In unserer Serie „Bahn im Fokus“ erzählt ein Bahn-Blogger aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Tim Grams schreibt für seinen Blog „Der bloggende Bahner“ und kämpft seit 2014 für mehr Verständnis im Bahnbetrieb. Im heutigen ersten Teil beschreibt er aus eigener Erfahrung, wie es dazu kommen kann, dass ganz schnell große Zug-Verspätungen entstehen.
Es ist Freitagnachmittag. Auf den Bahnsteigen ist ordentliches Getümmel. Von Pendlern bis hin zu Urlaubern. Alle sind gut gelaunt und freuen sich aufs Wochenende. Doch dann kommt alles anders.
Freitagnachmittag auf dem Bahnsteig
Keinerlei Verspätung wurde vor einigen Minuten noch auf der Anzeigetafel von Hannover Hauptbahnhof angezeigt. Die Zeichen stehen gut, pünktlich ins Wochenende zu starten. Ich blicke von Bahnhofsseite zu Bahnhofsseite und es fällt mir auf, dass gar kein Zug im Bahnhof steht. Normal müssten zu dieser Uhrzeit aus allen Richtungen die Züge in Hannover eintreffen.
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Da sind sie auch schon – die Ansagen: „Aufgrund einer Oberleitungsstörung im Bahnhof Hannover Hauptbahnhof kommt es zu Verspätungen“. Das war’s mit der guten Stimmung bei den vielen Reisenden.
Währenddessen hinter den Kulissen: Im Stellwerk machen die Fahrdienstleiter die Störung ausfindig. Danach informieren sie die Nachbarfahrdienstleiter und die Lokführer, die von allen Seiten vor Halt zeigenden Signalen stehen. Die Störung an der Oberleitung ist bereits ausgemacht und die dazugehörigen Gleise gesperrt.
Einige Gleise werden in diesem Moment wieder freigegeben und es geht langsam weiter. Zwei Gleise weniger zur Verfügung, die gleiche Anzahl der Züge. Das gibt Verspätung.
Wieder an den Bahnsteigen: Die Kunden sehen nun endlich die einfahrenden Züge. Einige wirken deutlich gestresster, da sie am Zielbahnhof einen Anschlusszug nicht verpassen dürfen. Andere motzen gleich das Zugpersonal an und beschweren sich lautstark.
Person im Gleis: Ein Fußballfan verliert die Kontrolle
Ein Bahnsteig weiter fährt ein Fußballsonderzug ein. Hamburg-Fans auf der Durchreise nach München. Obwohl der Zug noch nicht vollständig am Bahnsteig steht, bleibt er auf einmal schlagartig stehen. Eine Tür öffnet sich. Ein Fan springt aus dem Zug ins Gleisbett. Sofort hört man zahlreiche Hupen und Vollbremsungen. Person im Gleis.
Derweil im Stellwerk: Die Betriebsüberwachung erfährt von dem Fan im Gleisbett und gibt umgehend einen Notruf ab. Damit steht der gesamte Zugverkehr am Hauptbahnhof in Hannover. Die Bundespolizei ist auf der Suche nach dem Fan. Alle anderen Fans müssen im Zug bleiben, bevor es weitergehen kann.
Nach zehn Minuten meldet die Polizei der Betriebsüberwachung vom Hauptbahnhof Hannover, dass der Flüchtige in Gewahrsam genommen wurde. Die Betriebsüberwachung übergibt die Information an die vier Fahrdienstleiter, die sofort zum Hörer greifen und alles Nötige in Bewegung setzen, was in den letzten zehn Minuten durch den Notruf zum Stehen gekommen ist.
Zugverkehr staut sich
Die Oberleitungsstörung konnte in der Zeit zum Glück reibungslos repariert werden. Der Zugverkehr hat sich allerdings nun bis zu den Nachbarbahnhöfen gestaut. Die Verspätungen steigen und steigen. Die Reisenden, die vor ungefähr dreißig Minuten noch sehr entspannt auf ihre Züge gewartet haben, sind bedient. Einer hat zumindest erkannt, dass es nicht die Schuld der Bahn ist. Ein anderer wettert nun schon seit zwanzig Minuten neben dem Zugpersonal und fragt, warum es nicht weitergeht.
Der gefürchtete Schneeballeffekt
Die Signale springen auf Grün und die ersten Züge verlassen Hannover nun wieder. Teilweise mit 30 Minuten Verspätung, teilweise mit 17. Doch wer glaubt, dass das jetzt alles war, der hat sich getäuscht.
Alle Züge, die den Hauptbahnhof von Hannover jetzt mit einer Verspätung verlassen haben, verkehren nicht mehr nach dem eigentlichen Regelfahrplan. Dadurch entstehen zahlreiche Konflikte an den Unterwegsbahnhöfen.
Für die Fahrdienstleiter von Hannover nicht weiter schlimm, aber für die Zugdisponenten, die für die Reihenfolge der Züge auf der Strecke verantwortlich sind, eine enorm schwierige Aufgabe. Es kommt auf Sekunden an.
Während in Göttingen der erste ICE auf ein Halt zeigendes Signal zuläuft, weil ein Zug, der nun planmäßig verkehrt, dort steht, gibt es auch in Wolfsburg ein ähnliches Problem: Der verspätete ICE läuft auf einen planmäßig verkehrenden Regionalexpress auf. Die Verspätungen steigen weiter. An einem Freitagnachmittag scheint es kaum möglich, Verspätungen rauszuholen.
Kein Gleis mehr frei
Am Frankfurter und am Berliner Hauptbahnhof wird es dann richtig eng. Durch die Verspätungen der Züge aus Hannover ist kein Gleis bei Ankunft der Züge mehr frei. Wieder entstehen Verspätungen bei der Einfahrt. Eine schier unaufhaltsamer Schneeballeffekt, der sich durch zwei Arten von Störungen immer weiter entwickelt.
Eine Oberleitungsstörung, die relativ schnell wieder behoben werden konnte und ein viel schwerwiegenderes Ereignis namens „Person im Gleis“. Dieser Stillstand betrifft nahezu alle Fernverkehrszüge in ganz Deutschland.
Es ist ein Kette, die sich anschließend durch den gesamten Zugverkehr zieht und kaum aufzuhalten ist. Freitagnachmittag ist das Schienennetz sehr ausgelastet und hier sind oft fünf Minuten Verspätung schon zu viel.
Betreten der Gleise ist gesetzich verboten
Abgesehen davon, dass der unbefugte Aufenthalt auf Zuggleisen den Verkehrsfluss stört, ist er auch gesetzlich verboten. Wer sich ohne Erlaubnis auf den Gleisen aufhält, begeht eine Ordnungswidrigkeit im Sinne § 28 des Allgemeinen Eisenbahngesetztes und kann sogar Geldstrafen in Höhe von bis zu 50.000 Euro erhalten.
Fazit
Man sollte sich immer im Klaren darüber sein, dass auch durch Fehlverhalten von Menschen Verspätungen im Eisenbahnbetrieb entstehen. Die Folgen wollte ich mit diesem Beispiel einfach mal vor Augen führen und aufzeigen, wie schwierig es für alle Mitarbeiter der Bahn ist, die Folgen zu bewältigen.
Solche Ereignisse sind nicht planbare Unregelmäßigkeiten, auf die man als Mitarbeiter schnell reagieren muss. Und das immer mit dem Ziel „Sicherheit der Reisenden und Mitarbeiter“ vor Augen.
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