Lange Zeit galt Snapchat als Sexting-App für pubertierende Teenager. Eigentlich war es Snap-CEO Evan Spiegel gelungen, das Schmuddel-Image abzulegen. Doch die Medienpartner und seine Nutzer machen ihm einen Strich durch die Rechnung.
„Du glaubst nicht, wie blöd die sind. Das ist das Erschreckende dabei. Die denken tatsächlich, wir wären Menschen. Dabei musst du dir das nur mal einen Tag ansehen, dann weißt du Bescheid. Wir jagen ein Tussi-Selfie raus, No-Nipple-Policy selbstverständlich und bekommen 20 Schwanzfotos zurück“, erklären Manuel und Sven (Namen geändert).
Die beiden Unternehmer sprechen von Snapchat und seinen Nutzern. Ein gutes Wort über die Nutzerschaft der App fällt in unserem exklusiven Interview mit den zwielichtigen Affiliate-Spammern nur selten. Manuel und Sven haben ein vollautomatisiertes Netzwerk an Fake-Accounts auf Snapchat aufgebaut, das jeden Tag drei Millionen Menschen erreicht.
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Das Geschäftsmodell dahinter – pro Tag werden rund 800 US-Dollar eingenommen – ist simpel. Die Fake-Accounts setzen täglich hunderte Bilder ab. „Wir posten vom Karnickel bis zu Titten, meist sind es Selfie-artige Bilder, aber keine Nippel“, erklären sie. Die Aufnahmen sammeln sie im Netz auf Seiten wie Tumblr, 4Chan oder Imgur.
Pornografische Inhalte als Gefahr für das Geschäftsmodell
Wie lange Manuel und Sven mit ihrem Geschäftsmodell noch Geld verdienen werden, hängt alleine von Snapchat ab. Doch noch macht der aufstrebende Social-Media-Star nur wenig gegen das zwielichtige Geschäftsmodell. Es könnte also der Eindruck entstehen, dass Evan Spiegel und sein Team nur in den schlimmsten Fällen gegen sexuelle Anspielungen vorgehen.
Dazu passt auch die Aussage von Rob Norman in der New York Times, die jüngst für Aufsehen sorgte: „Wir wurden darüber benachrichtigt, dass einer unserer gesponsorten Filter von einem Porno-Star verwendet wurde.“ Norman ist Chief Digital Officer bei der Group M, eine der größten und finanziell stärksten Media-Agenturen der Welt.
Im weiteren Verlauf wirft der Manager Snap vor, zu wenig gegen den Missbrauch von Werbefiltern und für den Schutz der Werbekunden zu machen. Sein Argument ist verständlich: Wenn ein Unternehmen eine Anzeige hinter einer Story mit anzüglichen oder sexuellen Inhalten schaltet, leidet sehr wahrscheinlich das Image der Marke unter dem Umfeld.
Das möchte weder der Werbungtreibende noch Snap selbst. Schließlich entfällt der Großteil des Umsatzes der Firma von Evan Spiegel (400 Millionen US-Dollar) auf die Ausgaben der Advertiser.
Das Prinzip der Vergänglichkeit
Doch wie ist Snapchat überhaupt zu seinem zweifelhaften und anrüchigen Ruf gekommen? Die Antwort liegt in der Funktionalität und im Kernelement von Snapchat: der Vergänglichkeit. Auf der einen Seite gibt es die Stories, deren Inhalte nach exakt 24 Stunden unwiederbringlich gelöscht werden.
Die einzige Möglichkeit, Bilder zu speichern, besteht darin, einen Screenshot anzufertigen. Macht man dies, wird jedoch der Ersteller einer Story darüber informiert.
Dieses System gilt in verschärfter Form auch für die One-to-One-Kommunikation zwischen Nutzern. Jedoch wirst du nicht nur informiert, wenn dein Gegenüber einen Screenshot deines Inhalts macht, sondern sogar, wenn er deinen Inhalt zum zweiten Mal abruft.
