Der NDR-Bericht „Nackt im Netz“ sorgt aktuell für Panik bei vielen Internetnutzer. Das Browser-Addon „Web of Trust“ überwache demnach Millionen von Nutzern und verkaufe die schlecht anonymisierten Surfprofile an Marketingunternehmen. Das ist ein Skandal, für mich aber nicht der Eigentliche.
In diesen Tagen wird wohl der ein oder andere panisch seine installierten Browser-Erweiterungen beäugen. Schuld daran ist ein Bericht des NDR, der vergangene Woche lief. In monatelanger Recherche zusammen mit mobilsicher.de ist man über eine Scheinfirma an einen Datenbestand gelangt, der nach reiflicher Auswertung die Internetspuren von rund 3 Millionen deutschen Bürgern skizziert. Darunter auch Polizisten, Richter, Politiker, Journalisten und Manager.
Die meisten Informationen stammen offenbar von dem Browser-Addon Web of Trust (WOT). Der Dienst soll dazu beitragen, das Surfen im Netz sicherer zu gestalten, indem die Benutzer Websites bewerten können. Die Datensätze waren nur mangelhaft anonymisiert und so war es relativ leicht möglich, diese Personen zuzuordnen. Der NDR-Beitrag „Nackt im Netz“ zeigte außerdem, wie einfach es für Unternehmen mittlerweile ist, an personenbezogene Daten zu gelangen. Der ausgewertete Datenbestand war lediglich eine Kostprobe. Das ganze Thema ist ein Skandal, ja – aber für mich nicht der Eigentliche.
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Probleme der Vergangenheit sind auch heute noch präsent
Denn im Grunde dachte ich bislang, dass gerade solch dubiose Erweiterungen und ebenso Browsertoolbars mittlerweile der Vergangenheit angehören. Da lag ich falsch, wie ich nun selbst feststellen musste. Dabei hatten wir so ähnliche Diskussion bereits vor gefühlt 10 Jahren. Damals standen vornehmlich anrüchige Browser-Toolbars im Fokus. Zumeist landeten diese durch irgendwelche Freeware-Installationsvorgänge einfach mit auf dem Computer.
Ihre Ziele waren häufig: Spionage, Werbeeinblendungen und die Verbreitung von Schadsoftware. Selbst die großen Anbieter wie AOL, Google, Yahoo und Co. mussten sich mit Datenschutzbedenken herumärgern (zu Recht). Im Gegensatz zu Früher nutzen heute vergleichsweise weniger Menschen solche Toolbars.
Der Gedanke, dass es im Internet Bewertungsplattformen braucht, um das Web sicherer zu machen, kam in etwa in den Nullerjahren auf. Ich gebe zu, die Idee war anfangs nicht schlecht. Allerdings muss ich heute dazu sagen, es hat sich absolut nicht durchgesetzt. Das Internet ist nach wie vor ein Ort, wo du alles findest. Von seriösen Newsseiten, bis hin zu virenversuchten Crackerseiten. Weder McAfee SiteAdvisor, Norton Safe Web oder aber Web of Trust haben das Internet in irgendeiner Form sicherer gemacht. Googles Ansatz, die Ergebnisse aus der Suchmaschine auszuklammern ist dagegen deutlich effektiver und zugleich auch sinnvoller.
Mal davon abgesehen: Nur rund 4 Prozent des gesamten Internets wird von uns überhaupt wahrgenommen.
Warum nutzen selbst heute noch so viele Web of Trust?
Demnach dachte ich, dass auch dieses Thema durch sei – auch hier lag ich falsch. Die Gegenwart zeigt uns, dass selbst heute immer noch viel zu viele WOT oder ähnliche Seitenbewerter-Addons einsetzen. Ist es der „Ich mach das Web sicherer“-, der „ich vertraue denen“-Gedanke, eine Mischung aus beidem oder ein gänzlich anderer Beweggrund? Ich weiß es nicht. Dabei hätte ein Blick in die Datenschutzbestimmungen bereits für Magenverstimmungen gesorgt. Da steht nämlich recht genau drin, was gesammelt wird und auch wer die Daten einsehen darf.
