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Alle digitalen Nomaden schwärmen von der Freiheit: Doch was genau bedeutet das?

Travel Reisen
geschrieben von Marinela Potor

Marinela Potor ist digitale Nomadin. Kein fester Wohnsitz, immer unterwegs, Leben auf Reisen. Für viele ein Traum, für andere ein Graus. Bei BASIC thinking und auf Mobility Mag berichtet Marinela wöchentlich von ihren Reisen, was es mit dem Leben aus dem Rucksack auf sich hat und warum es sich lohnen kann, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.


Ortsunabhängige Menschen – mich eingeschlossen – sprechen oft und gerne über die Freiheit, die uns unser Lebensstil ermöglicht. Doch es gibt kaum einen Begriff, der vager ist als „Freiheit”. Was meinen digitale Nomaden also damit, wenn sie von der großen Freiheit schwärmen?

Ich kann diese Fragen natürlich nicht für sämtliche Ortsunabhängigen, Freiberufler, Selbstständige und digitalen Nomaden beantworten. Denn ich vermute, dass wir alle auch irgendwo unseren ganz persönlichen Freiheitsbegriff haben. Bei dem einen mag es die Reisefreiheit sein, für andere die Freiheit, Beruf und Familie miteinander in Einklang bringen zu können. Wieder andere genießen wahrscheinlich die Freiheit, so lange oder kurz zu schlafen wie sie möchten.

Doch neben diesen sehr individuellen Freiheiten, gibt es auch einige Freiheiten, die für unsere Zunft ganz allgemein gelten. Das sind die Freiheiten, die dazu führen, dass wir unseren Lebensstil so lieben.

Bewegungsfreiheit

Unsere Welt ist so mobil wie selten zuvor. Wir können mit Bussen in kürzester Zeit von einem Land ins andere fahren. Wir können in wenigen Stunden ans andere Ende der Welt fliegen.

Selbst unsere Jobs werden mobiler: Homeoffice-Tage, Jobsharing oder Arztbesuche per Skype sind nur einige wenige Beispiele für unsere flexible Arbeitswelt. Das Leben als digitaler Nomade ist somit einerseits ein besonders fotogenes Phänomen unserer insgesamt sehr mobilen Welt, aber auch die logische Konsequenz all dieser neuen Möglichkeiten.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Leben als Ortsunabhängiger uns ein komplett neues Verhältnis zu Raum und Zeit ermöglicht. Wir können dort sein, wo wir wollen. Wann wir wollen. Das kann unser Häuschen im Sauerland sein oder der Liegestuhl auf Teneriffa. Kein Auftraggeber, kein Kunde, keine Arbeit verlangt von uns eine reale Präsenz.

Auch zeitlich sind wir viel flexibler als Festangestellte. Selbstständige und Freiberufler werden nach geleisteter Arbeit und nicht nach Anwesenheit bezahlt. Das gibt uns die Freiheit, nachts um zwei oder morgens um sechs zu arbeiten.

Diese räumliche und zeitliche Bewegungsfreiheit ist für mich eine der größten Freiheiten meines Lebensstils.

Die Freiheit „nein“ zu sagen

Wer kann im Büro schon „nein“ sagen, wenn der Vorgesetzte etwas von uns verlangt? Zumindest ohne dafür mit Konsequenzen rechnen zu müssen. In meinem Volontariat beim Radio konnte ich zum Beispiel auch nicht sagen: „Zu dem Termin gehe ich nicht! Auf das Thema habe ich jetzt keine Lust.“

Das hat einerseits den Vorteil, dass man lernt, auch die Dinge zu tun, die einem vielleicht weniger Spaß machen, aber dennoch getan werden müssen. Denn davon gibt es auch noch in der Selbstständigkeit eine ganze Menge.

Andererseits kann ich jetzt zum Beispiel bei gewissen Anfragen einfach sagen: „Danke für das Angebot, aber ich kann Ihnen leider nicht helfen.“ Das kann ich natürlich nicht bei jedem Auftrag machen, denn sonst wäre ich nach drei Monaten pleite. Dennoch habe ich eine viel größere berufliche Freiheit. Ich kann die Schwerpunkte setzen, die mir wichtig sind und gegebenenfalls eben auch mal „nein“ sagen.

