Bei der BMW Group in München wurde einen Blick in die Zukunft der Mobilität geworfen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im Rahmen dieser Vortragsveranstaltung Autos und von Autos verursachte Umweltbelastung und Verkehrskollapse als größte Probleme ausgemacht wurden, die es zu lösen gilt. Trotz heftig ratternder Werbetrommel waren die aufgezeigten Ansätze ziemlich interessant. Wir waren für euch dabei.
Wie sehen die nächsten 100 Jahre der Mobilität aus? Dieser spannende Frage gingen die Bayerischen Motorenwerke in der BMW Welt München mit Experten-Unterstützung auf den Grund. Bereits die Einleitung der Veranstaltung machte deutlich, dass kaum eine andere Branche durch die rasante Entwicklung im Bereich Digitalisierung und künstliche Intelligenz vor so gewaltigen Umbrüchen steht wie die Autmobilindustrie. Immer mehr Menschen nutzen Services wie DriveNow, Blablacar oder Uber. Die Bedeutung des Eigentums an einem Fahrzeug tritt im Vergleich zur reinen Benutzung immer mehr in den Hintergrund.
Wie häufig im Bereich Technik ist die Entwicklung in den USA schon weiter. Keine Lust auf nervige Parkplatzsuche? Kein Problem, auf Wunsch holt der Mitarbeiter eines Parkservices die eigene Karre am vereinbarten Ort ab und macht sich auf die nervenaufreibende Suche nach einem Abstellort. Tanken wird ebenfalls als Dienstleistung angeboten. Hier zeichnet sich immer mehr die Entwicklung ab, dass es Menschen beim Autofahren nicht mehr auf ein Statussymbol ankommt, sondern dass sie auch bei der Mobilität die Zeit als kostbarstes Gut ansehen und daher gewillt sind, mit dem Auto verbundene Zeitfresser einem Service zu übertragen. Den größten Wow-Effekt erzielen derzeit natürlich Elektro-Fahrzeuge und autonom gesteuerte Vehikel.
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Endlich betrunken Auto fahren!
Zu Beginn ging es gleich mal ab ins Weltall. Frank Salzgeber, Head of Technology Transfer Programme Office bei der European Space Agency (ESA), zeigte auf, wie im Weltraum entwickelte Ideen und Technologien von Unternehmen auf der Erde adaptiert und umgesetzt werden. Er hob außerdem die Relevanz der ESA im Bereich Navigation hervor. Seiner Meinung nach möchte ja niemand sein selbstfahrendes Auto einem Anbieter aus China, Russland oder der USA anvertrauen. Salzgeber traut diesen nicht immer ganz lupenreinen Demokratien zu, manipulierte Navigations-Daten zur Verfügung zu stellen. Ist natürlich nur als lauer Scherz gemeint. Ob also bei einem russischen Anbieter wirklich alle Wege zur Putins Datscha führen? Ob Adressen von Menschrechtlern in der chinesichen Navigation wirklich nicht hinterlegt sind? Die Zukunft wird es zeigen.
Die ESA will auch beim Thema Telekommunikation einen wichtigen Beitrag bei der Mobilität von morgen leisten. Laut einer Studie sind Maschinen erst im Jahr 2050 auf demselben Niveau wie ein mittelmäßig intelligenter Mensch. Spätestens dann will die ESA mit der Nutzung aktueller Wetterdaten sowie weiterer Technologien und Services „Augen und Ohren“ beim autonomen Fahren sein. In den Pläne der ESA ist vorgesehen, dass Fahrzeuge zukünftig ohne den Besitzer autonom zur Werkstatt fahren und auch den Parkplatz selbst suchen, während der Halter schon gemütlich zuhause am Essenstisch sitzt.
Dank weniger Unfälle würden auch die Versicherungsraten deutlich günstiger werden. Maschinen reagieren ungleich schneller als die behäbigen Nervenzellen im menschlichen Hirn. Endlich können dann auch Oktoberfest-Besucher nach 5 Maß stramm wie eine Haubitze von der Wiesn mit dem eigenen Auto nach Hause fahren. Natürlich chauffiert von der Maschine. Auch die Schifffahrt wird laut Salzgeber einem großen Umbruch erleben. Ab 2030 werden autonome Schiffe die Meere beherrschen. Schlechte Zeiten für Käptn Iglo.
Weg mit den Autos!
