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„Ich hatte schon Mörder im Auto…“ – wenn ein Taxifahrer aus dem Nähkästchen plaudert

Taxi Stadt
Foto: Pixabay
geschrieben von Marinela Potor

Taxifahrer haben es nicht immer leicht. Meint zumindest Sascha Bors, gebürtiger Stuttgarter und seit acht Jahren Berliner Taxifahrer aus Leidenschaft. Taxifahrer wie Bors haben aber auch einen sehr abwechslungsreichen Arbeitsalltag. Von Verbrechern über Liebestrunkene bis hin zur kotzenden Partybiene hatte Bors wohl schon so ziemlich alles und jeden auf dem Rücksitz seines elfenbeinfarbenen Opel Zafira sitzen. Grund genug für Bors, um über seinen Job zu bloggen. Und Grund genug für uns, mit ihm darüber zu sprechen.

Gestern Nacht im Taxi“ heißt der Blog, auf dem Sascha Bors über seinen Alltag als Taxifahrer schreibt. Von nachdenklichen Artikeln über seinen Job bis hin zu Einträgen über seinen gefährlichsten Fahrgast, schreibt Bors sich hier nach seinen Schichten alles von der Seele. Wir haben mit ihm über seine Arbeit als Taxifahrer geplaudert.

Mobility Mag: Wann und wie hast du angefangen, über deine Arbeit als Taxifahrer zu bloggen?

Sascha Bors: Ich hab mit dem Bloggen schon angefangen, bevor ich die Ausbildung zum Taxifahrer begonnen habe. Zunächst privat auf einer WG-Homepage, später dann eher über Medien und dann 2008, im Rahmen der Ausbildung zum Taxifahrer, ist dann klar geworden, dass sich der Job auch prima dazu eignen würde.

Was ist denn genau deine Motivation hinter dem Bloggen?

Da ist von allem ein bisschen dabei: Ich schreibe gern, um für mich selbst meine Gedanken zu sortieren. Ich weiß aber durch die Bekanntheit meines Blogs inzwischen auch die Öffentlichkeit sehr zu schätzen. In dem Punkt geht es wiederum um Zweierlei: Zum einen ist es toll, Feedback zu erhalten und zu sehen, wie sehr manche Leser die Unterhaltung zu schätzen wissen. Andererseits nutze ich das Ganze natürlich auch, um ein bisschen Wissen weiterzugeben oder auch mal meine Meinung zu verschiedenen Themen öffentlich zu sagen.

Ist es nicht anstrengend, nach der Arbeit auch noch über den Job zu schreiben?

Überhaupt nicht. Im Gegenteil! War die Arbeit toll, dann ist es mir ein Bedürfnis, die Freude zu teilen. Ist irgendetwas Mieses passiert, kann ich das zum einen beim Schreiben verarbeiten, zum anderen helfen Mitgefühl und Trost der Leser oft weiter. Ich muss an dieser Stelle vielleicht anmerken, dass es durchaus Texte gibt, die Arbeit machen und sich auch so anfühlen. Gerade bei Gestern Nacht im Taxi aber ist vieles, was ich nach der Schicht noch herunter tippe, eher eine Art Abschalten und Runterkommen, also viel mehr Entspannung und Loslassen vom Job.

Wie sieht dein Arbeitgeber das Ganze? Musstest du dir vorher eine Erlaubnis holen? Prüft das Taxihaus Berlin deine Blogeinträge?

Ich habe meinen Chefs selbstverständlich vorher gesagt, dass ich blogge, aber die fanden das in Ordnung. Wobei das eher untertrieben ist. Einer der beiden ist vermutlich mein größter Fan. Natürlich überlege ich hier und da, ob ich Dinge schreiben kann, zum Beispiel wenn sie Probleme in der Firma betreffen.

Mit meinen Chefs hab ich seit nunmehr fast acht Jahren nur die lockere Übereinkunft „Wenn hier was nicht passt, sprich am besten zuerst mit uns darüber.“ Das hab ich bisher nicht einmal gemacht, bin allerdings im Gegenzug bei kritischen Artikeln zur Firma auch immer fair gewesen und hatte deswegen noch nicht ein einziges Mal Ärger deswegen.

Musstest du schon mal einen Post herausnehmen, weil sich ein Gast / Kollege / Arbeitgeber beschwert hat?

Soweit ich mich erinnere: Nein. Kritik gab es in all den Jahren natürlich mal, aber die kam immer von außen und es ging dann eher hypothetisch darum, ob sich da jemand erkennen könnte. Ich verfremde allerdings hier und da durchaus, würfle also beispielsweise Stadtteile oder Fahrgastgeschlechter durcheinander, was zwar simpel, aber sehr effektiv ist.

