Marinela Potor ist digitale Nomadin. Kein fester Wohnsitz, immer unterwegs, Leben auf Reisen. Für viele ein Traum, für andere ein Graus. Bei BASIC thinking und im Mobility Mag berichtet Marinela wöchentlich von ihren Reisen, was es mit dem Leben aus dem Rucksack auf sich hat und warum es sich lohnen kann, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Mit dem Begriff „Heimat“ habe ich schon immer gefremdelt. Ich bin in Rumänien geboren und mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen. Hier wuchs ich in der Schule mit einer Kultur auf, daheim mit zwei anderen (meine Mutter ist halb Ungarin). Rumänien war für mich einerseits ein Urlaubsland mit Verwandten, aber so richtig „deutsch“ habe ich mich andererseits auch nie gefühlt. Heimat war für mich daher dort, wo ich mich heimisch fühlte. Heimat war für mich mein Zuhause. Das war natürlich das Dorf im Sauerland, in dem ich aufgewachsen bin. Später meine Studienstadt im Süden Deutschlands. Danach arbeitete ich zwei Jahre lang an der Nordsee und adoptierte die Region als drittes Zuhause. Doch seitdem ich 2010 aus Deutschland ausgewandert bin, habe ich noch nicht mal mehr das.
Wie ein kopfloses Huhn
Natürlich ist Deutschland immer noch der Ort, an dem ich die Kultur und die Lebensweise der Menschen am besten kenne. Ich merke ja auch selbst auf Reisen wie sehr mich die deutsche Kultur geprägt hat. Doch je länger ich im Ausland lebe und reise, desto fremder komme ich mir im eigenen Land vor. Ich kann die Hälfte der Gespräche nicht nachvollziehen, weil ich keine Ahnung habe, welche Serien abends im Fernsehen laufen. Selbst wenn ich mich über das politische Geschehen in Deutschland täglich informiere, bekomme ich dennoch immer etwas nicht mit. So musste mir neulich jemand erklären, warum plötzlich alle über offene Ganztagsschulen sprechen. Und dann sind da noch die kleinen Dinge des Alltags. Wieso und seit wann rauchen zum Beispiel Hinz und Kunz und deren Omas Schischas im Park?
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Das alles könnte man noch unter Eingewöhnungsschwierigkeiten abhaken, wenn meine Eltern nicht auch noch unser Haus verkauft und in eine andere Stadt gezogen wären. Meine Studienwohnung habe ich nicht mehr, die Nordsee habe ich auch hinter mich gelassen, doch ich wusste, dass mein Kindheitshaus immer auf mich wartete. Bis meine Eltern mir mitteilten, dass sie ihre Rente gerne woanders verbringen möchten. Damit fiel für mich dann auch das letzte Gefühl von Heimeligkeit im eigenen Land weg und nun fühle ich mich ein wenig wie ein Huhn mit abgehacktem Kopf. Ich laufe immer noch munter umher, verstehe die Welt aber nicht mehr.
WLAN ist keine Heimat
Zuhause ist somit für mich zu einem sehr abstrakten Konzept geworden. Es ist nicht mehr an einen Ort gebunden, sondern nur noch an Erinnerungen und an Menschen. Ja, ich weiß, dass sämtliche Kulturwissenschaftler schon lange sagen, dass Heimat weniger mit einem festen Ort und sehr viel mehr mit einer Idee zu tun hat (wie beispielsweise bei Juden in der Diaspora). Ich weiß auch, dass viele digitale Nomaden gerne sagen: „Heimat ist da, wo ich WLAN habe.“
Doch so ganz locker flockig kann ich das nicht immer sehen. Denn selbst wenn Heimat an Menschen gebunden ist, muss ich diese Menschen ja selbst in Zeiten von Facebook, Snapchat und Skype ja auch mal im wirklichen Leben sehen. Sie anfassen. Gemeinsam mit ihnen etwas unternehmen. Denn ohne das, sind auch menschliche Beziehungen für mich auf Dauer nicht viel wert.
Ich kämpfe also schon damit, dass ich nun weder eine Heimat noch ein „richtiges“ Zuhause habe. Doch dahinter steckt auch eine Chance.
