„Video killed the radio star“, da ist noch immer was dran. Doch Podcasts und andere Audio-Formate werden immer beliebter. In der Serie Hören/Sagen berichtet Sandro Schroeder über Neuigkeiten, Hör-Tipps und Macher aus der Audio-Welt.
Kurz zusammengefasst – Ausgabe 8
- News: Spoken Editions bei iTunes, Gimlet kündigt Mystery Show
- Interview: NDR-Reporter Christoph Heinzle vom Podcast „Der talentierte Mr Vossen“
- Hörtipps: Heavyweight; Radiopreis-Gewinner „Danke. Ciao!“; Kondensator
Neuigkeiten
Spoken Editions bei iTunes
Der Vorleser: Apple scheint sich doch etwas für den Boom um Audio und Podcasts zu interessieren. Das US-amerikanische iTunes bietet seit Oktober kurze Vertonungen von Texten aus 40 verschiedenen Publikationen an – darunter vornehmlich junge Medien wie Slate, .Mic und Wired, aber auch alte Hasen wie Playboy und Reuters. Der Dienstleister SpokenLayer verwandelt dafür die Texte in wenige Minuten lange Podcasts, die sich sowohl bei iTunes selbst als auch in der Apple Podcast-App abrufen lassen.
Das Angebot erinnert ein wenig an die Channels-Funktion von Amazon-Tochter Audible, die ebenfalls mit vorgelesenen Texten arbeitet – beispielsweise von der New York Times. Der Versuch von Apple klingt in meinen Ohren deswegen sehr halbherzig: Die Auswahl an Medienpartner ist dünn – auch oder gerade für den offiziellen Start. Das zeigt entweder, wie viele große Medienhäuser lieber eigene Wege in der Podcast-Welt gehen oder wie spät Apple nun zur Audio/Podcast-Party dazustößt.
Neue Stellenangebote
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Excited to share that 40 Spoken Editions are now live in the @Apple iTunes store, all powered by SpokenLayer… https://t.co/EFcUoW606i pic.twitter.com/armnGxrO3x
— SpokenLayer (@SpokenLayer) October 3, 2016
Außerdem haben die Spoken Editions meiner Meinung nach zwei weitere Mankos: Erstens, das Angebot wird dem Podcasting als persönliches und intimes Medium überhaupt nicht gerecht. Die Texte werden für meinen Geschmack zu neutral, zu roboterhaft präsentiert – häufig klingen die Sprecher wie Karikaturen von Nachrichtensprechern. Dabei schreibt der Dienstleister auf der eigenen Seite an angehende Sprecher genau das Gegenteil: “Think podcaster, not broadcaster. Imagine you’re speaking to an audience of one – think of someone you like to chat with and deliver your audition to them.”
Das zweite Manko sind die krassen Qualitätsunterschiede der Aufnahmen: Bei TechCrunch und Wired habe ich jeweils sehr kratzige, flache Aufnahmen mit Störgeräuschen gehört. So ein Vorlese-Angebot müsste für mich – erstens – mindestens technisch perfekt sein und – zweitens – muss dann die menschliche Präsentation passen. Einen Lichtblick habe ich beispielsweise bei einem Text von The Intercept gefunden – da gab es einen sehr natürlich wirkenden Sprecher, der außerdem gut mikrofoniert klang. So sollte es mindestens sein.
Gimlet kündigt Mystery Show
Guess who’s (not) back: Nach langer Pause meldet sich der Podcast Mystery Show zurück – um dann sein Ende zu verkünden. Das US-Podcast-Unternehmen Gimlet Media hat sich wohl bereits im April vom sehr erfolgreichen Format von Starlee Kine getrennt. Offiziell bekannt wurde das Ende der Mystery Show erst jetzt, gut sechs Monate später. Die Autorin zeigt sich in einem Statement enttäuscht, das Unternehmen zeigte sich ungewohnt zurückhaltend mit Informationen, während Fans beispielsweise bei reddit über die möglichen Motive von Gimlet spekulieren: zu hohe Kosten für die aufwendige Show oder nicht gehaltene Deadlines.