Das Start-up Lilium Aviation fühlt sich in der Luft ebenfalls wohler als am Boden. Kein Wunder, wollen die Münchner 2018 doch den ersten elektrischen Jet für zwei Personen auf den Markt bringen. Wichtigstes Ziel des Unternehmens: „Wie werden wir die Autos los?“. Dass dies ausgerechnet in den Räumlichkeiten der BMW Group formuliert wird, ist bemerkenswert und wizig. Die Vorteile des Minijets, der auch direkt aus dem James-Bond-Gadget-Labor stammen könnte, liegen auf der Hand: Er benötigt weder Flughäfen oder Straßen. Dank des vertikalen Start- und Landesystems kann der autoähnliche Flieger selbst in der dicht bebauten Stadt problemlos eingesetzt werden. Somit ist er beispielsweise wendiger als ein Helikopter. Das bislang größtenteils unbekannte Flugobjekt soll 500 km zurücklegen können und dabei Spitzgeschwindigkeiten von 400 km/h erreichen.
36 Motoren sollen zusammen mit 6 Batteriepaketen und drei Flugcomputern für maximale Sicherheit und Komfort sorgen. Weil doch mal was schiefgehen kann, gehören Fallschirme zur Grundausstattung. Ob auch Spucktüten in der Basisversion inkludiert sind, ist derzeit dagegen noch nicht bekannt. Die Motoren wurden allesamt intern entwickelt und gefertigt. Ein flugfähiger Prototyp ist bereits vorhanden. Lilium Aviation will „Fliegen für jeden“ ermöglichen. Das hört sich toll an, dennoch stellen sich bei dem Projekt einige offene Fragen: Wird ein klassischer Flugschein benötigt? Wie sieht es mit Rechtsfragen im vielbeflogenen Luftraum aus? Wie und wo muss ein solcher Jet versichert werden? Wie viel kostet der Spaß? Hat auch Flugprofi Reiner Callmund in der Kabine Platz? Ich bin gespannt, wie sich dieses Projekt weiter entwickelt.
Umweltfreundliche Raser-Röhre
Das Projekt mit dem größten Hype-Faktor stellte Dirk Ahlborn, CEO von Hyerloop vor. Dafür ist vor allem der Mastermind hinter dem Projekt verantwortlich: Elon Musk. Da der visionäre Unternehmer trotz seinem Raumfahrt-Projekt SpaceX und den Elektrofahrzeugen der Marke Tesla offenbar Langeweile hatte, machte er sich noch Gedanken über den öffentlichen Fernverkehr der Zukunft. Inzwischen fehlt dem Tech-Tausendsassa aber die Zeit, um das Projekt selbst umzusetzen. Also holte er sich via Crowdsourcing Unterstützung aus aller Welt. Inzwischen tüfteln mehr als 550 Supporter aus 41 Nationen am Hyperloop. Die Motivation ist dabei Leidenschaft, nicht der schnöde Mammon. Das die Unterstützer mit Anteilen am Unternehmen beteiligt werden, ist eher ein angenehmer Nebeneffekt.
Die Technologie basiert auf einer Idee, die bereits 1870 erstmals in New York vorgestellt wurde. Mit Hilfe eines Vakuums gleiten dabei Kapseln mit mehreren Sitzplätzen ohne Widerstand oder Reibung auf Luftpolstern mit hoher Geschwindigkeit durch eine Röhre. 1904 wurde das erste Patent auf die Technologie angemeldet, 2013 griff Elon Musk dieses Konzept auf und sponn es weiter. Laut Hyperloop sind die Vorteile vielfältig: Das System ist wetterunabhängig, zudem sind Unfälle durch menschliches Versagen oder Objekte auf der Strecke so gut wie ausgeschlossen.
Eine Reise von Los Angeles nach San Francisco dauert 30 Minuten, mit einer Röhre können auf dieser Strecke fünfmal mehr Menschen befördert werden als per Flugzeug. Die Fahrt in der Kapsel fühlt sich an wie die Reise in einem Flugzeug, ist aber laut Hyperloop zehnmal sicherer. In Quay Valley (Kalifornien) befindet sich derzeit eine Teststrecke im Bau. Sie soll ab 2018 zehn Millionen Passagiere im Jahr befördern.
Zukunft der Mobilität und Schaufenster 4.0
Da Crowdsourcing aber jeder kann, hat sich Hyperloop noch ein weiteres Konzept ausgedacht, um die Fähigkeiten und Ideen der Masse zu nutzen: Crowdstorming. Praktisch ein Brainstoming mit mehr als 550 Teilnehmern. Da wird dann erörtert, ob eine Finanzierung via Ticketverkauf noch zeitgemäß ist oder ob nicht andere Geschäftsmodelle vorzuziehen sind. Als alternatives Geschäftsmodell ist derzeit der sogenannte „Experience Content“ im Gespräch. Das bedeutet, dass Hyperloop in der Hochgeschwindigkeitsröhre Fenster simuliert, die dem Passagier das Gefühl vermitteln, wie im Zug aus einem realen Fenster zu schauen. Zusätzlich lassen sich dann Infos zur Reise oder auch Werbung in den „Augmented Windows“ einblenden. Eine potenzielle Einnahmequelle.
