine Kamera mit der Größe einer normalen Spiegelreflexkamera und Graphensensoren, um 3D-Karten zu erstellen. Dank der Graphensensoren lässt sich der Fokusbereich nachträglich auswählen. Normalerweise wird hierfür die „Lichtfeldkamera“ Lytro Illum verwendet, die für diese Aufgabe jedoch Hunderttausende Mikroobjektive benötigt. Im Gegensatz dazu sind bei der Verwendung von Graphensensoren nur wenige Sensorschichten notwendig.
Sobald die Technologie ausgereift ist, sollen die Graphensensoren klein genug sein, um selbst in ein Smartphone zu passen.
Man könnte so nach dem Aufnehmen der Fotos und Videos den Fokusbereich ändern, eine Funktion die Smartphones mithilfe von digitaler Nachbearbeitung bereits jetzt schon bieten. Die Graphensensoren besitzen mehrere Ebenen, um die Farben im Bild getrennt voneinander aufzunehmen. Anschließend wird ein Tiefenmessfeld verwendet, um das fertige Bild zusammenzusetzen.
Ein 96000 Kilometer langer Weltraumaufzug
Der Stoff aus dem Science-Fiction ist. Ein Weltraumlift würde es ermöglichen, Dinge und Personen günstig zu einer geostationären Raumstation zu transportieren. Bisher kostet der Transport von Material in den Weltraum 10000 € bis über 70000 € pro Kilogramm. Ein Weltraumaufzug würde die Kosten auf einen Bruchteil davon senken.
Es ist bisher zwar nur eine Idee, aber die International Academy of Aeronautic (IAA) verfasste sogar einen 350 Seiten langen Bericht über die mögliche Konstruktion eines Weltraumaufzugs. Wir glauben zwar nicht, dass dieses Projekt in naher Zukunft realisiert werden wird, aber es ist großartig, dass Graphen Wissenschaftler zu solch ambitionierten Projekten inspiriert.
Lautsprechertechnologie
Lautsprecher besitzen bewegliche Teile, welche die Luft in Schwingung versetzen, um so den Ton zu erzeugen. Im Jahr 2013 gelang es der UC Berkeley, einen Kopfhörer und einen Lautsprecher mit Graphentreibern zu konstruieren. Ein thermoakustischer Lautsprecher, der mithilfe von Graphen betrieben wird, benötigt wesentlich weniger Platz und könnte letztendlich auch in Smartphones eingesetzt werden.
Hierzu werden Graphenflocken gefriergetrocknet, um ein Aerogel zu kreieren. Im fertigen Lautsprecher wird das Gel anschließend in schneller Folge erhitzt und wieder abgekühlt, um die Luft in Schwingung zu versetzen.
Zur Wasseraufbereitung und um Salzwasser in Trinkwasser zu verwandeln
Graphen kann auch zur Wasser-, Boden- und Luftaufbereitung eingesetzt werden. Der Grafysorber von Directa Plus ist ein stark absorbierendes Material, das zum Beispiel ideal für Ölunfälle geeignet ist. Der Grafysorber verwendet ein Graphensieb, um aus Meerwasser sauberes Trinkwasser zu machen.
Knochenwachstum
Graphen und seine Derivate (Graphenoxid und reduziertes Graphenoxid) sollen auch in der Medizin Anwendung finden, da diese Materialien einige bemerkenswerte Eigenschaften besitzen. Dazu gehören beispielsweise die extrem große Oberfläche, die hohe Widerstandsfähigkeit und die einfache Funktionalisierung. Diese biokompatiblen, auf Kohlenstoff basierenden Materialien können zur Anregung und Aufrechterhaltung des Stammzellenwachstums verwendet werden, eine Technik die Wissenschaftler in Singapur aktuell zur Regeneration von Knochen verwenden.
Forscher der Iowa State University (ISU) entwickeln im Moment eine graphenbasierte Methode, mit der sich Stammzellen in Schwann-ähnliche Zellen umwandeln lassen, diese Zellen sind extrem wichtig für die Regeneration von verschiedensten Nerven. Sollte dieser Versuch erfolgreich sein, könnte dieses Material viele komplizierte und teure Verfahren, die aktuell verwendet werden, revolutionieren oder ersetzen.
Graphen ist in der Biotechnik allgemein sehr beliebt, denn die Wissenschaftler hoffen, dass sich Graphen, dank seiner unglaublich geringen Größe, dazu eignet, Zellwände zu durchbrechen, um so verschiedene Stoffe in die Zelle zu transportieren.
Künstliche Haut mit Solarzellen, die Prothesen betreiben können
Solarzellen bestehen aus Materialien, die leitfähig und lichtdurchlässig sind. Sie könnten also ebenfalls von der überragenden Leitfähigkeit und Transparenz des Graphens profitieren. Die Forscher der University of Glasgow arbeiten an einer künstlichen Haut aus Solarzellen, die eine Roboterhand mit Strom versorgt.
Neue Akkus für elektrische Fahrzeuge
Graphenakkus sollen in Zukunft auch in elektrischen Fahrzeugen verwendet werden, denn sie besitzen 50-100 Mal mehr Leistungsdichte und 5-10 Mal so viel Energiedichte.