Mein Zuhause ist wie ein Rucksack
Denn wenn mir niemand vorgibt wo mein Zuhause ist, kann ich es mir tatsächlich selbst aussuchen. Das kann im Sauerland sein oder in Kolumbien – oder sogar in beiden. Ich kann als digitale Nomadin auch Freundschaften und Familienzusammenkünfte, die für mich zu diesem heimeligen Gefühl gehören, viel intensiver und bewusster erleben. Ich habe beispielsweise Verwandte in den USA und in Rumänien, die ich vorher vielleicht mal alle fünf Jahre sehen konnte. Durch meine neue Reisefreiheit als digitale Nomadin, habe ich meine Onkel, Tanten und Cousins im letzten Jahr öfter gesehen als in den letzten zehn Jahren zusammen genommen. Auch kann ich meine Freunde in Deutschland oder anderen Ecken dieser Welt viel flexibler besuchen.
So ist mein Zuhause für mich zu etwas völlig Neuem geworden: Ich nehme es mit mir, wie meinen Rucksack und packe es an einem anderen Ort wieder aus. So fühle ich mich mal in Medellin zuhause, mal in Deutschland, mal in Kanada, mal in Rumänien und mal in den USA.
Zuhause ist für mich immer noch der Ort, an dem ich mit mir lieben Menschen zusammen kommen kann. Doch mein Zuhause ist größer geworden. Es ist nicht mehr ein kleiner Ort hier und eine Stadt da. Mein Zuhause ist jetzt die ganze Welt.
Mich würde mal interessieren, wie sich das bei Dir über die Zeit entwickelt. Und mich würde die Frage interessieren, ob die Veränderung eher durch das zunehmende Alter verursacht wird, oder durch die zunehmende Länge des Nomadentums. Wenn Du also alle paar Jahre diese Analyse wiederholen könntest…
Bin einfach neugierig 🙂
Wie genau sich was verändert?
a) das, was Du als „Heimat“ bezeichnest, und
b) das, wie Du dazu stehst. Was Du vermisst oder eben nicht vermisst.
Wie ich ja schreibe, habe ich eigentlich noch nie etwas als „Heimat“ – im Sinne einer örtlichen Heimat empfunden. Das hat sich weder mit dem Reisen noch mit dem Alter geändert.
Ich meine „Heimat“ ebenfalls nicht örtlich. Darf ich mal zitieren?
Und:
Beides sehr interessant. Das erste Zitat deutet darauf hin, dass „Heimat“ nicht nur an einen Ort gebunden sein kann, sondern auch an einen Satz an Gegenständen. „Heimat“ also als das, was im Lauf der Zeit konstant bleibt. Wie der Rucksack und sein Inhalt. Ein Konzept, das ich nachvollziehen kann. Ist das vielleicht die Bedeutung des Plüschteddies für kleine Kinder?
Das zweite Zitat ist ein weiterer Heimat-Identifikator. Ebenfalls nachvollziehbar. Im Gegensatz zum eigenen Rucksack allerdings Etwas, das man so gut wie gar nicht kontrollieren kann. Freunde können wegziehen, man kann sich mit Freunden verkrachen, oder irgendwann sterben Freunde auch mal. Die verändernden Faktoren sind hier weitgehend extern.
Ein Ort als Heimat ist ein konstanter Faktor, den man im klassischen Lebensentwurf einigermaßen unter Kontrolle hat, und der sich noch langsamer ändert als der Inhalt des Rucksacks. Mich interessiert jetzt dieser Heimatbegriff in Relation zu den anderen Beiden, sowie die zeitliche Änderung, über mehrere Jahre betrachtet. Mich interessiert das, um den Begriff besser verstehen zu können, und eventuell besser einordnen zu können. Was genau bedeutet dieser Begriff für mich? Was bedeutet er für Andere? Gibt es Gemeinsamkeiten? Differenzen? Graduelle oder strukturelle Unterschiede? Was bedeutet „heimatlos“ im engeren Sinn? Also das tatsächliche Fehlen jedweder Heimat. Du hast hier selbst den Begriff „kopflos“ in diesem Zusammenhang erwähnt. In welcher Relation stehen nun die Begriffe „kopflos“ und „heimatlos“?
