Das Jahr 2016 hat uns viele Legenden genommen, so wie vor wenigen Tagen erst noch George Michael. Mit Bud Spencer verstarb auch ein Schauspieler, dessen Filme mich wie kaum ein Zweiter auf eine Zeitreise schicken, zurück in die Achtziger. In eine Zeit, in der man zusammen mit der Familie vor dem Fernseher gesessen hat und sich diesem herrlichen Klamauk gemeinsam hingegeben hat. Pierre Brice erwischte es bereits ein Jahr vorher im Juni 2015. Brice war uns eigentlich nur in einer Rolle alle immer gegenwärtig: In der des Winnetou!
Vergleicht man die Rolle des Apachen-Häuptlings aus den Erzählungen des Karl May mit den typischen Bud Spencer-Rollen, so können sie eigentlich unterschiedlicher nicht sein. Dennoch verbindet sie – zumindest für mich – die Erinnerung an die typischen Sonntage mit der Familie vor vielen Jahren. Im Gegensatz zum Rest der Woche frühstückten wir sonntags zusammen und auch sonst waren wir mehr „Familie“ als an anderen Tagen. Dazu gehörte auch, dass wir nachmittags oft vor der Kiste hingen, auch wenn das für viele sicher nicht nach einer Familien-Unternehmung klingt. Ich erinnere mich daran, wie ich mich in den Sessel gelümmelt habe, hab den Duft des Kuchens meiner Mama in der Nase und zu diesen Erinnerungen gehören auch zweifellos die Winnetou-Filme.
So gesehen gab es im letzten Jahr gleich zwei Schicksalsschläge: Einmal den Tod des Mannes, den wir alle als Inbegriff des Winnetou wahrgenommen haben – und die Ankündigung, dass die Erzählungen neu verfilmt und auf RTL ausgestrahlt werden. Der Tod von Brice machte mich traurig, die Ankündigung der Neuverfilmung eher wütend. Bei beidem jedoch hatte ich das Gefühl, dass man mir meine Kindheitserinnerungen entreißt.
Winnetou – Eine neue Welt (keine Spoiler)
Gleich drei neue Filme hat man abgedreht: „Winnetou – Eine neue Welt“ lief bereits am ersten Weihnachtstag, heute am 27. Dezember folgt der zweite Teil „Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee“ und am Donnerstag dann schließlich „Winnetou – Der letzte Kampf“ – allesamt ausgestrahlt auf RTL.
Im Vorfeld habe ich das schon mitverfolgt, was da ablief: Die Suche nach dem geeigneten Winnetou, der geschätzte Wotan Wilke Möhring, der früh schon als Old Shatterhand feststand, die Versuche, auch bei der Musik keine Legende zerstören zu wollen. Es schien so, als wollte man da ein ganz großes Ding produzieren und für mein Empfinden ging man das auch sehr vernünftig an.
Aber wie viele andere auch hatte ich meine Bedenken. Ich mein – Hallo? Immerhin steht RTL dran und das steht für mich immer auch so ein bisschen für groß angekündigte Projekte, die dann für viel Kohle in den Sand gesetzt wurden. Spontan denke ich da an den „Hai-Alarm auf Mallorca“ oder das unsägliche „Helden“ – beides nur zu ertragen zusammen mit einem Haufen Freunden und noch einem größeren Haufen alkoholischen Getränken. Vor meinem geistigen Auge sah ich bereits Winnetou und Old Shatterhand als die Wildwest-Version von Frank (Wotans Paraderolle aus „Lammbock“) und Schöngeist, die statt vor ihrem Bus in der Prärie sitzen und statt Joint ’ne Friedenspfeife rauchen.
Ich hab das Projekt dann aus den Augen verloren, bis ich dann am ersten Weihnachtsabend auf der Couch liegend allmächtig mit meiner Fernbedienung darüber richten wollte, wer mich heute Abend unterhalten darf. An „Winnetou“ war ich schon längst vorbei gezappt, hatte es gedanklich als „wenn sonst nichts läuft“ verbucht und in der Tat: Nichts anderes reizte mich so sehr auf den anderen Kanälen und ich kehrte zurück zu RTL.
Nette Überraschung, Amazon!
