Heute ist der Tag, an dem ich mich oute! Ich kann mit dieser Lüge einfach nicht länger leben. Dabei habe ich es wirklich lange probiert und es sowohl mir als auch all meinen digitalen Nomadenfreunden immer wieder versichert: Die einzige Art und Weise zu reisen, ist langsam. Wie soll man auch bei all den Blogs über Slow Travel, intensives Reisen, Quantitäts- statt Qualitätsansprüchen zugeben, dass man nicht so reist? Und noch schlimmer, dass man nicht gerne so langsam reist? Damit sagt man ja irgendwie auch gleich von sich, dass man ein total oberflächlicher, ignoranter Mensch ist.
Als digitaler Nomade kommt noch hinzu, dass man damit zugibt, wie die „Normalsterblichen”, oder noch schlimmer, wie die Backpacker, zu reisen. Wie kann ich jemals so etwas gestehen, ohne schief angeguckt zu werden? Aber was soll’s?! Verstellen bringt einfach nichts. In der Hoffnung, dass ich nicht die einzige bin, der es so geht (bitte, bitte, lasst mich jetzt nicht alleine hier auf weiter Schnell-Reise-Flur!), und mit der festen Überzeugung, dass auch wir Fast Traveler eine Daseinsberechtigung haben, sage ich es offen und ehrlich heraus: Ich mag es einfach nicht, laaaaangsam zu reisen – zumindest nicht ständig und dauerhaft und schon gar nicht als Mantra!
Alle Zeichen stehen auf Entschleunigung
Die Slow Bewegung oder auch Entschleunigung ist ein allgemeiner Trend, ja eigentlich eine gesamte Lebenseinstellung, mit der Menschen ganz bewusst der Beschleunigung unseres Alltags entgegensteuern wollen. Wenn ich Wikipedia glauben darf, geht die Bewegung auf eine Demonstration gegen McDonald’s in Rom zurück, mit der Protestführer Carlo Petrini 1986 die Slow Food Bewegung startete. Damit trat er anscheinend eine ganze Langsam-Bewegung los und so wurde sogar im Jahr 1999 das World Institute of Slowness gegründet. Worum geht es diesen Menschen, die so versessen auf alles Langsame sind? Es geht vor allem um ein bewusstes langsamer Werden – und damit auch um ein intensiveres Genießen gewisser Dinge wie etwa Musik, Essen und eben auch Reisen.
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In Bezug auf Reisen bedeutet Entschleunigung, dass man eben nicht als Pauschaltourist nur in Resorts übernachtet und nach zwei Wochen am Pool mit Unterhaltungsprogramm im Hotelrestaurant gar nichts vom Land gesehen hat und wahrscheinlich nie mit einem Einheimischen gesprochen hat. Tatsächlich gibt es Reisende, die dem Slow Travel ein ganzes Manifest widmen, es gibt Slow-Travel-Foren und ganze Webseiten, die sich dem Thema verschrieben haben. Langsames Reisen ist also nicht mehr lediglich eine Randbewegung einiger schrulliger Hippies, sondern mittlerweile Mainstream.
Reisen wie ein Eichhörnchen nach dem Winterschlaf
Hier kommen wir auch schon zu meinem Dilemma mit dem langsamen Reisen. Das Thema ist so allgegenwärtig, nicht nur auf Reiseblogs, sondern auch bei den meisten Gesprächen, die ich mit anderen Reisenden führe, dass man den Eindruck hat, es sei nicht nur die einzige Form zu reisen, sondern auch die einzig richtige.
Ich möchte hier auf keinen Fall die Pauschalreise verteidigen, und natürlich ist gegen bewusstes Reisen und das intensive Kennenlernen eines Ortes auch absolut nichts einzuwenden – nur ist diese Art zu reisen auf Dauer einfach nichts für mich. So gut und richtig es klingt langsam zu reisen, so unwohl fühle ich mich damit. Vielleicht liegt das auch ein wenig an meiner Definition des Reisens. Ich halte mich im Jahr jeweils drei Monate an drei Orten auf: Dortmund, Medellín und Cincinnati. Das kann man als Slow Travel bezeichnen, wenn man möchte, für mich sind diese drei Orte, so unterschiedlich sie auch sein mögen, aber meine drei Heimstationen. Von hier aus unternehme ich Ausflüge, mache Yoga, gehe auf Konzerte, treffe mich mit Freunden – also all das, was ich eher mit einem festen Wohnsitz verbinde.
Von Eichhörnchen und Backpackern
Doch die restlichen Monate im Jahr, die Zeit, in der ich bewusst auf Achse bin, die möchte ich nun wirklich nicht an einem einzigen Ort verbringen und schon gar nicht laaaaaaaaaaaangsam. Wenn mein Freund und ich unsere Rucksäcke packen, sind wir wie zwei Eichhörnchen auf Futtersuche: Wir haben nach neun Monaten Winterschlaf Ruhepause unglaublich viel Energie und wollen so viel wie möglich sehen. Wir sind dabei auch nicht unbedingt jeden Tag an einem anderen Ort und reisen wegen unserer Arbeit sicherlich doch langsamer als der typische Backpacker, dennoch kann ich mir nicht vorstellen, das alles langsam anzugehen.
Lange habe ich mich schon ein wenig dafür geschämt und dachte wir müssten auch auf diesen Reisen so etwas wie eine Homebase finden und nicht ständig an neue Orte ziehen. Doch nach so vielen Jahren muss ich einfach einsehen, dass ich mir da nur etwas vormache. Das mag ja für andere wunderbar funktionieren, aber mich würde das wahnsinnig machen. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte in den vergangenen drei Monaten in Mexiko lediglich die Yucatán-Halbinsel gesehen, weil man ja alles langsam machen muss, und all die anderen wunderschönen Orte verpasst, dann hätte mich das total fertig gemacht.
Ich kann da auch kein wirklich gutes Gegenargument bringen (langsames Reisen ist wahrscheinlich entspannter, bewusster und man lernt einen Ort und seine Menschen ganz anders kennen), außer dem ganz persönlichen Empfinden, dass es mich kirre macht. Das ist vielleicht nicht trendy und die Slow Bewegung steht da vielleicht Kopf, aber ich kann mir ja schließlich auch nichts aufzwingen, nur „weil es sich so für eine digitale Nomadin gehört“. Mir geht es auch wirklich nicht darum, Sehenswürdigkeiten abzuklappern, sondern einfach darum, meine unstillbare Neugierde nach neuen Orten zu befriedigen. Ich kehre dann irgendwann mal auch gerne an Orte zurück, die mir gefallen haben, auch gerne länger, doch wenn ich reise dann reise ich – und das bitte nicht slow!
Wie seht ihr das? Wie reist ihr?