Als Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Deutschland weiß Alexander Kulitz, wie es um Deutschland bestellt ist: nicht gut. Wir haben mit ihm über Lösungsansätze, frühkindliche Erziehung und die digitale Zukunft der Bundesrepublik gesprochen. Ein Interview.
Die Wirtschaftsjunioren sind Deutschlands größter Verband für junge Unternehmer und Führungskräfte, die jünger als 40 Jahre sind.
Sie sehen sich selbst nicht nur als Interessenvertretung, sondern setzen aktiv Projekte um. Derzeit sind es in den 215 Kreisen in Deutschland mehr als 800 Initiativen.
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Wir haben den Bundesvorsitzenden der Wirtschaftsjunioren Deutschland, Alexander Kulitz, auf dem G20-Jungunternehmergipfel getroffen. Im Interview sprechen wir mit ihm über seine Reformideen des Schulsystems in Zeiten der Digitalisierung, einen notwendigen Kulturwandel und unser Leben in einer wahr gewordenen Science-Fiction-Welt.
BASIC thinking: Herr Kulitz, auf dem G20-Jungunternehmergipfel in Berlin sind viele junge Unternehmer. Im internationalen Vergleich hinkt der deutsche Mittelstand in Sachen Digitalisierung, so der Eindruck, zurück. Was ist das größte Problem?
Alexander Kulitz: Ich glaube der Eindruck trügt nicht. In dem Fall ist es tatsächlich so, dass wir sehr zurückhinken. Die größte Herausforderung ist unsere Herangehensweise. Das hat erstmal mit der gesellschaftlichen Herangehensweise an das Thema Digitalisierung zu tun. Wir Deutschen neigen schnell dazu, Dinge, die wir nicht kennen, skeptisch zu betrachten oder sogar zu verbieten. Erst mit einem gewissen Erlaubnisvorbehalt nähern wir uns neuen Themen. Das ist glaube ich der große Fehler.
Was bedeutet das konkret?
Kulitz: Natürlich hakt es vorne und hinten. Der Breitbandausbau ist inzwischen politisch erkannt. Allerdings verläuft er sehr schleppend. Das müsste mit ganz anderer Geschwindigkeit vorangetrieben werden.
Damit meine ich nicht, dass man Kupferkabel nochmal flott macht, sondern dass wir Gelder, gerade öffentliche Gelder, in Glasfaserkabel stecken damit wir zukunftsfähig sind. Da sind wir unfassbar hinterher. Alles in allem ist das Haupthindernis glaube ich tatsächlich unsere Einstellung. Alles, was wir nicht kennen, sehen wir skeptisch, und das ist ein großes Problem.
Wie schaffen wir es diesen Kulturwandel durchzuführen?
Kulitz: Eine Forderung der Wirtschaftsjunioren ist, dass digitale Kompetenzen verpflichtend an den Schulen gelehrt werden. Das ist nicht flächendeckend der Fall in Deutschland. Wir gehen sogar so weit, dass wir gerne ein Pflichtfach Coding/Programmieren hätten.
Warum?
Kulitz: Das wäre der erste Schritt, um etwas Unbekanntes bekannter zu machen. Ich glaube dann ist auch eine andere Bereitschaft da, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die sonst nicht da ist. Das ist das Problem. Wenn ich mich nie mit Physik beschäftige, erhalte ich nicht einmal die Möglichkeit, in diesem Gebiet aktiv zu werden. Ich denke mit einem Schulfach kann man da bereits sehr viel erreichen.
Pflichtfach oder Wahlpflichtfach?
Kulitz: Für uns gilt wie immer: Das Ergebnis zählt. Sicherlich ist es auch eine Option, dass Programmieren als Alternative zur zweiten Fremdsprache angeboten wird. Aber ich möchte es eigentlich nicht in einen Topf werfen.
Darüber hinaus muss – nicht in der 10. Klasse, sondern viel früher – den jungen Menschen ein grundlegendes IT-Verständnis mitgegeben werden. Wir sind teilweise in der Situation, dass die Kinder mehr wissen als die Lehrer. Das ist nicht immer angenehm für die Lehrkräfte. Aber es muss definitiv strukturiert werden. Bisher fehlt dieses Thema flächendeckend in den Lehrplänen. Um einen Sinneswandel hervorzurufen, brauchen wir das. Davon bin ich überzeugt.
Halten Sie es für realistisch, dass ein solches Projekt in der nächsten Legislaturperiode angegangen wird?
Kulitz: Ich denke es ist realistisch, denn politisch wurde erkannt, wie drastisch die Veränderungen durch die Digitalisierung sind. Jetzt ist es nur so, dass Schuldbildung Ländersache ist. Aber wir haben mit der Kultusministerkonferenz und anderen Formaten durchaus die Möglichkeit, von Bundesseite aus immer wieder Projekte anzustoßen.