Sehr schwammig unter dem Begriff „Verbundene Unternehmen“ gestattet WOT sich selbst, die Daten intern zu nutzen – impliziert somit auch, dass z.B. ein Tochterunternehmen dann die Datensätze verkaufen könnte. Zudem wurden die Datenbestände schlampig anonymisiert und WOT klärte seine Nutzer nur unzureichend auf. Das ist leider alles gängige Geschäftspraxis. Zumal das Unternehmen seinen Firmensitz angeblich in Finnland hat, allerdings laut Wikipedia von den USA aus operiert. Klingt auch schon merkwürdig.
Das Bewertungssystem von WOT ist ebenfalls kritikwürdig. Die Bewertungen von Benutzern, die häufig und viel bewerten, haben eine höhere Wertigkeit und diesen Nutzern steht als Bonus ein Massenbewertungstool zur Verfügung. Folglich steht hier die Frage im Raum: Wie vertrauenswürdig sind die Bewertungen am Ende?
Jetzt überschlagen sich wieder die Forderungen
Nachdem NDR und mobilsicher.de diesen Skandal ans Licht brachten, überschlagen sich nun wortwörtlich wieder mal die Forderungen. So fordert etwa Johnny Haeusler in seiner „Digital ist besser“-Kolumne auf Wired Germany dringend eine digitale Menschenrechtscharta. Der Journalist Dirk von Gehlen verlangt auf sueddeutsche.de eine bessere Prüfung von Browser-Plugins und dass die Politik reagiere.
Von Gehlen ist selbst ein Betroffener. Alles richtig, es braucht in dem Punkt mehr Regelungen und diese sind seit Jahren mehr als überfällig. Was ich jedoch kritisiere, ist diese gefühlte Opferrolle der Anwender, die in beiden Artikeln mitschwingt.
Wir brauchen Medienkompetenz und zwar jetzt!
Keine Einzelfälle, diese Darstellung wird bereits seit Jahren durchweg aufgezeigt. Die Realität bestätigt dieses Bild leider viel zu oft. Viele Anwender haben tatsächlich kaum Kenntnisse, wenn es um die sachkundige Verwendung von Computern, Smartphones, Tablets, Smart TVs oder aber dem Internet geht. Der Grund: Es gibt keine direkte Offensive, uns allen Medienkompetenz beizubringen. Nur für Kinder in den Schulen wird es politisch gefordert, dabei haben so viele Erwachsende das noch viel nötiger.
Außerdem könnten sie Kindern gegenüber dann mit gutem Beispiel vorangehen. Es müsste nur endlich mal umgesetzt werden. Neben all den gesetzlichen Bestimmungen und sonstigen Forderungen ist es in erster Linie wichtig, dass jeder Mensch, der das Internet verwendet, damit angemessen umgehen kann. Was wiederum ein Bewusstsein für die grundlegende Funktionsweise, die Sicherheit, den Datenschutz etc. voraussetzt. Ebenso müssen wir genauso die Verantwortung für unser Verhalten im digitalen Raum übernehmen. Was uns aber nur gelingt, wenn wir medienkompetent agieren.
Das schließt den Besuch fragwürdiger Websites genauso ein wie die Nutzung von Erweiterungen wie beispielsweise WOT. Es führt also kein Weg daran vorbei, sich mehr mit dem digitalen Wandel zu beschäftigen und Medienkompetenz zu entwickeln. Dazu ist auch kein Informatikstudium oder das Erlernen einer Programmiersprache notwendig. In erster Linie ein wenig Aufgeschlossenheit, gesunder Menschenverstand und die Unterstützung von uns Digitalverstehern. Denn auf diese Art und Weise lässt sich dieses mittlerweile gesellschaftliche Problem nachhaltig lösen.
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