Eingangs sah man die schnuckelige Nazan Eckes in ihrer Eigenschaft als weihnachtliche Amazon-Botschafterin. Und ich muss echt meinen Hut ziehen vor dieser Nummer: Amazon hatte zuvor schon seine Originals-Serien bzw. deren erste Folgen (u.a. The Grand Tour, The Man in the High Castle, Transparent, Mozart in the Jungle) für die Weihnachtstage allen Amazon-Kunden kostenlos zur Verfügung gestellt als Weihnachtsgeschenk.
Jetzt hatte man auch noch ein ähnliches Präsent für die RTL-Zuschauer: Amazon präsentierte den ersten Teil der Winnetou-Saga und war somit auf RTL zur Weihnachts-Prime-Time werbefrei zu sehen! Geile Geschichte, die Amazon deutlich mehr Sympathien gebracht haben dürfte, als wenn man zwischendrin mehrfach Werbung geschaltet hätte für sein Film- und Serien-Angebot.
[asa]B01NBI6ELX[/asa]Wer den Film auf Amazon streamen möchte, wird aktuell allerdings zur Kasse gebeten: Ab 3,99 Euro kann man ihn sich ausleihen, alternativ könnt ihr den Film als Download kaufen oder natürlich auch auf physische Tonträger zurückgreifen. Wer aber durch den TV-Film angefixt wurde, kann derzeit auch die Winnetou-Klassiker kostenlos streamen, solange man Prime-Kunde ist.
[asa]B01LYN56MJ[/asa]Gelungener Spagat zwischen Tradition und Moderne
Aber kommen wir zurück zum eigentlichen Film: RTL hat da eine äußerst schlagkräftige Truppe zusammengestellt, so dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Neuverfilmung auf dem Papier schon mal bestens war. So führt Philipp Stölzl („Der Medicus“, „Nordwand“) Regie und Christian Becker („Fack Ju Göhte“, „Der Wixxer“) konnte man als Produzent gewinnen. Für die Musik war Heiko Maile (Camouflage) zuständig, der aber beratend Martin Böttcher an seiner Seite hatte – Komponist des legendären Winnetou-Soundtracks aus den Sechzigern. Die beiden haben sich auch am Original orientiert und es bemerkenswert angenehm neu umgesetzt.
[mg_blockquote]Nik Xhelilaj umgibt durchaus auch diese etwas mystische Aura des Pierre-Brice-Winnetou, sein gestählter Körper lässt aber vermuten, dass die Neuauflage das Original bei einem Zweikampf ziemlich locker in die Tasche gesteckt hätte.[/mg_blockquote]Nik Xhelilaj ist ein hier noch ziemlich unbekannter Albaner, der an der Seite von Möhring als Old Shatterhand/Karl May in die Rolle des Winnetou schlüpft – und meiner Meinung nach absolut brilliert. Ich sagte ja eingangs, dass ich hier nicht zu sehr spoilern möchte, aber sowohl die Interpretation des Apachen-Häuptlings als auch des Old Shatterhand sind überragend gelungen. Die Story orientiert sich grob an den Vorlagen, weist aber soviel eigenen Spin auf, so dass man auf der einen Seite eine ehrfurchtsvolle Verneigung vor den Originalfilmen erkennen kann, die Story aber dennoch nicht ihren eigenen Geist vermissen lässt.
Alles ist ein bisschen realistischer geworden. Der wilde Westen – für den abermals die Berglandschaften Kroatiens herhalten mussten – ist irgendwie „echter“ und schmutziger als in den Originalen. Das Wetter ist mieser, die Typen hässlicher und alles irgendwie dreckig. Die Indianer sprechen tatsächlich eine Indianersprache (wenn auch nicht die der Apachen) und kein Fantasie-Zeugs. Man untertitelt die indianischen Dialoge und lässt einige von ihnen auf Deutsch radebrechen, wozu man aber auch eine sinnige Erklärung im Film mitliefert.
Winnetou ist einer von diesen Apachen mit Deutschkenntnissen, gibt sich aber – absolut passend zur Rolle – wortkarg. Ihn umgibt durchaus auch diese etwas mystische Aura des Pierre-Brice-Winnetou, sein gestählter Körper lässt aber vermuten, dass die Neuauflage das Original bei einem Zweikampf ziemlich locker in die Tasche gesteckt hätte. Auch die Neuauslegung des Old Shatterhand gefällt: Wotan Wilke Möhring spielt die Rolle wirklich ziemlich Deutsch – mit all seinen Vor- und Nachteilen, so dass er durchaus sympathisch spleenig daher kommt.