In einigen deiner Einträge schreibst du auch sehr offen, dass du etwas Illegales getan hast (anderen Taxifahrern eine Fuhre am Flughafen „weggeschnappt”, das Taximeter zu früh ausgeschaltet etc.). Gibt es Konsequenzen, wenn du so etwas veröffentlichst?

Bisher nicht. Und ich hoffe, dass das so bleibt (lacht). Im Ernst: Ja, ich schreibe auch hier und da mal über Fehler und Schwächen, weil ich denke, dass das dazugehört. Mein Ziel ist es nicht, der oberste Moralapostel unter den Taxifahrern zu werden und ich finde es interessant, auch mal die Interessenkonflikte und Grauzonen aufzuzeigen und zu erklären.

Wenn ich so etwas schreibe, ist mir aber bewusst, dass es Konsequenzen haben könnte. Da sich meine (im Übrigen insgesamt sehr seltenen) illegalen Aktivitäten allesamt im Bereich von Ordnungswidrigkeiten befinden, ist das meist eine einfache Entscheidung: Dieser eine Blogeintrag könnte mich im schlimmsten aller Fälle 20/50/200 € kosten, sicher ist aber erst einmal, dass er die Leute interessiert, mich authentischer macht, und bei vielen Lesern sogar sympathischer. Das Risiko ist also überschaubar.

Dein Blog heißt „Gestern Nacht im Taxi“ weil du immer Nachtschichten fährst. Gibt es einen besonderen Grund, warum du nur nachts fährst?

Am Anfang war es eher Zufall. Mein Chef hat gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte, nachts hätten sie mehr Bedarf, und ich hab zugesagt. Zumal ich wirklich kein Frühaufsteher bin. Inzwischen ist es Überzeugung und ich hoffe, dass ich das noch lange so machen kann. Ich bin Vampir und stehe dazu!

Die praktischen Gründe sind darüber hinaus kurz zusammengefasst: Wenig Verkehr, die Leute sind fast nie in Eile, nachts sind interessantere Menschen unterwegs und Sonnenaufgänge zum Feierabend sind einfach mal geil!

Wie viel verdient man eigentlich als Taxifahrer und reicht das zum Leben?

Ich sage immer, wenn man als Taxifahrer Familie hat, gibt es zwei Optionen. Entweder man sieht seine Familie nicht, oder man kann sie sich nicht leisten. Im Grunde ist Taxifahrer weltweit ein Niedrig-, Mindest- und oder Hungerlohnjob. Also auch in Deutschland. Allerdings sind die regionalen Unterschiede dann halt doch sehr groß und egal, was ich hier sage: Es wird immer mindestens 10 Kollegen geben, die aufspringen und behaupten, es sei ja alles ganz anders. Ich weiß von Taxifahrern, die illegal weit unter dem Mindestlohn verdienen und ich kenne welche, die „locker“ 2.500 Euro heimbringen von ihrem Job. Aber gut, die schlafen halt auch im Auto.

Allgemeingültig ist es vielleicht so: Der Stundenlohn ist meist mies, aber der große Vorteil am Gewerbe ist die Freiheit, auch mal mehr zu arbeiten. Und das geht dank vieler Pausen auch für viele sehr gut. Geldmäßig würde ich allen empfehlen, sich nach etwas anderem umzusehen. Ich selbst bin aber auch ein großer Freund der Freiheit und lasse mir das entsprechend etwas kosten.

Foto: Sascha Bors

Foto: Sascha Bors

Kannst du Fahrgäste ablehnen, wenn sie beispielsweise zu betrunken sind oder nach Massenmördern aussehen?

Kann ich. Wir haben da einen wunderbaren Gummiparagraphen, der das Ablehnen erlaubt „wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die zu befördernde Person eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Betriebs oder für die Fahrgäste darstellt“.

In der Praxis kann das alles heißen, ich persönlich bin stolz darauf, bisher keine zwei Hände zu brauchen, um abgelehnte Touren zu zählen.

Apropos Massenmörder: Hast du keine Angst, dass da nachts auch mal zwielichtige Gestalten bei dir ins Auto steigen? Ist dir das schon mal passiert?

Ich könnte jetzt plakativ „Die Angst fährt immer mit“ antworten, aber das wäre Bullshit. Sicher ist die Gefahr vorhanden, aber wenn man Statistiken lesen kann und ein bisschen auf die eigenen Fähigkeiten zur Deeskalation vertraut, geht es ganz gut. Ja, ich hatte bestimmt schon Mörder im Auto, aber eigentlich ist mir das egal, solange sie nicht jetzt und hier mich ermorden wollen. Schon die Liste an Straftaten, die die Fahrgäste mir anvertraut haben, ist für sich gelesen immens.