Da muss man etwas weiter ausholen. Im Zentrum steht der Begriff „Heimat“. Dieses Konzept ist sehr an einen konkreten Ort gebunden, im traditionellen Sinne ist das der Ort, an dem man seine „Wurzeln“ hat. Ich finde diese Orts- und Bodenmetaphorik etwas problematisch, da sie auch oft von nationalistischen Bewegungen missbraucht wird. Hinzu kommt, dass ich das in meinem konkreten Fall gar nicht so leicht zu beantworten finde – weswegen ich persönlich das Wort Zuhause befürworte. Wenn dich der Diskurs zum Wort und der Ideologie der Heimat interessiert, gibt es einige sehr spannende postmoderne Texte dazu (https://de.wikipedia.org/wiki/Rhizom_(Philosophie)).
Je mehr man sich mit diesen Begriffen beschäftigt, umso mehr stellt man auch fest, dass Heimat eigentlich weniger ein konkreter Ort ist, sondern mehr eine Idee von einem konkreten Ort, vor allem für Menschen, die nicht mehr in ihrem Heimatland leben (Auswanderer, Expats, Diasporamenschen, Vertriebene, Flüchtlinge etc.). Wenn du dir z.B. anguckst, was „Deutsche“ in Chile für eine Vorstellung von ihrer Heimat haben und wie sie das Deutsche Leben – das hat sehr wenig mit dem aktuellen Land zu tun, spiegelt aber ihre IDEE von Deutschland wieder.
Heimatlos oder Heimat kann also sehr schwer allgemein definiert werden, außer man spricht von einer Ideologie oder einem gedanklichen Konzept, doch selbst dann bedeutet es für jeden Einzelnen immer etwas anderes.
Was interessant an der ganzen Debatte ist, dass ja Heimat oder dieses Verankert-Sein ja immer als die Norm gesehen wurde – etwas, das digitale Nomaden jetzt aufsprengen. Und das finde ich sehr spannend.
Die meisten Zeit fühle ich mich auch sehr wohl damit, nirgendwo und überall hin zu gehören. Es gibt nur gewisse Situationen (s. Beispiele im Text), wo man durch seine Abwesenheit natürlich erstmal das Gefühl hat, ein bisschen im Abseits zu stehen und gewisse Diskussionen nicht mehr zu verstehen. Es ist also immer wieder ein neues Reindenken in den jeweiligen Ort und ein Wiedergewöhnen. Das kann manchmal schon frustrierend sein, nicht immer, aber hin und wieder – daher das Gefühl des kopflosen Huhnes.
Eine weitere spannende Lektüre dazu: http://www.springer.com/de/book/9783658047399
Danke für den Link. Werde ich mir heute Abend mal durchlesen.
Ansonsten: Was die „Norm“ und ihre oft nationalistische Konnotation angeht, da gebe ich Dir uneingeschränkt Recht. Mir geht es eher um etwas Anderes. Vielleicht um das, was Du, um die nationalistische Konnotaion zu vermeiden, „Zuhause“ nennst.
Das mit der „Idee von einem konkreten Ort“ könnte hier weiter helfen. Es stimmt, Deutsche im Ausland haben und leben ein ganz anderes Verständnis von Deutschland und Deutsch als die hier. Das trifft allerdings nicht nur auf Deutsche zu. Ich erinnere mich da an meinen Schwiegervater. Der war in Deutschland sehr viel „spanischer“ als er vermutlich in Spanien jemals gewesen wäre.
Und das wiederum führt zu der Überlegung, was genau ist das eigentlich? Anscheinend gibt es nicht nur eine allgemein akzeptierte Norm, es gibt anscheinend auch ein in der menschlichen Natur verwurzeltes Bedürfnis nach Etwas, das man salopp als „Heimatgefühl“ bezeichnen könnte. Allerdings scheint dieses Heimatgefühl nicht notwendigerweise einen Ort zu benötigen. Meine Vermutung ist, dass dazu auch andere Dinge taugen. Mithin wäre das digitale Nomadentum nicht ein Aufbrechen dieses Heimat-Bedürfnisses, sondern eher eine Verlagerung. Damit ergeben sich 2 Fragen: Verlagerung wohin und was bedeutet dies für das jeweilige Leben? Wenn ich das besser greifen könnte, was genau das für ein Bedürfnis ist, wäre das Verständnis sowohl des traditionellen Heimatgefühls als auch des Lebensgefühls der digitalen Nomaden leichter. Deine Beiträge haben mich dem ein Wenig näher gebracht.
Nachtrag: Ich habe jetzt beide Links mal angelesen. Um das zu verarbeiten, brauche ich jedoch deutlich mehr als ein paar Tage 🙂
😉