Marinela Potor ist digitale Nomadin. Kein fester Wohnsitz, immer unterwegs, Leben und Arbeiten auf Reisen. Für viele ein Traum, für andere ein Graus. Bei BASIC thinking und auf MobilityMag berichtet Marinela wöchentlich über das ortsunabhängige Leben und den digitalen Wandel in der Arbeitswelt.
Die Deutschen sind ein Volk von Angsthasen, wenn es um die Digitalisierung geht. Vor allem in deutschen Unternehmen geht eine große Digitalphobie herum. So lautet zumindest die These von Ole Wintermann, Senior Project Manager für „Unternehmen in der Gesellschaft“ der Bertelsmann Stiftung in seinem kürzlich veröffentlichten Essay „Neugier statt Digitalphobie ist gefordert„. Wir haben mit ihm über die „German Angst“ vor der Digitalisierung und mögliche Lösungsansätze gesprochen.
BASIC thinking: In Ihrem Essay werfen Sie vielen Entscheidern in diesem Land „Digitalphobie“ vor. Was verstehen Sie eigentlich darunter?
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Ole Wintermann: Damit beziehe ich mich auf die Weigerung, vor allem wirtschaftlicher Entscheider, sich offen mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Gerade Führungskräfte – so haben inzwischen viele Studien gezeigt – in Unternehmen sehen viel zu oft nur Gefahren und Risiken in der Digitalisierung, anstatt auch die Potentiale und Chancen. Das ist fatal, da genau diese Führungskräfte auch diejenigen sind, die neue Technologien in Unternehmen einführen.
Warum sind Führungskräfte in Unternehmen denn so ängstlich, wenn es um neue Technologien und die Digitalisierung geht?
Zum einen kann es am Alter liegen. Viele Führungskräfte gehören der Generation 50+ an und es ist leider so, dass einige Menschen im Alter weniger innovativ und offen denken. Hinzu kommt ein Mangel an Information oder eine oft einseitig negative Sichtweise auf die Digitalisierung.
Wenn also Führungskräfte nicht ausreichend informiert sind und nur das Schlechte an der Digitalisierung sehen, kann das sehr negative Folgen für die deutsche Wirtschaft haben. Wir müssen endlich aufhören, über die Digitalisierung zu schimpfen, und anfangen die Möglichkeiten zu sehen, die digitale Plattformen auch für Unternehmen und die Arbeitswelt bieten.
Nun ja, aber einige dieser Ängste sind vielleicht gar nicht so unbegründet. Arbeitsplätze fallen durch die Digitalisierung weg und die Fragen zum Datenschutz im Internet sind ja auch nicht unberechtigt…
Das stimmt! Und ich glaube auch, dass gerade hierzulande so etwas wie ein „deutsches Modell“ zum Datenschutz entwickelt werden kann. Das ist aber auch das einzig Positive, was ich der Digitalphobie der Deutschen abgewinnen kann. Denn es bringt ja nichts, Angst vor der Zukunft zu haben und sich dann nicht damit auseinanderzusetzen. Dann wird ja alles nur noch schlimmer! Schon jetzt ist es doch so, dass alles was mit digitalen Geschäftsmodellen zu tun hat, aus den USA, Russland oder China kommt. Deutschland wird ein großes Standortproblem – sofern man im Digitalzeitalter von Standort sprechen kann – bekommen, wenn wir uns da nicht offener aufstellen.
Die Digitalphobie ist ja etwas, das Deutschen immer wieder vorgeworfen wird. Warum glauben Sie denn, dass gerade die Deutschen so viel Angst vor der Digitalisierung haben?
Ich kann natürlich nur Vermutungen anstellen. Ich glaube aber, dass die Deutschen als Land des Buchdrucks immer noch zu stark am gedruckten Wort hängen. Wissen und Autorität haben Experten nur dann, wenn sie ein Buch geschrieben haben. Wenn sie dagegen einen Blog schreiben, nimmt niemand sie ernst.
Dann kommt die Demographie hinzu – die Bevölkerung wird immer älter und damit nimmt auch die Offenheit für Neues möglicherweise ab.
Ein dritter Grund ist unsere Vergangenheit. Die Deutschen haben sowohl unter den Nationalsozialisten als auch in der DDR sehr negative Erfahrungen mit dem Überwachungsstaat gemacht. Da herrscht also großes berechtigtes Misstrauen gegenüber dem Austausch von Daten und Informationen im Netz.
Viertens, herrscht in Deutschland Ingenieursdenken. Ingenieure denken anders als Programmierer. Sie wollen am Anfang schon das Ergebnis sehen und denken linear – ganz anders als Programmierer, die experimentierfreudiger sind – um es mal sehr zugespitzt zu formulieren.
Was können wir denn Ihrer Meinung nach tun, um experimentierfreudiger zu werden?
Ganz einfach, wir müssen neugieriger sein. Wir brauchen persönliche Offenheit gegenüber der Digitalisierung. Wir sollten nicht nur traditionellen Medien vertrauen, die uns sagen, wie „böse“ Facebook ist, sondern selbst schauen, wie wir diese Tools nutzen können. Denn sie sind ja nicht nur eine Gefahr, sondern sie bieten auch Chancen. Schauen Sie Sich nur die Jugendlichen an, wie viel internationaler vernetzt sie sind, welchen Zugang zu Informationen sie haben. Oder Arbeitnehmer, die mit digitalen Tools viel effizienter arbeiten können – das sind doch riesige Vorteile!
Sie gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie schlagen ja auch vor, dass wir das Konzept “Arbeit” völlig neu denken müssen.
Genau! Wir brauchen einfach Arbeitskonzepte, die über traditionelle Kategorien wie Vollzeit oder Teilzeit hinausgehen. Das muss nicht heißen, dass wir dabei die bestehenden Schutzrechte und Tarifverträge vernachlässigen. Ich glaube aber, das 9-to-5-Modell hat ausgedient, genauso wie der alte Antagonismus zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wir brauchen einfach mehr direkte Beteiligung auf Augenhöhe in Unternehmen. Wir benötigen sehr viel mehr und modernere Mitbestimmung der Arbeitnehmer.
Wie hat das Umdenken denn bei Ihnen persönlich stattgefunden? Sie gehören ja auch der Generation 50 + an …
Das war durch das Bloggerprojekt FutureChallenges. Durch die Zusammenarbeit mit Bloggern aus aller Welt, musste ich natürlich auch viel mit ihnen chatten. Eines Abends war es so, dass mich ein Blogger aus dem Nahen Osten im Chat anschrieb und sagte: „Ole, ich soll erschossen werden. Ich brauche deine Hilfe!“ Da kann man ja nicht sagen: „Es ist nach 17 Uhr, ich habe Feierabend. Frag mich morgen früh nochmals.“ Ich konnte zum Glück dann auch in dem Moment handeln und mithilfe von „Reporter ohne Grenzen“ tatsächlich etwas tun. Dieses Erlebnis hat meinen Horizont dafür, was es im Kern bedeutet digital vernetzt zu sein, ungemein erweitert.
Vielen Dank für das Gespräch!