Aber zum einen sind Leute, die einfach alle angreifen, die ihnen über den Weg laufen, wohl eher eine Hollywood-Fiktion. Zum anderen bringt es ein Dienstleistungsjob mit sich, dass man auch mal Menschen kennenlernt, mit denen man nicht abends ausgehen will. Was mir aber aufgefallen ist: Wie oft ich positiv überrascht worden bin von Leuten, die „gefährlich“ aussahen oder etwa ganz offen gesagt haben, dass sie gerade Freigang haben. Da steckt ja oft auch keine schwarz-weiße Gut-Böse-Story dahinter.

Darüber hinaus aber muss ich zugeben: Ich bin mir meiner Privilegien bewusst: Ich bin ein Zwei-Meter-Riese mit 150 Kilogramm Kampfgewicht, weiß und männlich, dazu mit knapp über 30 Jahren im besten Alter. Ich bin einfach nicht der, den sich die Leute herauspicken, wenn sie ein Opfer suchen, das hilft mir dabei sicher enorm.

Bist du ein plaudernder Fahrer oder schweigst du eher während der Fahrt?

Ich versuche eigentlich, mit allen Fahrgästen ein Gespräch anzufangen. Das verkürzt die Fahrt und hier und da lernt man wirklich interessante Dinge. Aber wenn ich merke, dass ein Kunde das nicht will, dann bleibe ich ab da stumm und lasse ihm die Ruhe. In dem Punkt ist Anpassungsfähigkeit das Wichtigste. Ich lag damit sicher nicht immer richtig, aber ich richte mich da normalerweise nach den Kunden.

Was erzählen dir deine Fahrgäste denn auf den Fahrten? Nutzen die dich auch manchmal als Therapeuten?

Ach, sicher. Ich hatte schon die Schilderung kompletter Beziehungsdramen im Rahmen einer dreiminütigen Kurzstrecke. Oder teilweise auch heftige Dinge wie die Frage was ich zum Beispiel bei häuslicher Gewalt empfehlen würde. Aber das sind Einzelfälle. Meist bleibt es beim Smalltalk und der ein oder andere Betrunkene erzählt halt mal seine vermeintlichen Heldentaten.

Zusammengefasst ließe sich sicher sagen: Man erfährt im Laufe der Zeit viel viel mehr als man wissen möchte Im Alltag dominiert dann aber doch eher die Langeweile: Im Urlaub hat’s geregnet, der Stau war grässlich, und „Haben Sie das von Brad Pitt gehört, also nein …“

Was war deine verrückteste Fahrt?

Hmmm… was ist verrückt? Der Typ, der glaubte, vergiftet worden zu sein? Die Tourette-Patientin, die sich selbst beschimpft hat? Der, der hundert Euro zahlt, um zu seinem Auto zu kommen, um dort zu schlafen? Der Blowjob auf der Rückbank, der Typ, der wegen der neugierigen Nachbarn durchs Fenster nach Hause geklettert ist? Oder die Kinder, die mit über 1.000 € im Gepäck das Taxi gezahlt haben? Oder gar der Rentner, der von einem Puff in den nächsten wollte, weil da die Betten bequemer sind? Die Entscheidung fällt mir nach 8 Jahren zu schwer, sorry.

Die meisten Menschen (mich eingeschlossen) schimpfen oft über Taxifahrer: Gerade als Tourist wird man da, egal wo auf der Welt, irgendwie immer überʼs Ohr gehauen. Da wird am Taximeter getrickst oder extra die lange Route gewählt. Warum ist das so?

Betrogen wird im Taxigewerbe natürlich, weil die Fahrer meist umsatzbasiert bezahlt werden. Ein Kilometer Umweg bedeutet für mich einen Mehraufwand von ein bis zwei Minuten, bringt mir aber am Ende je nach Fahrt irgendwas zwischen 50 Cent und einem Euro extra. Das soll nicht heißen, dass ich deswegen absichtliche Umwege gutheißen würde, ich war immer schon ein Gegner der Abzocke, aber ich weiß auch, wie verlockend das sein kann. Noch dazu, wenn Kunden erkennbar wenig Ahnung haben und unter Umständen sogar von sich aus eine bescheuerte Route nahelegen.

Tatsache ist aber auch: Da gibt es unterschiedliche Szenarien: Hier und da ist ein Umweg sinnvoll wegen Stau, Baustellen, etc. Und da macht man auch mal Fehler. Dann so Sachen wie lieber bequem die Hauptstraßen nutzen als den kürzesten Weg durch Gartenbausiedlungen und Wohnsiedlungen: Das ergibt mal Sinn, mal nicht, und auch wir Taxifahrer sind nur Menschen.