Wir leben heute Science Fiction. Das ist nichts mehr, das sich George Lucas ausdenkt.
Und ja, ich bin sogar fest davon überzeugt, weil es ist fraktionsübergreifend gängige Meinung, dass die Digitalisierung ein wichtiges Thema werden wird. Alles, was wir heute verschlafen, wird uns in 15 oder 20 Jahren massiv treffen.
Da möchte ich auch mit Hinblick auf die Politik noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass wir eines der Länder sind, die einfach noch unglaublich schlafen. Auch in Europa gibt es viele Länder, die bereits Pflichtfächer an den Schulen haben. Ich rede hier nicht von der 10. oder 11. Klasse. Die fangen zum Teil schon in der Grundschule an. Programmieren ist beispielsweise in England und den baltischen Ländern ein Pflichtfach.
Von China, dem Schreckgespenst der deutschen Wirtschaft, möchte ich ja gar nicht anfangen zu reden. Wenn ich mir überlege, dass in China jedes Kind programmieren lernen muss – und das bei 1,8 Milliarden Bürgern –, kann ich mir gut vorstellen, dass es für uns ein großer Wettbewerbsnachteil ist, wenn unsere Kinder nicht einmal eine Grundbildung bekommen.
Es geht nicht darum, dass jeder Informatik studiert. Das ist eine individuelle Entscheidung. Aber wir lernen ja auch nicht alle Physik, um Automechaniker zu werden. Man muss die Grundlagen kennen, damit man die Technologien der Zukunft nicht nur bedienen kann, sondern auch versteht.
Häufig wird auch die mangelnde Aufklärung im Bereich Datenschutz kritisiert.
Kulitz: Datenschutz und Datensicherheit sind alles Seiten einer Medaille, die zu diesem Thema dazugehört. Die Art, wie wir in Deutschland Datenschutz betreiben, hat Vorteile aber auch eine Menge Nachteile. Datenschutz fängt nicht beim Gesetzgeber an, sondern beim Einzelnen.
Gerade Kinder neigen dazu, sich keine Gedanken darüber zu machen, was mit ihren Daten passiert. Man gibt gerne Dinge von sich Preis, die im Nachgang negative Konsequenzen haben können. Jetzt ist das nichts Neues. Wir kennen das auch aus dem analogen Zeitalter.
Das müssen Sie erklären.
Kulitz: Ich glaube, wenn man wie ich aus einem ländlichen Raum kommt und in einem Dorf aufgewachsen ist, kennt man das. Nur: Damals hat sich diese Offenheit auf das Dorf beschränkt. Digital ist das Dorf die Welt und das muss man erstmal verstehen. Was einmal im Netz ist, bleibt im Netz. Wenn wir im Gesetz das Recht auf Vergessen implementieren wollen, habe ich große Zweifel, ob man juristisch oder gesetzgeberisch etwas vorschreiben kann, was technisch so schwierig umzusetzen ist.
Welches Ereignis hat Sie als Unternehmer dazu gebracht, diese Einstellung zu gewinnen?
Kulitz: Was uns immer besonders stark prägt, sind Negativereignisse. Wenn man hört, dass die Playstation gehackt und Millionen Kreditkartendaten freigegeben worden sind und anschließend der Brief ins eigene Haus kommt, wird man immer wieder mit der Nase darauf gestoßen. Ob es für mich ein spezielles Ereignis gibt, weiß ich nicht. Häufig sind es gerade Kongresse wie der G20-Jungunternehmergipfel.
Warum ist das so?
Kulitz: Ich komme aus der Industrie. Das heißt ich habe nicht den direkten Bezug. Wenn man sich dann austauscht und erfährt, was sich alles getan hat – von Artificial Intelligence bis hin zu Augmented und Virtual Reality – , merkt man, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wohin das führt. Und dann macht es jedes Mal „klick“.
Wir leben heute Science Fiction. Das ist nichts mehr, das sich George Lucas ausdenkt. Nein, das ist echt. Ich bin hoch gespannt, was uns noch erwartet. Soweit ich weiß, sollen diesen Sommer die ersten Simultanübersetzungsgeräte erscheinen, die ich mir noch ins Ohr stecken muss. Natürlich braucht diese Technologie noch Zeit. In drei, vier oder fünf Jahren werden sie jedoch das Feld der Übersetzer komplett disrupieren. Wir werden Übersetzer nicht mehr brauchen.
In jedem Feld, das wir seit Jahren oder Jahrhunderten kennen, wird die Technologie Prozesse verändern oder ersetzen. Das muss man sich immer wieder bewusst machen. Das ist gerade für Unternehmer nicht immer einfach. Man muss immer am Markt bleiben, kucken, was sich im digitalen Umfeld tut, und überlegen, was die Zukunft von uns verlangen wird.
Vielen Dank für das Gespräch.