Entwicklungsfreiheit

Eng daran geknüpft, haben digitale Nomaden auch eine größere Entwicklungsfreiheit. Damit meine ich die Freiheit, sich selbst so zu entwickeln, wie man möchte. Beruflich, aber auch persönlich. Hätte ich zum Beispiel einen festen Job, würde ich höchstwahrscheinlich bei einem Radiosender arbeiten. Das wäre klasse, um all meine Leidenschaft für das Hörbare ausleben zu können. Es wäre aber auch schade, weil ich so viele andere Dinge nicht tun könnte, die mir genau so viel Spaß machen. Ich schreibe zum Beispiel unglaublich gerne. Ich finde aber auch Marketing mitunter sehr spannend und freue mich immer, wenn ich hier Neues dazulernen kann. Genau so finde ich wissenschaftliche Recherche sehr interessant und bin immer hellauf begeistert, wenn ich in diesem Bereich arbeiten kann.

Wer freiberuflich oder auch als Selbstständiger arbeitet, kann einfach viel mehr ausprobieren. Vielleicht klappt es nicht mit der ersten Geschäftsidee. Dann hat man aber die Chance, etwas Neues zu testen. Oder ihr könnt euer Produkt in eine ganz neue Richtung lenken. Oder neben eurem Onlinebusiness noch als Tauchlehrer arbeiten. Der Fantasie sind hier wirklich keine Grenzen gesetzt und eure beruflichen Möglichkeiten hören nur da auf, wo ihr wollt.

So ähnlich sieht es auch mit der persönlichen Entwicklung aus. Natürlich kann jeder an einem festen Wohnort in einer Festanstellung genau so wachsen wie beim Reisen. Doch das Reisen ist eine viel stärkere Konfrontation mit den eigenen Werten und Sichtweisen. Als digitale Nomaden sehen und erleben wir ständig, wie viele verschiedene Lebensformen es gibt – von denen keine falsch und keine richtig ist, sondern eben nur anders. Damit ist die Chance auch größer, dass wir unser eigenes Leben überdenken. Neue Ideen bekommen. Neue Kraft schöpfen. Und an diesen Herausforderungen wachsen können. Das ist eine persönliche Entwicklungsfreiheit, für die man als Sesshafter viel bewusster arbeiten muss als als Reisender.

Die Freiheit, seinen eigenen Weg zu gehen

Wer die Chance hat, aus dem eigenen Trott, aus den vorgegebenen Lebensbahnen auszubrechen, kann komplett neue Wege beschreiten. Deswegen ziehen ja auch viele junge Erwachsene nach ihrer Volljährigkeit in eine andere Stadt oder in ihre eigene Wohnung. Wenn ich immer am gleichen Ort bleibe – was ja nichts Verwerfliches ist – dabei aber nie etwas Neues probiere, dann ist die Gefahr groß, dass man auf der Stelle tritt.

Wer ortsunabhängig lebt und arbeitet, egal ob er dabei sesshaft ist oder nicht, geht damit schon mal von vorne herein einen neuen Weg. Das ist ab und zu ganz schön furchteinflößend, andererseits aber auch sehr befreiend. Denn wenn es keine Regeln gibt, kann ich mir diese selbst erfinden. Wenn es kein richtig und falsch gibt, kein „so haben wir es aber schon immer gemacht“, dann haben wir als Ortsunabhängige und digitale Nomaden tatsächlich die große Freiheit, unseren eigenen Weg zu gehen.

Ich finde, das ist die größte Freiheit überhaupt!

Über den Autor

Marinela Potor

Marinela Potor ist Journalistin mit einer Leidenschaft für alles, was mobil ist. Sie selbst pendelt regelmäßig vorwiegend zwischen Europa, Südamerika und den USA hin und her und berichtet über Mobilitäts- und Technologietrends aus der ganzen Welt.