Because audio is the most natural way for us to communicate, some thoughts from @abexlumberg on @MysteryShow: https://t.co/rUBtrws8Is
— Gimlet (@Gimletmedia) October 7, 2016
Vollkommen ungenutzt lässt Gimlet die unglückliche Situation nicht: Pünktlich zur Kontroverse erscheint die neue Staffel des Podcasts Startup, der sich in den ersten beiden Episoden wieder dem Podcast-Unternehmen selbst widmen wird. In der ersten Episode geht es hauptsächlich um die finanziellen Risiken, die bei Gimlet derzeit entstehen: Das Unternehmen will bis zum Jahresende gleich sechs neue Podcasts starten. Das sei ein erhebliches finanzielles Risiko für das Unternehmen, erzählt Gründer Alex Blumberg im Podcast, weil sich Gimlet darauf verlassen muss, dass sich die aufwendig produzierten Staffeln im Nachhinein auch wirklich rechnen.
Interview: NDR-Reporter Christoph Heinzle vom Podcast „Der talentierte Mr Vossen“
„Ein journalistisches Experiment“, eine aufwendige Recherche trifft auf serielles Erzählen. Eine Beschreibung, die auch auf den US-Podcast Serial zutrifft. Wenn hierzulande von Serial die Rede ist, dann ist diese Frage oft nicht weit: Wo ist das deutschsprachige Serial? Mit „Der talentierte Mr Vossen“ gibt es nun von NDR Info einen weiteren Anwärter für diesen Titel.
Wie konnte Felix #Vossen seine Freunde offenbar um 60 Millionen Euro bringen? Jetzt abonnieren, die Podcast-Serie: https://t.co/hWBkRW4OJ6 pic.twitter.com/SsVfhXrhs3
— NDR Info (@NDRinfo) September 21, 2016
Der erfahrene Reporter Christoph Heinzle begibt sich dafür auf die Spuren von Felix Vossen, der mit Schulden von 60 Millionen Euro spurlos verschwand. Der Podcast widmet sich in sieben zwanzigminütigen Folgen den vielen unterschiedlichen Rollen, die der talentierte Mr Vossen zuvor gespielt hatte: Unternehmersohn, Daytrader, Filmproduzent, Charmeur. Im Hören/Sagen-Interview spricht Christoph Heinzle über seine Recherchen, sein Bild von Felix Vossen und seine Erfahrungen, die er aus der Podcast-Produktion gezogen hat.
Herr Heinzle, wann sind Sie denn auf Felix Vossen gestoßen und wie lange haben Sie recherchiert, bis Sie gesagt haben: ‚Das ist wirklich eine Geschichte.‘?
Ich bin ziemlich genau vor einem Jahr, im Oktober, auf Felix Vossen gestoßen. Das war der Zeitpunkt, an dem Geschädigte – die ihm vorwarfen, dass er ihnen Geld schuldete – an die Öffentlichkeit gegangen sind und ein Fahndungsvideo produziert haben, das auf Youtube einstellten und dazu aufriefen, bei der Suche nach Felix Vossen zu helfen.
Zu diesem Zeitpunkt war Vossen schon seit einem halben Jahr verschwunden. Mich hat jemand auf die Geschichte und die Veröffentlichungen in hauptsächlich britischen Zeitungen aufmerksam gemacht, der mit Felix Vossen gearbeitet hatte – ein Hamburger Filmproduzent.
Noch am selben Tag habe ich ein kurzes Exposé geschrieben und innerhalb weniger Tage den Kollegeninnen von unserer Abteilung Radiokunst – die für lange Features zuständig sind – gezeigt, die sehr schnell zugesagt haben, zunächst für ein Radiofeature. Deren Idee war es dann, daraus auch eine Podcast-Serie zu machen. Seitdem habe ich recherchiert.