Ein Superkondensator aus Graphen könnte Akkus innerhalb der nächsten fünf Jahre sogar vollständig ersetzen. Der Superkondensator besteht aus zwei Graphenschichten, zwischen denen sich eine Elektrolytschicht befindet. Die Schicht ist robust, extrem dünn und in der Lage, in kürzester Zeit eine große Menge Energie freizusetzen.
Angeblich arbeitet selbst Tesla an der Entwicklung eines Graphenakkus.
Flexible Fitness-Wearables
Mithilfe von Graphen ließen sich nicht nur wesentlich dünnere (fast papierdünne) Wearables herstellen, sondern sie könnten sogar mit Schaltkreisen und Lichtsensoren aus Graphen ausgestattet werden, die zusätzliche Funktionen ermöglichen würden.
Anhand der Farben, die von der Haut absorbiert werden, lassen sich beispielsweise Informationen wie Herzfrequenz und die Sauerstoffmenge im Blut messen. Das wäre einerseits ein großartiges Feature für Fitness-Armbänder, könnte aber auch in der Medizin Anwendung finden.
Fenster mit integrierten Bewegungsmeldern, dank transparentem Graphen
Ein Fenster mit eingebauten Sensoren könnte zum Beispiel erkennen, ob es Tag oder Nacht ist und dementsprechend die Jalousie öffnen oder schließen. Graphen ist zudem transparent und sehr stromsparend, würde man also ein komplettes Fenster aus Graphen herstellen, ließen sich die Sensoren direkt in das Fenster integrieren.
Lebensmittelanalyse
Graphen kann zur Herstellung von Bildsensoren verwendet werden, die in der Lage sind, Infrarotlicht zu erkennen. Diese Sensoren können zur Analyse von Lebensmitteln verwendet werden, um beispielsweise herauszufinden, ob Obst reif ist, oder ob sich schädliche Chemikalien im Essen befinden. Auf diese Weise lassen sich auch viele andere Dinge messen, darunter auch der Abnutzungsgrad von Autoreifen, oder ob ein Gegenstand aus echtem Holz oder Holzimitat besteht.
Innerhalb der nächsten zwei Jahre könnten solche Graphenspektrometer sogar in Smartphones verbaut werden.
Sportkleidung
Colmar ist ein italienischer Hersteller für Skijacken, Skianzüge, Unterwäsche und Poloshirts, die alle aus einem graphenhaltigen Stoff namens G+ bestehen.
Das Material hilft dabei, Wärme von wärmeren zu kälteren Körperregionen zu transportieren, um die Kleidungsstücke für den Träger angenehmer zu machen. Der Stoff reduziert außerdem die Reibung mit Luft und Wasser, er könnte sich also auch dazu eignen, um den Träger agiler und im Wasser sogar schneller zu machen.
Handschuhe, die VR noch realer machen
Die VR-Technologie würde von zusätzlichen Bewegungssensoren stark profitieren. Aus Graphenflocken lassen sich zu diesem Zweck extrem berührungsempfindliche und strapazierfähige Handschuhe herstellen. Ein Forschungsteam von Nokia waren die ersten, die diese Idee hatten und es gelang ihnen sogar, einen Temperatursensor aus Graphenoxid herzustellen.
Das Endergebnis war zunächst nur ein Handschuh, der LEDs zum Leuchten bringt. Die Handschuhe sind jedoch so dünn und flexibel, dass sie in Zukunft auch kleinste Handbewegungen erkennen werden können, um so VR-Umgebungen noch realer zu machen.
Fahrradrahmen
Im Juli 2016 stellte die Firma Dassi das weltweit erste Fahrrad aus Graphen vor. Graphen wird dabei in einer dünnen Schicht um den Rahmen gelegt, der ansonsten aus Kohlenstofffaser, bzw. Carbon bestet. Das Fahrrad ist nur ein Konzeptnachweis und wiegt 750g, genauso viel wie ein Fahrrad aus reiner Kohlenstofffaser. Dassi behauptet aber, dass in Zukunft beeindruckendere Gewichtsreduktionen erzielt werden können.
Dassi sagt, dass das Graphenrad „70% mehr interlaminare Festigkeit, 50% mehr Bruchresistenz, verzögerte Bruchausbreitung und eine verbesserte Kohlenstoff-Harz-Bindung“ besitzt.
Elektronische „Wearable“-Tickets
Ausgedruckte Elektronik ist der nächste große Hit und auch hier ist Graphen mit von der Partie. So lassen sich beispielsweise Tickets herstellen, die mit graphenhaltiger Tinte bedruckt sind und nur wenige Cent pro Stück kosten. Die aufgedruckten Graphen-RFID-Tags wurden beispielsweise in einer Vorführung dazu verwendet, um über eine Kamera mit eingebautem Empfänger ein Foto des Trägers aufzunehmen.
Zur Messung der strukturellen Integrität von Gebäuden
Eine auf Graphen basierende Beschichtung kann an Gebäuden und Brücken angebracht werden, um deren strukturelle Integrität zu überwachen. Die Beschichtung wechselt die Farbe, um frühzeitig vor ansonsten unerkannten Schäden zu warnen.
Graphen ist das erste vom Menschen hergestellte zweidimensionale Material und es wird sicherlich nicht das letzte sein. Schon sehr bald werden wir sehen, wie dieses Material, genau wie in den letzten hundert Jahren das Plastik, unsere Welt revolutionieren wird.