Derzeit gibt es vieles an Googles Accelerated Mobile Pages zu kritisieren. Es steht nichts geringeres als das freie Internet auf dem Spiel. Und noch mehr.
„Gemeinsam das Internet der Zukunft entwickeln“ – so pathetisch beschreibt das AMP-Project sein ambitioniertes Vorhaben. AMP, Accelerated Mobile Pages, sollen das Internet auf Mobilgeräten beschleunigen.
Das leuchtet ein. Immerhin laden Websites auf dem Smartphone beispielsweise in ländlichen Regionen oder in der U-Bahn oft sehr langsam oder gleich gar nicht. AMP müsste also vor allem für uns Nutzer eigentlich begrüßenswert sein.
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Was genau sind AMP und wie funktionieren sie?
Die Accelerated Mobile Pages wurden im Herbst 2015 von Google ins Leben gerufen. Ziel ist es, vor allem Nachrichtenseiten blitzschnell auf Mobilgeräten zu laden und weniger Daten zu verbrauchen. „Bessere Performance und mehr Engagement“, heißt es auf der Website des Projekts.
Das erspart uns Lesenden einiges an Frust und wir haben mehr Zeit, Inhalte zu konsumieren. Ein Segen also nicht nur für Lesende, sondern auch für Publisher, deren Websites wir so wahrscheinlich noch häufiger ansteuern. Fast alle namenhaften deutschen Nachrichtenseiten machen mit. Etwa Süddeutsche, Spiegel Online oder Bild.
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Seiten schon während der Suche vorladen
AMP funktionieren erstaunlich gut. Nachrichtenseiten laden meist in unter einer Sekunde. Um eine Website AMP-tauglich zu machen, muss sie jedoch deutlich den Richtlinien von Google angepasst werden.
Es wird – vereinfacht gesagt – eine Kopie der Seite erstellt und auf Googles Server geladen. HTML wird stark komprimiert, alle Javascript-Anwendungen werden verworfen und durch ein einziges AMP-eigenes Script ersetzt.
So ist es möglich, die (kopierte) Website schon während der Google-Suche vorzuladen. Werbung wird außerdem nur an dafür festgelegten Plätzen angezeigt, ausschließlich von freigegebenen Werbepartnern. Keine nervigen Pop-ups und andere aggressiven Marketingmethoden.
Open Source und doch nicht so offen
Das klingt erstaunlich vertraut, wenn man schon mal von Facebooks Instant Articles gehört hat, die wenige Monate vorher eingeführt wurden. Schnelle Ladezeiten durch das Kopieren und Hochladen von News-Content, dafür jedoch strikter geregelte Werbung und (viel) weniger Gestaltungsspielraum. Der große Unterschied: AMP sind Open Source. Sie sind, so sagt man, viel offener.
AMP-Websites sind von ihren Originalen optisch kaum zu unterscheiden. Wenn man auf eine in der Google-Suche klickt, wird man nicht auf die tatsächliche Seite geleitet, sondern auf eine Kopie, die auf Googles Servern liegt. Nur der Link in der Adresszeile des Browsers (google.de/amp…) verrät das. Und der bleibt auch so. Selbst, wenn man den Artikel beispielsweise bei Twitter oder WhatsApp teilen möchte.
Gegen den Grundgedanken des Internets
Und damit wären wir beim Problem: Was nämlich bei Instant Articles schon für scharfe Kritik sorgte, ist bei den vermeintlich offeneren AMP kaum anders. Vielleicht ist Googles Vorhaben, das Internet zu verändern, sogar noch problematischer als Facebooks (nicht ganz so erfolgreicher) Versuch, Leser auf der Plattform zu behalten. Denn Facebook gibt nicht vor, offen zu sein. Da sind die Risiken offensichtlicher.
Das Internet an sich war und ist deshalb ein so großer Wurf, weil es dezentral stattfindet. Deshalb nennt man es „Netz“ oder „Web“. Es ist ein Geflecht aus vielen Rechennetzwerken. Indem Google die Struktur verändert, gefährdet es auch seinen freien und gleichen Charakter. Denn spinnt man den Gedanken hinter den AMP ein wenig weiter, läuft bald alles über Googles Server.