Weitere Vorteile der Röhren-Raserei: Sie ist umwelfreundlich, weil die benötigte Energie aus Wind und Sonne gewonnen werden kann. Die überschüssige Energie wird verkauft, ein weiterer Pfeiler bei der Finanzierung des Projekts. Nach Meinung der Betreiber ist der Hyperloop das, was die Eisenbahn im 18. Jahrhundert war: eine technische Revolution in der Moblität des Menschen. Allerdings ist die Eisenbahn laut Ahlborn inzwischen eine hoffnungslos veraltete Technologie, in die immer noch Milliarden von Investitionsgelder für die Infrastruktur verpulvert werden. Seiner Meinung nach lässt sich der Hyperloop mit weit weniger Milliarden finanzieren, um die Verkehrs- und Umweltprobleme der heutigen Zeit zu lösen.
Der Wohnort wäre dann auch nicht mehr für die Wahl des Jobs oder des Partners entscheidend, da man die 150 km zur Arbeit oder zum Partner mal eben locker in 10 Minuten schaffen würde. Fracht könne mit dem Hyperloop in Deutschland innerhalb einer Stunde an jeden beliebigen Ort ausgeliefert werden. Ich bin gespannt, ob wirklich alle Ziele und Visionen, die mit diesem Mammut-Projekt verbunden sind, in der Realität umgesetzt werden können. Es klingt derzeit fast zu gut, um wahr werden zu können.
Ampel am Auto
Zum Abschluß hat der Hausherr selbst seine Vision von der Zukunft der Mobilität vorgestellt. Oliver Heilmer, Head of Interior Design BMW Automobiles, präsentierte ein Konzeptauto, bei dem nicht die Maschine, sondern der Fahrer im Fokus steht. BMW will den Menschen in Zukunft zum „Ultimate Driver“ machen. Dabei hilft entscheidend der virtuelle Co-Pilot, der Companion. Er warnt den Fahrer vor Objekten, die für das menschliche Auge noch verborgen sind. Dies kann ein Felsbrocken nach einer Kurve einer Straße im Gebirge sein oder der Radkurier, der hinter einem LKW auf die Straße rast. Reagiert der menschliche Fahrer nicht auf das schwache erste Warnsignal, schickt der Companion eine stärkere Warnung hinterher. Das Display wird komplett in der Frontscheibe angezeigt. Knöpfe, Screens oder Schalter gibt es im BMW von morgen nicht mehr.
Das Konzeptauto bietet zwei Fahrsmodi: Boost und Ease. Im Boost-Modus hat der Fahrer im wahrsten Wortsinn selbst das Steuer in der Hand und wird vom Companion unterstützt. Wechselt er durch Berührung BMW-Logos in den Ease-Modus, übernimmt der Co-Pilot komplett die Tour, das Lenkrad fährt ein. In diesem Modus erfolgt auch eine Kommunikation mit Passanten per Lichtsignal. Eine grünes Licht zeigt Fußgängern an, dass das Fahrzeug sie erkannt hat und wartet, bis sie die Straße überquert haben.
Da kann K.I.T.T. nur neidisch mit dem Kühlergrill knirschen. Wer das Konzeptauto in seiner ganzen Pracht bewundern möchte, hat dazu im September bei BMW in München Gelegenheit. Im Gespräch verriet ein Mitarbeiter des Unternehmens, dass die Flügeltüren vorn und hinten nicht in einem etwaigen Serienmodell realisiert werden könnten, weil diese Konstruktion sehr teuer, komplex und damit auch extrem störungsanfällig sei. Man darf gespannt sein, welche Zahl am Ende das Preisschild dieses Fahrzeugs in der Serienversion zieren wird.
Mehr als Marketing-Show
Natürlich haben die Vertreter der vorstellenden Unternehmen kräftig die Werbetrommel gerührt. Dementsprechend werden bestimmt nicht alle großen Pläne und Konzepte am Ende umgesetzt, zumindest nicht in der vorgestellten Form. Trotzdem gab die Veranstaltung einen guten Ausblick darauf, welche Erdbeben eine traditionelle Industrie gerade erschüttern. Nur wer gewillt ist, traditionelle Geschäftsmodelle zu überdenken und notfalls auch komplett umzukrempeln, wird in der (Auto-)Mobilbranche auch in 20 Jahren noch vertreten sein. Ich bin gespannt und packe voller Vorfeude meinen Koffer, um mit dem Minijet zum nächsten Hyperloop-Terminal zu düsen.