Der talentierte Mr Vossen – ein journalistisches Experiment
Bei der Recherche wollten Beteiligte häufig nicht mit Ihnen sprechen, letztendlich hat auch Felix Vossen selbst kein Wort mit Ihnen gewechselt. Am Ende der Serie steht die Frage im Raum, ob Felix Vossen einfach nur Pech hatte oder doch alles ein geplanter Betrug war. Was ist denn Ihr Bauchgefühl?
Ich glaube, wie so oft im Leben liegt die Wahrheit mutmaßlich irgendwo dazwischen – das ist meine persönliche Quintessenz. Ich glaube, es spricht einiges dafür, dass er den Betrug nicht von Anfang an im Auge hatte. Auch, weil er am Anfang noch ernsthaft Daytrading betrieben hatte und das offenbar auch mit Erfolg.
Dass er nur Pech hatte und dass erst auf den letzten Metern vor seiner Flucht das ganze Investitionsgeschäft für ihn schief lief, dagegen spricht auch Einiges. Mehrere seiner Bekannten und Geschäftspartner sagen in der Sendung, er habe sicherlich lange gehofft, mit einem großen Filmhit alles ausgleichen zu können. Dass dieser Filmhit ihm viel Geld in die Kassen spült und damit die Investitionen für das Aktiengeschäft wieder ausgleichen kann, die andere Leute bei ihm deponiert hatten.
Wann dieser Traum für Felix Vossen selbst wahrnehmbar zu Ende ging, das kann er am Ende nur selber erklären. Er spricht bisher nicht öffentlich, sondern nur mit Staatsanwälten und später sicherlich im Prozess – aber bisher nicht mit Medien.
Das serielle Erzählen ist uns Journalisten ja eigentlich nicht in die Wiege gelegt
Der NDR Programmdirektor Joachim Knuth nennt die Serie „Der talentierte Mr Vossen“ ein „journalistisches Experiment“ – weil sie als Radio-Serie, als Feature und als Podcast-Serie veröffentlicht wurde. Welches Ergebnis ziehen Sie persönlich aus diesem Experiment?
Für mich war es sehr spannend, weil ich die beiden Formen, langes Feature und Podcast-Serie, bisher in 29 Jahren Radio-Arbeit nicht gemacht habe. Und das serielle Erzählen, das ist uns Journalisten ja eigentlich nicht in die Wiege gelegt. Es war für mich positiv überraschend, dass es funktioniert hat und der Spannungsbogen soweit getragen hat, dass sich offenbar viele Leute mehrere oder alle Folgen angehört haben. Da war das Echo sehr positiv.
Für mich war auch die Erzähl-Art ein spannendes Erlebnis, das war auch Teil des Experiments. Denn in Deutschland haben wir eigentlich nicht die Tradition wie im englischsprachigen Raum, in der Ich-Perspektive zu erzählen und sich selbst sehr nah während der Recherche zu begleiten. Das muss man einen Moment überwinden, aber in dem Fall war es ja Teil des Konzepts, dass ich als Rechercheur aus der Ich-Perspektive erzähle.
Wenn es um die Ich-Erzählperspektive geht, dann fällt vor allem das Beispiel vom US-Podcast Serial. Was glauben Sie, wie sehr eignet sich eine Podcast-Serie als Form für lange Recherchen? Vielleicht sogar doch besser als ein Feature?
Ich glaube, das hängt sehr stark vom Thema ab, ob man das überhaupt seriell erzählen kann. Man muss immer sehen und das habe ich bei „Der talentierte Mr Vossen“ auch verstanden, dass man den Spannungsbogen auch über mehrere Folgen halten kann. Man braucht, glaube ich, auch starke Personen, Protagonisten in der Geschichte. Felix Vossen war da klar der Mittelpunkt, auch wenn er selber kaum auftaucht. Das gibt aber nicht jedes Thema her, es gibt ja auch sehr sperrige Themen.
