Ja, ja, die Sache mit den Zertifikaten. Früher nur im Supermarkt gern gesehener Marketinghebel, gibt es heute auch im Netz zahlreiche Zertifikate für dieses und jenes. Nun auch eines für Influencer.
Wir bekommen hier ungefähr monatlich Anfragen für Siegel, Zertifikate und sonstige Bewertungen und Tests unserer Seite. Das Spiel läuft immer gleich:
Hey, wir haben da ein Siegel für euch, weil ihr [hier Grund einsetzen] ganz toll macht! Wenn ihr das haben wollt, müsst ihr nur [hier Betrag im dreistelligen Bereich einsetzen] bezahlen, dann dürft ihr es auf eurer Website verwenden und alle Welt von euch überzeugen!
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– Oh, wirklich, das würdet ihr für uns tun?
Ja, Glaubwürdigkeit ist uns wichtig! Also seid ihr dabei?
– Nein.
Der Grund dafür: Dieser ganze Zertifizierungswahnsinn ist zu einem fetten Geschäftsmodell geworden. Wir testen euch ganz unabhängig, dafür wollen wir aber 499,- Euro von euch. Das ist Mist.
Das wäre in etwa so, als würden wir hier Geld von Herstellern dafür verlangen, dass wir ihre Produkte testen. Da kannst du dir noch so sehr Unabhängigkeit auf die Fahnen schreiben, das ist de facto keine mehr.
Mit Siegel und QR-Code zum Influencer
Über einen Facebook-Post des geschätzten Jan Firsching bin ich nun auf ein ganz neues Phänomen gestoßen: Das Influencer-Gütesiegel. Das „trusted reach“-Zertifikat will „Guarantee for Online Reach“ nachweisen und „bessere und lukrativere Kooperationen“ für Influencer schaffen.
Als zertifizierter Influencer der das trusted REACH Siegel tragen darf, zeigst du allen interessierten Advertisern, das es sich bei deiner Reichweite um reale Werte handelt.
Dadurch wirst du nicht nur deutlich mehr Anfragen von Advertisern als bisher erhalten, sondern auch gleichzeitig wertigere Produkte und bessere Vergütungen.
Du darfst deinen Social-Media-Account mit unserem Siegel versehen und bekommst gleichzeitig einen trusted-Reach-QR-Code , der deine Zertifizierung noch einmal bestätigt.
Einen QR-Code. 2017.
So true! ?
Via @SonsofAd pic.twitter.com/twxuf6vRkT
— BASIC thinking (@basicthinking) March 19, 2017
Mehr Vertrauen durch Intransparenz?
Nun gut, grundsätzlich ist der Ansatz, etwas gegen all die Spamer und Faker auf Instagram und Co. zu tun, ja richtig. Wie einfach es ist, per Bot über Nacht Tausende Follower auf Instagram zu bekommen, haben wir hier ja schon gezeigt.
Mit der Bewegung und Dynamik in der Branche lässt sich aktuell sicher viel Schindluder treiben. Jeder will irgendwas mit Influencern machen, aber kaum jemand kapiert aktuell, was, wie, wann, wo, wie viele wichtig sind dabei.
So kommt es dann auch, dass man immer wieder von abenteuerlichen Kooperationen hört, die fernab jeglicher Realität liegen. Das Problem ist nur, dass mehr Intransparenz auch nicht zu mehr Vertrauen führt. Und genau das finden wir offenbar beim Influencer-Siegel von „Trusted Reach“. So heißt es auf der Website:
Influencer und Agenturen, die unser trusted REACH Siegel erhalten werden ständig auf die Einhaltung unserer Qualitätskriterien überprüft. Durch ein kompliziertes Analyseverfahren von verschiedenen Interaktionen können wir ermitteln – ob die Anzahl der Follower in den sozialen Medien realistisch sind oder nicht.
Die einzigartigen Analysen ermöglichen eine genaue Herangehensweise und eine Beurteilung der Reichweiten und der damit zu erwartenden Aufmerksamkeiten. Diese Analysen haben wir in mehrere Kennzahlen erfasst – und bilden aus diesen zahlen einen Referenzwert. Erst durch Erreichen eines Mindeststandards an Referenzwert kann man trusted REACH Mitglied werden.
