Snapchat entwickelt sich gerade zu einem der größten Medienunternehmen der Welt. Wie kann es sein, dass gleichzeitig immer noch viele Journalisten und Medienhäuser den Dienst kaum bis gar nicht nutzen?
Derweil macht das Social-Media-Unternehmen Snapchat durch seinen geplanten Börsengang auf sich aufmerksam. Wenn er erfolgreich ist, wird sich der Wert des Unternehmens auf 25 Milliarden Dollar belaufen, was Snapchat zu einem der erfolgreichsten Medienunternehmen der Welt machen würde.
Das IPO-Filing ermöglichte zum ersten Mal eine genauere Einordnung des sonst sehr verschwiegenen Unternehmens, einen tieferen Blick in die Struktur und die Ziele. Das fängt schon bei der eigenen Beschreibung des Mutterkonzerns Snap Inc. als Kameraunternehmen an.
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Snapchat ist demnach hauptsächlich eine Kamerapp, die Spectacles, also die hauseigene Kamerabrille als erste selbst hergestellte Kamera, die passende Ergänzung.
Von der Sexting-App zum Lifestyle-Mediengiganten
Seit dem Start der App 2011, damals noch ausschließlich als kurzlebiger Messenger mit eher freizügigen Inhalten, hat sich das Unternehmen zu einem riesigen Mediengiganten mit Lifestyle-Image gemausert. Auf keinem sozialen Netzwerk wurden in den letzten Jahren mehr Videos konsumiert.
Mittlerweile knapp 10 Milliarden täglich, was Facebook schon vor einer Weile dazu anhielt, Snapchats „Story“-Funktion kurzerhand zu kopieren und bei Instagram einzufügen. Das bewies einmal mehr den unglaublich großen Stellenwert, den Snapchat auf dem Markt einnimmt.
Außerdem möchte man offenbar auch dem klassischen TV-Geschäft Konkurrenz machen. Einige exklusive Verträge mit etablierten Shows wie „Saturday Night Live“, „The Voice“, „The Tonight Show“ und „Planet Eart II“ gibt es bereits, andere sind in Planung. Und aus der IPO geht hervor, dass Snap Inc. (natürlich) vor allem bei jüngeren Generationen stark auf den Trend weg von herkömmlicher Fernsehkultur hin zu mobilem TV-App-Konsum setzt.
Snapchat am Anfang der Reise
Eines ist also nicht erst seit der Veröffentlichung der IPO klar: Snapchat ist riesig, aus der Social-Media-Landschaft kaum mehr wegzudenken und als Medienanbieter wohl noch am Anfang der Reise.
Es steht sinnbildlich für den Wandel der Branche. Wer diesen als Medienschaffender vollständig mitmachen möchte, kommt an Snapchat eigentlich kaum mehr vorbei. Umso überraschender ist die Tatsache, dass viele Medienhäuser und Journalisten auf Snapchat nicht präsent sind.
Warum? Wie kann Snapchat einerseits als eines der bald größten Medienunternehmen gelten, während es bei vielen Medienhäusern noch gar nicht angekommen ist? Social Distribution ist doch seit Jahren das Zauberwort der Medienverbreitung der Zukunft.
Sind die klassischen, etablierten Medienhäuser und Zeitungsverlage mal wieder zu konservativ und zu verschlafen, einen neuen Trend zu erkennen und zu nutzen?
Vielen ist Snapchat zu fremd
Das stimmt in Teilen sicherlich. Snapchat hat den Ruf, vor allem bei 14-jährigen Teenagern beliebt zu sein. Und Ältere, ob nun medienschaffend oder nicht, verteufeln bekanntermaßen regelmäßig die Mediennutzung der Teenager-Generation, bis sie sich deren Gewohnheiten irgendwann schließlich selbst aneignen.
Vieles an Snapchat ist am Anfang einfach zu jung, zu neu und zu anders. Der Dienst fährt in weiten Teilen schließlich eine ganz andere Strategie. Sinnbildlich dafür steht sicherlich die für Twitter- und Facebook-Nutzer erstmal unglaublich verwirrende Menüführung.
Eine App, die mit der Kamerfunktion als Homescreen startet? Nachrichten, die sich in 24 Stunden wieder von selbst löschen? Wer könnte denn so etwas wollen, vor allem im Journalismus?
Laden, nicht verstehen, löschen
Haben viele Journalisten gerade erst den Umgang mit Twitter und Facebook zur Verbreitung der eigenen Inhalte gelernt, müssen sie nun umdenken. Denn eins steht fest: Snapchat funktioniert anders als die älteren sozialen Netzwerke. Man darf nicht den Fehler machen und die selben Inhalte nun zusätzlich auf Snapchat publizieren.
In vielen Teilen ist Snapchat sogar der genaue Gegenpart zu Twitter und Facebook: Publizierte Inhalte finden beispielsweise nur auf Snapchat statt. Es gibt keine Links wie auf Twitter, die auf die eigentliche Online-Präsenz des Nachrichtenportals verweisen.
Und durch die Kurzlebigkeit, vor allem der Storys, sind Nutzer beinahe gezwungen, regelmäßig vorbeizuschauen. Außerdem entscheidet kein Algorithmus oder die Menge an getätigten Likes über die Wichtigkeit von (abonnierten) Inhalten.
Zu allem Übel wird neuen Nutzern das alles nicht selbsterklärend vermittelt. Sicherlich laden sich viele Medienschaffende die App herunter, verstehen sie nicht und löschen sie anschließend völlig überfordert wieder. Wie Snapchat funktioniert, bleibt unbekannt.
Die Discover Funktion
Ein weiteres Problem: Snapchats „Discover“-Funktion. Derzeit gibt es, zumindest für deutsche Medienhäuer, keine Möglichkeit, mitzuwirken. Deutsche Nutzer finden in der App bisher nur englischsprachige Inhalte beispielsweise von Buzzfeed, IGN oder National Geographic vor.
Wie MEEDIA Ende letzen Jahres vermutete, erwies sich Snapchat für hiesige Medienhäuser bisher nicht als verlässlicher und professioneller Partner. Zu hoch sei außerdem der finanzielle Aufwand, zu gering die kaum kalkulierbaren Einnahmen, zu unfair die Konditionen und zu umprofessionell das Unternehmen im Umgang mit großen Medienpartnern.
Medienschaffende müssen verstehen, worum es bei Snapchat geht
Doch mit der zunehmenden Nutzung von Smartphones (und Tablets) kam bekanntlich langsam die Einsicht, dass klassische Medienhäuser ihr Nachrichtenangebot dorthin verlagern müssen, wo sich ihre Leser aufhalten. Das sind vor allem soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram.
Aber eben auch Snapchat. Nutzer entscheiden heute selbst, welches Medienangebot sie nutzen. Wer also den noch immer andauernden Wandel der Medienbranche mitmachen möchte, muss zumindest verstehen, worum es bei Snapchat geht: Um lustige, absurde und ernste Fotos mit Freunden und von Journalisten, um schnelllebige Chats.
Nicht um eine um jeden Preis perfekt inszenierte Identität wie bei Facebook oder Instagram, sondern um Authentizität und Vergänglichkeit der Inhalte. Und seit einiger Zeit auch um exklusive, Smartphone-gerechte Inhalte von Medienpartnern.
Für viele ist Snapchat die aufregendste und meistbenutzte App auf dem Smartphone. Übrigens nicht nur bei 14-jährigen Teenagern, wie viele vielleicht immer noch denken. Nach eigenen Angaben sind die meisten Nutzer zwischen 18 und 34 Jahren alt.
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