Man müsste sie kaum mehr verlassen. Das Netz würde also nur noch über wenige Knotenpunkte allein von Google laufen. Das Internet wäre nun nicht mehr dezentral und würde seinen Namen kaum mehr verdienen. Eine dystopische Vorstellung, die bei einem so großen und mächtigen Konzern wie Google gar nicht so weit hergeholt wirkt.
Die Privatisierung der Meinungsfreiheit, again!
Für Medienhäuser, besonders Nachrichtenseiten, sind Googles AMP auf dem ersten Blick ein Segen. Schnellere Ladezeiten, weniger Datenverbrauch und eine bessere Platzierung in den Suchergebnissen. Viele aktuelle Artikel erscheinen nämlich in einem „News-Karussell“, dass einzig AMP-optimierten Seiten vorbehalten ist. Erkennbar für Nutzer am Blitz-Symbol auf der Google-Seite.
Doch wie auch schon bei Facebooks Instant Articles (wir berichteten) schneiden sich Publisher und Medienpartner hier möglicherweise ins eigene Fleisch. Sie geben nämlich auch hier ihre Inhalte und damit einen Teil der Kontrolle an ein privates IT-Unternehmen aus dem Silicon Valley ab, welches im schlimmsten Fall wenig von journalistischen Standards und Richtlinien hält.
Weniger Geld durch AMP und Instant Articles
Zeitungen trennen sich von ihren Inhalten und verlieren möglicherweise ihre alte Souveränität. Sie werden noch enger an Google gekettet. Resultat der Zusammenarbeit ist ein ungleiches Abhängigkeitsverhältnis, das bereits im Oktober letzten Jahres in einem Bericht des Wall Street Journal deutlich wurde, als sich einige Medienpartner über die durch AMP niedrigeren Werbeeinnahmen beschwerten.
Diese wollten nicht namentlich genannt werden, weil sie Angst vor Vergeltung durch Google hatten. Keine Situation beschreibt die Problematik passender und alarmierender als die Abhängigkeit der Nachrichtenhäuser von einem einzigen privaten Mega-Konzern.
Frei für alle
Hinzu kommt, dass Publisher mit AMP auch deutlich eingeschränktere Analysedaten über ihre Leser bekommen. Lediglich wenige Daten gibt Google frei, mit denen zur Optimierung des Online-Auftritts wenig anzufangen ist.
Weil Googles AMP offen ist, kann theoretisch jede Website auf den Zug aufspringen. Auch unseriöse Seiten, die falsche oder überspitzte Nachrichten verbreiten, um Werbeeinnahmen einzuheimsen. Oder Quellen, deren Finanzierung keine vollständig unabhängige Berichterstattung vermuten lässt.
Und durch das AMP-Logo und der guten Platzierung in Suchergebnissen entsteht leichtgläubig der Eindruck es handele sich um eine vertrauenswürdige Quelle, die von Google unterstützt wird.
Einziger Gewinner: Google
Die immer noch schwierige Vermarktung von Nachrichten im Netz verleitet Verlage leider immer wieder zu problematischen Entscheidungen in der Zusammenarbeit mit großen IT-Unternehmen. Die Situation ist ohne Frage alles andere als einfach zu bewältigen.
Vor allem Facebook und Google ködern mit vermeintlich lukrativen Vermarktungsmodellen für journalistische Inhalte. Und Medienhäuser springen in ihrer Verzweiflung nur zu gern auf den Zug auf.
Dabei braucht es AMP gar nicht, um Websites schneller laden zu lassen. Die Struktur kann man auch selbst schlanker gestalten. Und das Vorladen von Seiten wäre kaum mehr nötig, wenn der Ausbau von mobilen Datennetzen schneller voran gehen würde. Denn am meisten scheinen Nutzer von AMP zu profitieren, wenn sie gerade keine schnelle Datenverbindung haben.
Schwierige Situation
Nur Google profitiert langfristig von seinem AMP-Projekt. Publisher verlieren ihre Souveränität und wir Nutzer unser freies Internet. Das mag überspitzt klingen, doch Googles Ambitionen gehen weit über das Kopieren von mobilen Teilseiten hinaus. Theoretisch können alle Websites dieser Welt AMP-tauglich gemacht werden. Alle würden über Googles Server laufen.
Einziger Vorteil für AMP-Partner: Ein besseres und kontrollierteres Ranking in den Suchergebnissen. Das macht es besonders schwierig, Nachrichtenhäusern von Googles AMP abzuraten.
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