Darüber hinaus gibt es natürlich wirkliche Abzocke: Taxametermanipulationen, Fantasiepreise, manchmal sogar Erpressung. Das ist hierzulande sehr selten, andernorts vielleicht verbreiteter. Das hat in meinen Augen aber auch mehr mit organisierter Kriminalität und versagender Politik zu tun als mit dem Gewerbe an sich. Was würden die entsprechenden Leute wohl in einem anderen Job machen?

Ausschließen kann man sowas natürlich nie. Aber gerade in Deutschland würde ich darauf setzen, dass hier die Tarife transparent sind und man das als Kunde alles überprüfen kann. Man wird nie alle Arschlöcher erwischen, aber das ist eine Erkenntnis, die dann auch schon wieder gar nicht so taxispezifisch ist.

Werden Taxifahrer vielleicht auch missverstanden? Wie anstrengend ist dein Beruf?

Sicher. Wie das bei allen Dienstleistern so ist. Zum einen arbeiten viele Fahrer extrem viel (70 Stunden die Woche ist da keine Obergrenze, Legalität hin oder her), verdienen vergleichsweise wenig Geld und dürfen sich dann trotzdem neunmalkluge Sprüche der Fahrgäste anhören. dass man Klausis Hinterhofkaschemme in 12878 Arsch-der-Welt ja wohl kennen müsse, dass es uns eigentlich noch zu gut ginge oder dass das Trinkgeld heute natürlich ausfällt, weil „Sorry, also bei ’nem Opel als Taxi …“

Da eben jeder meint Auto fahren zu können und jeder sich in der eigenen Nachbarschaft zurechtfindet, wird oft unterschätzt, dass unser Job auch stressig sein kann. Ich habe oft gehört, dass man dank Navis ja keine Taxifahrer brauchen würde, aber wenn dann mal der Handyakku leer ist, oder die Leute nur noch „Bssrshhtrgeghehj“ rausbringen und ich dann nach 5 Minuten Erörterung ein Ziel für die Fahrt herausfinde.

Nette Kunden, klares Fahrtziel, alles nett, prima. Woran halt niemand denkt, das sind die restlichen 10% der Fahrten, wo man sich mit betrunkenen Psychopathen verständigen, Dinge zusammen puzzeln und Menschen manchmal sogar Entscheidungen abnehmen muss.

Gerade in den USA gibt es ja aktuell eine große Auseinandersetzung zwischen Taxifahrern und digitalen Fahrer-Anbietern wie Uber und Lyft. Was hälst du von diesen Apps?

Nicht viel. Aber auch wenn das erwartbar war: Mir geht’s da nicht um Oberflächlichkeiten oder Angst um mein Geld. Die Personenbeförderung wird sich – nicht zuletzt durch autonomes Fahren – ändern. Und das ist OK. Aber gerade Uber ist ein Paradebeispiel dafür, wie dieser Wandel nicht passieren sollte: Sie beklagen (zu Recht) Misstände im Gewerbe und versuchen diese zu beheben, indem sie auch die letzten qualitätssichernden Maßnahmen für obsolet erklären.

Für’s gelegentliche Rumschippern von befreundeten Hipstern sind Uber und Lyft toll, keine Frage. Aber Taxis existieren auch, um Lücken im Nahverkehr zu schließen. Also auch unliebsame Fahrten von – wie ich gerne polemisch sage – tausend betrunkenen Andrea-Berg-Fans am Samstagabend. Sowas machen ein paar Hobbyfahrer nicht zum Spaß. Wenn das aber professionelle Fahrer tun sollen, dann darf die Hobbyfahrerei nicht das komplette Geschäftsmodell zerschießen. Und dieses „Für uns gelten Gesetze nicht, weil wir sind neu und geil!“ ist leider nicht nur Nebenaspekt, sondern das Geschäftsmodell von Uber. Und da kommen wir moralisch und gesetzlich weit über das Erlaubte hinaus.

Du bist ja nicht nur Blogger, sondern auch Buchautor*. Verdienst du mit deinen Büchern mehr als mit dem Taxifahren?

Ich wünschte, es wäre so. Und ich hoffe, dass ich das irgendwann in ferner Zukunft mit weiteren Büchern mal erreichen kann. Bisher hat mir aber sogar mein Blog – obwohl ich ihn gewiss nicht nach allen Regeln der Kunst kommerziell ausschlachte – mehr eingebracht, als die Bücher. Aber mal sehen, was die Zukunft bringt.

Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.

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