Am Mittwoch hat die CDU auf ihrem Parteitag beschlossen, die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland wieder abzuschaffen. In Zeiten einer globalisierten Gesellschaft, mobilen Menschen und komplexen Identitäten ist das ein Schritt in die falsche Richtung. Ein Kommentar.
Schluss damit! Die doppelte Staatsbürgerschaft soll es – wenn es nach der CDU geht – in Deutschland nicht mehr geben. Das hat die CDU mit einer knappen Mehrheit am Mittwoch auf ihrem Parteitag beschlossen. Parteichefin Angela Merkel war dagegen. Innenminister Thomas de Mazière auch. Alle anderen Parteien in Deutschland auch. Außer der AfD natürlich. Doch wenn es nach der AfD geht, würden wir auch Alkoholiker und psychisch Kranke in Lager stecken, Alleinerziehende abstrafen und den Klimawandel komplett ignorieren.
Was will die CDU also damit erreichen?
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Ein politisches Signal – aber ein falsches
Denn realistisch gesehen hat der Parteibeschluss der CDU wenig Chancen auf Umsetzung. Angela Merkel hat bereits zugesichert, sich an den 2014 mit der SPD beschlossenen Kompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft zu halten. Außer der AfD wird die Union auch wenige Koalitionspartner finden, die den Salto Rückwärts mitmachen werden.
Warum also dieser Beschluss? Weil die Parteimitglieder ein Zeichen setzen wollten. Wir scheinen uns in einer Zeit zu befinden, in der Politik und weitreichende gesellschaftliche Entscheidungen nur dann öffentlich wirksam sind, wenn sie sich in 140 Zeichen oder weniger packen lassen.
Das Zeichen der CDU ist ganz klar: Sie haben Angst. Sie haben Angst, dass ihnen nach der unbeliebten Flüchtlingspolitik die Wähler rechts zur populistischen AfD davon laufen. Aus dieser Furcht heraus ergibt sich dieses „Raubtier-unter-Attacke-Verhalten“. Wer sich in die Ecke gedrängt fühlt, und sei es auch nur politisch, beißt und bellt und kratzt nach allen Seiten. Man bäumt sich auf, macht sich extra groß oder plustert sich auf – nur damit der andere denkt, man habe doch gar keine Angst.
Bei der CDU kommt dann anscheinend so ein Parteibeschluss dabei heraus. Man positioniert sich so auffällig wie möglich, um damit die eigene Schwäche zu überspielen.
Dabei kommen dann so verstaubte Begriffe wie die „Leitkultur“ heraus (und was, bitteschön, ist eigentlich eine „Schicksalsgemeinschaft“ in einem Nationalstaat?).
Begriffe, die völlig an der Realität vorbeigehen!
Ich, meinereiner und mein Selbst: Was ist Identität?
Wer einmal versucht hat, seine eigene Identität etwas genauer zu betrachten, merkt schnell, wie kompliziert und vielschichtig dieser Begriff eigentlich ist. Identität, also das eigene Bewusstsein darüber, wer man in einem sozialen Kontext eigentlich ist, ist immer im Fluss. Identität wandelt sich, verschiebt sich, vermischt sich – und verändert sich auch, je nach Situation.
Ein Beispiel: Jemand kommt ursprünglich aus Hamburg. Wenn man in Hamburg gefragt wird, woher man komme, ist die Antwort Altona. In Stuttgart ist sie Hamburg, in Frankreich kommt man aus Deutschland und in Australien aus Europa. Hier passt man also automatisch die Identität an die jeweilige Situation an. Doch es ist natürlich noch viel komplexer.
Ein Kasten voller Bauklötze
Was ist, wenn wir in Berlin geboren sind und in München leben, und davor in Norddeutschland zur Uni gegangen sind? Was, wenn wir für den Job auch noch drei Jahre in Hongkong oder Barcelona gelebt haben? Damit entstehen schon automatisch mehrere Facetten unserer Identität.
Aber unsere Identität ist ja nicht nur an einen Ort gebunden. Wir fühlen uns als Mann oder Frau – oder irgendwo dazwischen. Wir beschreiben uns als Künstler oder Sportler oder Metal-Head, Gamer oder Mitglied im CCC. Wir sehen uns als Atheisten, Kirchenmitglieder oder Buddhisten. Wir fühlen uns eher bayerisch oder sind Hipster. Wir sind schwarz, weiß oder asiatisch. Oder alles in einem.
Unsere Identität ist wie ein riesiger Kasten an Bauklötzen, den wir selbst ständig neu zusammenstellen. Nationalität ist dabei nur einer von vielen Klötzen, und wahrscheinlich noch nicht mal der wichtigste.
Es ist daher sehr naiv zu glauben, dass allein der Entscheidungszwang zu einem Pass identitätsstiftend sein kann.
Wir leben in einer Welt, in der wir unsere Internetprofile jeden Tag komplett beliebig neu gestalten können. Wir leben in einer Welt, in der Multilokalität zum Alltag vieler Unternehmen gehört. Wir leben in einer Welt, in der wir in einem Land leben, in einem anderen arbeiten und in einem dritten Steuern zahlen. Wir sind jetzt schon komplett „schizophrene Persönlichkeiten“.
Aus Angst trifft man nie gute Entscheidungen
Das ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Denn eine Welt, die so im Fluss ist, bei der nichts „fest“ zu sein scheint und schon gar nicht die eigene Identität, führt auch zu Verunsicherung. Viele Menschen fühlen sich bedroht oder haben Angst vor „den Anderen“. Den Schwarzen. Den Weißen. Den Moslems. Den doppelten Staatsbürgern.
Doch aus solchen Ängsten heraus trifft man selten kluge Entscheidungen. Die Reaktionen, die daraus entstehen, können wir jeden Tag in den Nachrichten sehen: Terroranschläge, politischer Extremismus und die Salonfähigkeit völlig bizarrer Ideen wie die einer riesigen „Trump-Mauer“ zur Trennung von „Wir“ gegen „Die“.
Abschotten. Dicht machen. Feste Identitäten zur eigenen Beruhigung vorschreiben. Genau diesem Reflex hat jetzt auch die CDU mit ihrer Entscheidung nachgegeben. Das mag vielleicht der erste Instinkt sein. Doch das ist weder überlegt noch rational – und sollte schon gar nicht die Reaktion einer besonnenen politischen Partei sein!
In einer bunt gemischten und mobilen Welt ist das eine Entscheidung von gestern!
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