Ins Flugzeug steigen. Mit dem Auto in den Urlaub fahren. Einen Fahrradausflug machen. Was für uns so alltäglich klingt, bleibt vielen Menschen auf dieser Welt verwehrt. Bewegungsfreiheit ist ein Luxus, den gerade Menschen auf der Flucht nicht mehr haben. Die Menschen, die in den letzten Jahren den beschwerlichen Weg aus ihren Heimatländern nach Deutschland auf sich genommen haben, haben am eigenen Leib erfahren, wie traumatisierend es sein kann, wenn die eigene Mobilität eingeschränkt wird. Fotojournalist Martin Gommel hat diese Menschen auf ihrer Flucht getroffen und ihre Geschichten dokumentiert.
Pausen. Martin Gommel macht viele Pausen, wenn er von seinen Erlebnissen spricht. Einerseits weil er seine Worte sehr sorgfältig und besonnen wählt. Andererseits aber auch, weil es nicht leicht ist über Kinder mit wundgelaufenen Füßen und Polizeibrutalität an den Grenzen zu sprechen. Seit Ende 2014 dokumentiert Gommel die Geschichten von Geflüchteten auf ihrem Weg durch Europa. Er besucht sie dabei in Unterkünften in Deutschland oder reist an „Brennpunkte“ wie Sizilien, Athen oder Lesbos.
„Ich bin in erster Linien Mensch“
Dabei ist es ihm sehr wichtig, mit den Menschen zu sprechen anstatt über sie, sagt er. Einfach nur eine Meinung über andere zu haben sei „billig“. Darin allein liege kein Verdienst. Es sei viel schwieriger, sein eigenes Ego zurückzustellen und anderen Menschen nur zuzuhören, erzählt er im Gespräch mit Mobility Mag. „Deswegen gehe ich auch nicht unbedingt als Fotojournalist los, sondern in erster Linie als Mensch, der an anderen Menschen interessiert ist und sich ganz einfach unterhalten möchte.“
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So holt Gommel die Kamera auch erst heraus, wenn sich ein Vertrauensverhältnis mit seinen Gesprächspartnern gebildet hat und macht dann tatsächlich auch nur ein oder zwei Bilder.
Manchmal bleibt die Kamera auch ganz in der Tasche, vor allem dann, wenn er das Gehörte erst einmal verarbeiten muss.
So wie bei seinen ersten Gesprächen in der Erstaufnahmestelle seiner Heimatstadt Karlsruhe. „Am Anfang war es so, dass ich nur ein Gespräch geführt habe, dann in mich hinein gehorcht habe, wie es dort aussah – und dann sofort wieder nach Hause gegangen bin.“
Vor Raketeneinschlägen geflüchtet
Der ausgebildete Jugend- und Heimerzieher arbeitete damals noch vornehmlich als Landschafts- und Hochzeitsfotograf, wollte sich aber seit Längerem auch sozialen Themen widmen. „Ich hatte mich bis dahin nie getraut. Als dann aber die Medien anfingen über die Geflüchteten zu berichten und dabei auch noch immer die schreckliche Katastrophenmetapher „Flüchtlingswelle“ benutzten, war das ein Jetzt-Oder-Nie-Moment für mich.“
Er schnappte sich kurzerhand seine Kamera und ging zur Karlsruher Erstaufnahmestelle. Dort lernte er zwei Iraker kennen, kam mit ihnen ins Gespräch – und sie erzählten ihm von ihrem Fluchtweg. So begann Ende 2014 seine Dokumentation der Geschichten und Gesichter dieser Menschen.
So schreibt er zum Beispiel von dem 36-jährigen Syrer Ibrahim, der in einem Aufnahmecamp in Berlin mit einem Hungerstreik für bessere Bedingungen kämpfte. Oder von Samy aus Damaskus, der sich in Deutschland irgendwo zwischen Obdachlosigkeit und Behördendschungel durchschlägt. Oder von Miran und Lara, wie er sie nennt, zwei irakischen Jesiden, die als Paar vor den Raketeneinschlägen in ihrer Heimat flüchteten.
Doch Gommel fotografiert nicht nur Flüchtende, sondern auch Helfer wie den Rettungssanitäter Eugene DePasquale, der verletzten Menschen bei ihrer Ankunft auf Lesbos hilft.
Verzweifelte Menschen, hilflose Helfer und eine Situation, die so traumatisierend für alle ist, dass selbst Journalisten oft die Worte fehlen. „Da fühlt man sich dann auch oft hilflos, wütend und traurig, und das alles auf einmal,“ sagt Gommel.
12.000 verzweifelte Menschen, und die Kinder spielten Fußball
Seine Arbeit geht ihm sehr nahe und bis heute fühlt er sich mit all den Menschen, die er für dieses Projekt fotografiert hat, sehr verbunden. Doch die Frage, welche dieser Geschichten ihn am meisten berührt haben, möchte er nicht beantworten. Er findet es nicht richtig, Leidensgeschichten zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen wie bei einem Wettbewerb.
Jede einzelne Geschichte sei besonders, sagt er. Doch beeindruckt haben ihn die Kinder, die er getroffen hat. „In Idomeni, an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien, warteten beispielsweise 12.000 Menschen verzweifelt darauf, dass es irgendwie weiterging – und mittendrin spielten Kinder Fußball. Es sind die Kinder, die so unschuldig und wehrlos in dieser Situation sind und gleichzeitig am offensten und sorglosesten mit all dem umgehen.“
Dabei ist es natürlich ironisch, dass er als Deutscher ohne Probleme zwischen Mazedonien und Griechenland hin und her spazieren kann, während für Millionen von Menschen hier Zäune hochgezogen werden. Seine Bewegungs- und Reisefreiheit ist daher etwas, das Gommel sehr zu schätzen gelernt hat.
Neue Bilder schaffen
Insgesamt habe ihn sein Fotoprojekt verändert, sagt er. So werden diese Gedanken, Geschichten und Bilder noch lange in ihm nachhallen, auch wenn er sich aktuell neuen Projekten zuwendet.
Er hofft, dass seine Fotografien auch bei anderen neue Bilder im Kopf erzeugen. Bilder, in denen Flüchtende nicht mehr als einheitliche Masse oder als Bedrohung gesehen werden, sondern als Menschen.
Wir haben einige von Martin Gommels Fotos in einer Bildergalerie für euch zusammengestellt. Wer seine Arbeit unterstützen möchte, kann das via Paypal tun.