Sollte dieser Referenzwert in der Folgezeit wieder unterschritten werden, wird das trusted REACH Siegel wieder entzogen.
Bei der Frage nach dem komplizierten Analyseverfahren stellt sich dann schon die Frage, wie genau das umgesetzt werden soll. Klar, bei Business-Accounts auf Instagram lässt sich in den Statistiken die Reichweite in ein paar wenigen Kennzahlen ablesen, aber dann müssten sich die „Trusted Reach“-Macher auf die Angaben der so genannten Influencer verlassen, was wiederum nicht sonderlich seriös wäre.
Wichtige Kriterien bei Influencer-Kooperationen
Somit bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, sich das Wachstum der Follower und die Interaktionen pro Post anzuschauen. Auch das ist längst kein verlässlicher Wert. Man kommt als Advertiser nicht drum herum, sich den Account ganz genau anzuschauen, mit dem man kooperieren möchte – da hilft auch kein Gütesiegel. Kriterien sind zum Beispiel:
- Wie viele Interaktionen bekommt der Account und
- wie hochwertig sind diese (z.B. nur Spam-Bots)?
- handelt es sich dabei nur um Likes oder auch um hochwertige Kommentare?
- Welche Inhalte teilt der Account und
- wie tut er es?
- wie oft tut er es?
- Wie viele Follower hat der Account und
- wie hochwertig sind sie?
- wie stark ist das Vertrauen der Follower in den Influencer?
- ist es eine Fanschaft oder eine reine „Info-Beziehung“?
- Wie gut passt der Influencer eigentlich zu meinem Produkt und
- spricht er überhaupt meine Zielgruppe an?
- wie alt sind seine Follower?
- aus welchem Land kommen sie?
- welches Geschlecht haben sie?
All das sind Dinge, die viel tiefer gehen und nicht einfach von einem automatischen Verfahren überprüft werden können. Und davon hängt maßgeblich der Erfolg von Kampagnen ab, zum Beispiel auf Instagram.
Hat der Account nur viele Interessenten, aber keine echten Fans, dürften sich die Auswirkungen eines Product Placements auf die Kaufkraft stark in Grenzen halten – selbst wenn er Follower im siebenstelligen Bereich hat.
1.600 zertifizierte Influencer
Das „Trusted Reach“-Siegel kostet zwischen 5 und 30 Euro pro Monat, je nachdem welches Paket man bucht. Agenturen können sich auch gleich mehrere Accounts „zertifizieren“ lassen.
Laut eigenen Angaben wurden bereits 8.700 Influencer geprüft, das Siegel dürfen davon nur 1.600 tragen, bei den Agenturen ist das Verhältnis etwas besser (43 von 78). Und tatsächlich, das Siegel lässt sich per schneller Recherche tatsächlich auf einigen Websites finden:
Ob die Angaben valide sind, ist schwer zu prüfen, die gesamte Website befindet sich wohl eher in einem Aufbauzustand. Wir haben bei „Trusted Reach“ nachgefragt, was es mit dem Analyseverfahren auf sich hat und wie man hier die Abgrenzung zu sehr leicht umzusetzender Manipulation (z.B. durch Bots) schafft. Sobald wir Rückmeldung erhalten, ergänzen wir den Artikel entsprechend.
Macht gute, ehrliche Arbeit!
Am Ende wurde aus der Unsicherheit der Branche ein Geschäftsmodell gemacht. Das ist soweit ziemlich clever, bringt die Branche aber nicht weiter. Auch wenn ein Siegel Vertrauen schafft: Es garantiert keine erfolgreichen Kampagnen. Das kann nur eine richtige, ausführliche, manuelle Prüfung der Accounts.
Also bitte, liebe Influencer: Macht gute, ehrliche, klar gekennzeichnete Arbeit! Liebe Agenturen: Schaut euch diese Arbeit genau an und gebt validere Werte an eure Werbekunden weiter als ein Siegel.
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Was für eine tolle Geschäftsidee: Wenn die Zahlen Stimmen, verdient der Anbieter dieses Siegels monatlich einen fünfstelligen Betrag! Sind wirklich so viele „große Influencer“ so dämlich und zahlen jeden Monat für ein solches Siegel? Man sollte das mit einem aufwändigen Prüfverfahren mal verifizieren…
Ich bekomme Kopfschmerzen vom Kopfschütteln.
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