Nur so viel aus der Story sei verraten: Er tritt dort als Karl May aus Sachsen an, dem man erst angesichts seiner boxerischen Talente den Namen Old Shatterhand verleiht. Die RTL-Verfilmung kauft in diesem Punkt also Karl May seine Lügenmärchen ab und das funktioniert für mich absolut gut in dem Streifen. May hat erst viele Jahre nach der Veröffentlichung seiner Winnetou-Bücher erstmals die Reise in den tatsächlichen Wilden Westen gewagt, all diese Abenteuer hat er also nie wirklich erlebt.
Auch bei den Nebenrollen muss man seinen Hut vor den Machern ziehen. Nicht nur, dass sie beispielsweise mit Jürgen Vogel als Bösewicht Rattler oder Milan Puschel als kauzigen Sam Hawkens sehr klangvolle Namen für das Projekt gewinnen konnten, die ihre guten Namen dann auch durch engagiertes Spiel bestätigten. Beim Cast merkt man auch das Fingerspitzengefühl, mit dem auch kleinste Nebenrollen besetzt wurden. So sehen wir Mario Adorf – schon damals Film-Bösewicht – als Santer Senior in einem Teil der Reihe, der „Winnetou des Ostens“ Gojko Mitić darf Winnetous Vater im ersten Teil spielen und auch Maria Versini ist in einer kleinen Rolle mit von der Partie – sie spielte Winnetous Schwester im Original. Apropos Schwester: Winnetous Schwester Nscho-tschi spielt in der Neuverfilmung die Mexikanerin Iazua Larios, die bereits in Hollywood im Film „Apocalypto“ an der Seite von Mel Gibson spielte.
[parallax-image caption=““][/parallax-image]Fazit zum ersten Teil: Winnetou – Eine neue Welt
Danke an das komplette Team und danke an RTL, die diesen riskanten Schritt gewagt haben. Eigentlich konnte man nur sehr viel verlieren, denn Millionen Fans haben den Original-Winnetou in ihrem Herzen und verzeihen den Kult-Streifen der 60er Jahre, dass auch damals schon technisch als auch spielerisch nicht alles so hochklassig war, wie wir es aus einem nostalgischen Blickwinkel betrachten.
Es gibt erstaunliche Parallelen zu damals: Die Kulissen, die Musik, natürlich die May-Vorlage als roter Faden aber auch die Entscheidung, einen hier nahezu Unbekannten für die Rolle des Winnetou auszuwählen und in Nebenrollen klangvolle Namen aufzufahren. Die Macher um Regisseur Stölzl wollen hier eine Message transportieren, die in diesen Zeiten gar nicht oft genug in die Köpfe der Zuschauer gehämmert werden kann: Egal, woher du kommst, egal welcher Kultur du angehörst und egal, wie anders dein Gegenüber ist – man kann alle Hürden überwinden und ein toller Mensch bleibt ein toller Mensch, egal wie er aussieht und welche Sprache er spricht.
Die Winnetou-Story wird erfrischend anders, aber nicht zu verkopft erzählt. Ich hatte einen zu ausgeprägten erhobenen Zeigefinger befürchtet, aber dies ist nicht der Fall glücklicherweise. Stattdessen haben wir es mit einem sehr modernen Western zu tun, der mitunter sehr humorig daher kommt und über die volle Länge absolut unterhaltsam war – genau das, was man sich an einem kuscheligen Winterabend erhofft, den man vor dem Fernseher verbringt.
RTL hat mich dabei absolut positiv überrascht, weil das Original eben nicht beschädigt wurde, sondern – im Gegenteil – noch zusätzlich gewürdigt wurde. Dazu gehört auch der tolle Deal mit Amazon, aufgrund dessen wir den Film werbefrei genießen durften, aber auch die wirklich schön gemachte und sympathische Winnetou-Doku im Anschluss an den Film. Gleich kommt Teil Zwei der Saga – und ich werde begeistert wieder einschalten.