„Erschwerend“ kommt hinzu, dass Snapchat die Anzahl der Wiederholungen auf zwei beschränkt hat. Der Mehrfachkonsum von Bildern und Videos oder eine Chat-Historie wie bei Facebook oder Twitter sind in der App einfach nicht möglich.
Eben jenes Konzept des Vergessens haben sich Nutzer rund um den Globus zu Eigen gemacht und Snapchat als Kanal für Sexting genutzt. Selbstverständlich ist der Großteil der Inhalte in der App lustig oder informativ. Nichtsdestotrotz darf man die Anziehungskraft des Privaten und Geheimnisvollen nicht unterschätzen.
Die Medien verderben Snapchat
Es sind jedoch nicht nur die Nutzer, die für das zum Teil schlechte Image von Snapchat verantwortlich sind. Auch im Discover-Bereich ist der User nicht vor sexuellen Anspielungen geschützt. Eigentlich ist das Discover-Feature die Schnittstelle zwischen der privaten und öffentlichen Welt in Snapchat. Hier veröffentlichen ausgewählte Medien täglich Inhalte. Als Partner mit an Bord sind unter anderem die Spieleplattform IGN, der Guardian, CNN, Mashable, Vice und die Daily Mail.
Wer regelmäßig auf Snapchat unterwegs ist, stellt fest, dass insbesondere die Boulevard-Presse gerne mit leicht-bekleideten Frauen oder anderen sexuellen Reizen die Klick-Rate für ihre Artikel erhöhen möchte.
Jener Hang zur Sexualisierung führte im Juli 2016 sogar dazu, dass ein 14-Jähriger und seine Mutter das soziale Netzwerk verklagt haben. Neben der Bebilderung wurde auch der Text scharf kritisiert: „Zehn Dinge, an die er denkt, wenn er dich nicht zum Orgasmus bringen kann“, lautete eine Überschrift eines Discover-Artikels.
Ob sich die Kläger und Angeklagte geeinigt haben oder nicht, ist nicht bekannt. Als Konsequenz verschärfte Snapchat jedoch Ende Januar 2017 die Richtlinien für Medienkonzerne im Discover-Bereich.
Die neuen Regeln sollen dazu führen, dass die Medienpartner von Snapchat „ihren Teil dazu beitragen, dass Snapchat eine informative, faktenbasierte und sichere Plattform bleibt“, wird eine Unternehmenssprecherin zitiert.
Offensichtlich ist dieser Hinweis noch nicht bei allen Inhalte-Produzenten angekommen. (s. Screenshot)
Geheimnisse und Forderungen
Trotz aller berechtigen Kritik ist Snapchat nicht von Grund auf schlecht. Die Anzahl der Firmen, die in der App werben oder über private Accounts ihre Inhalte verbreiten, wird weiter steigen. Die Nutzerschaft der Plattform ist im Vergleich zu Facebook, Twitter und Instagram immer noch unschlagbar jung. Kreative Konzepte und gutes Storytelling können dazu beitragen, Produkte in einer völlig neuen Zielgruppe bekannt zu machen.
Desweiteren muss erwähnt werden, dass „Sexting“ ein allgegenwärtiges Problem in privaten Kommunikationskanälen ist. Das gilt für den Facebook Messenger und WhatsApp ebenso wie für E-Mails oder die SMS. Trotzdem dürfte der Anteil an sexuellen Inhalten in der App von Evan Spiegel im Verhältnis höher ausfallen. Das zeigt bereits eine kurze Internet-Recherche, die zahlreiche Tumblr- und Reddit-Foren mit zwielichtigem Snapchat-Material an den Tag bringt.
Gerade weil Snapchat zahlreiche minderjährige Nutzer zwischen 13 und 17 Jahren hat, muss das Management noch stärker gegen sexuelle Inhalte vorgehen. Dazu gehören sowohl klare Richtlinien für Medienpartner, die auch streng kontrolliert werden, als auch ein hartes Filter-, Analyse- und Löschsystem, das unpassende Inhalte noch vor dem Verschicken löscht. Als Vorbild kann hier durchaus Instagram dienen.