Ich glaube aber, es ist auf jeden Fall ein Impuls dafür, bei großen umfassenden Recherchen über eine Serie als eine Form der Aufbereitung nachzudenken. Und auch darüber, wie man das Thema aufbereitet, damit es als Serie taugt. Vielleicht verwirft man den Ansatz dann in vielen Fällen auch wieder, aber vielleicht hat man damit auch Chancen, Dinge anders aufzubereiten. Ich glaube, am Ende wird es eine ganze Palette von möglichen Ausspiel- und Darstellungsformen geben und man wird dann von Thema zu Thema entscheiden, was sich am besten eignet.
Das komplette Audio-Interview mit NDR-Reporter Christoph Heinzle über den Podcast „Der talentierte Mr Vossen“ gibt es bei iTunes im Podcast BASIC thinking zum Mitnehmen oder per RSS-Feed. Darin spricht der NDR-Reporter mitunter darüber, wie das Feedback auf die Serie war und was er beim nächsten Podcast-Projekt anders angehen würde.
Hörtipps
Heavyweight (Storytelling, englisch)
From Jonathan Goldstein, it’s another sad and funny podcast: In Heavyweight reist der Autor in die Vergangenheit seiner Mitmenschen, genauer: zu exakt den Momenten, an denen alles schief gelaufen ist. Gemeinsam mit seinen Protagonisten versucht er dann, das Vergangene aufzuarbeiten und klingelt dafür auch mal an der Tür von Musiker Moby, um vor zwanzig Jahren verliehene CDs zurückzuverlangen. Goldstein hatte zuvor als Autor bei This American Life gearbeitet und beim kanadischen Sender CBC elf Jahre lang seine eigene Sendung WireTap bestritten, bevor er zu Gimlet Media wechselte.
Danke. Ciao! (Storytelling)
Frisch beim Deutschen Radiopreis 2016 als „Beste Reportage“ ausgezeichnet: Dominik Schottner erzählt die Geschichte seines alkoholkranken Vaters – zwischen fünf Anrufbeantworter-Nachrichten, Aufnahmen der Mutter und Songs von The National. Die intime Reportage ist in einem sehr persönlichen Ton erzählt: Beim Hören fühlt man sich weniger wie das Radio-Publikum, sondern eher wie der gute Freund, der eine persönliche Familiengeschichte anvertraut bekommt. Anlässliches des Preises gibt es die Reportage im Podcast-Feed der Dradio Wissen Sendung „Einhundert“.
Kondensator (Deutschsprachige Podcast-News)
Was passiert in der deutschsprachigen Podcast-Landschaft? Wer sich das fragt, findet beim Kondensator kurze und bündige Antworten. Mit dem Podcast will Stefan Trauth (alias @funkenstrahlen) eine Anlaufstelle schaffen, um zu Neuigkeiten aus der deutschsprachigen Podcast-Szene zu informieren. Die Episoden sind gut strukturierte Monologe, die kurz genug sind, um sie auf dem Weg zur Straßenbahn-Haltetelle vollständig zu hören. Der Kondensator positioniert sich deswegen auch bewusst als Ergänzung zu den längeren Podcasting-Podcasts wie dem Lautsprecher von Tim Pritlove und dem Sendegarten von Martin Rützler.
Die nächste Ausgabe von Hören/Sagen erscheint am 25. Oktober 2016. Mit Neuigkeiten rund um Podcasts und Audio im Web, Interviews und Hörtips. Folge uns auf Twitter, Facebook und abonniere unseren Newsletter, um die nächste Folge nicht zu verpassen! Ihr habt Feedback zu Hören/Sagen? Dann schreibt mir bei Twitter (@saschroeder), kommentiert den Artikel und hinterlasst bei iTunes eine Bewertung!