Fußballeuropameisterschaft in Frankreich und der Deutsche Bundestag treibt ein umstrittenes Anti-Terror-Paket im Eilverfahren durchs Kabinett. Alles nur, um die Terrorismusbekämpfung auszuweiten? Ich habe dazu eine ganz andere Meinung. Lasst uns über Massenüberwachung reden. Ein Kommentar.
Die meisten von uns sind in EM-Laune und freuen sich auf viele tolle Fußballspiele. Es war ein wahres Fußballwunder, als Island am Montag das Mutterland des Fußballs im Achtelfinale aus dem Turnier kickte. Abseits der Fußballeuphorie wurde in Spanien zum zweiten Mal gewählt, in England der Brexit vom Volk beschlossen und in Russland die Internetüberwachung verschärft. Es grenzt an ein Wunder, dass derzeit nicht über TTIP diskutiert wird. Diese Art und Weise ist bei weitem nicht neu, sondern altbewährt. Darum soll es mir jetzt aber nicht so sehr gehen, sondern darum, dass auch Deutschland seine Überwachungsgesetze in diesen Tagen ausweitet.
Vergangene Woche verabschiedete der Deutsche Bundestag im Eiltempo sein neues Anti-Terror-Paket, somit noch rechtzeitig vor der Sommerpause. Insgesamt sollen gleich neun Gesetze geändert werden, mit weitreichenden Folgen. Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und ausländischen Geheimdiensten wird noch enger. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf nun jugendliche „Gefährder“ bereits ab 14 Jahren beobachten anstatt wie bislang ab 16 Jahren. Für den Kauf von Prepaid-Telefonkarten soll binnen eines Jahres eine Ausweispflicht gelten.
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Provider und Händler sollen die neue Regelung binnen eines Jahres umsetzen. Auf Tankstellen und Supermärkte warten laut dem Bundeswirtschaftsministerium Millionenkosten im zweistelligen Bereich. Trotz umfangreicher Kritik seitens Opposition und Datenschützern ließ sich die Große Koalition nicht von ihrem Plan abbringen, sie verschärfte den Entwurf sogar noch. Selbst Rügen des Normenkontrollrats fanden kaum Gehör.
Schützt Massenüberwachung vor Terrorangriffen?
Was mich aber an dieser neuerlichen Verschärfung mindestens genauso stört, ist der Fakt, dass solche Gesetze immer noch unter dem Deckmantel des Terrors verkauft werden. Überall nur noch Terror. Angst und Schrecken – selbst (und gerade) zur EM in Frankreich. Wir erinnern uns an die Anschläge in Paris, zuletzt in Brüssel oder – leider erneut ganz akut – der Türkei. Erschreckende Bilder und Staaten, die dieser Art von Gewalt hilflos ausgeliefert sind.
Die Antwort darauf lautet oftmals: Ausbau der Massenüberwachung, immer und immer wieder. Das Gleiche geschieht auch in Deutschland, den USA, England, Russland und weiteren Ländern auf diesem Planeten. Das ironische daran, es gibt keinerlei Belege dafür, dass Massenüberwachung zur Terrorismusbekämpfung signifikant beiträgt. Edward Snowden twitterte jüngst zur Ausweitung der Internetüberwachung in Russland:
Mass surveillance doesn’t work. This bill will take money and liberty from every Russian without improving safety. It should not be signed.
— Edward Snowden (@Snowden) 25. Juni 2016
Ob Terror durch Überwachung verhindert wird? Fraglich.
Snowdens Worte lassen sich 1:1 auf jedes andere Land, das Massenüberwachung betreibt ummünzen. Er öffnete uns 2013 die Augen bzw. bestätigte, was viele bereits ahnten – wir werden massenüberwacht. Seitdem hat sich allerdings nur wenig getan. In Deutschland versucht der NSA-Untersuchungsausschuss die Verwicklungen des BND in der NSA-Spionageaffäre aufzuklären. Und der BND steckt da richtig tief mit drin, das ist mal sicher.
Doch anstatt bei unserem Geheimdienst die Zügel straffer zu ziehen, werden diese stetig gelockert, wie das neue Anti-Terror-Paket erneut untermauert. Die mittlerweile wieder eingeführte Vorratsdatenspeicherung ist ein weiteres trauriges Beispiel für die Ausweitung der Totalüberwachung. In Frankreich konnten die Anschläge auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo und auf Paris im November 2015 dadurch nicht verhindert werden.
Anti-Terror-Paket schränkt Grundrechte ein
Das Überwachungssystem wird auch auf EU-Ebene derzeit breit erweitert. Wenn es nach Europol geht, dann soll die Polizei länderübergreifend noch enger zusammenarbeiten und die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten soll immer mehr verschwimmen. Zudem arbeitet man jetzt mit Hochdruck daran, Verschlüsselungen zu knacken. Bald wird es auch möglich sein, europaweit Staatstrojaner einzusetzen. Vollkommen legal, versteht sich.
Deutschland plant die Umsetzung der EU-Richtlinie noch in diesem Jahr. Der Einsatz von solchen Überwachungswerkzeugen ist allerdings seit Jahren gleichermaßen umstritten. Nach Terroranschlägen stellt sich oftmals heraus, dass die Attentäter zur Kommunikation auf unsichere Wege, wie etwa SMS, setzten. Daher ist es sehr fragwürdig, was es bringen soll, sichere Verschlüsselungen zu unterwandern.
Hört auf mit den Märchen zur Terrorbekämpfung!
Ich finde es unglaublich, dass selbst drei Jahre nach den Snowden-Leaks, die Regierungen unbeirrt ihre Überwachungsinfrastruktur weiter aufrüsten und uns immer noch dieselben Märchen zur Terrorismusbekämpfung auftischen. Entweder glauben wirklich noch genug Menschen daran oder aber unsere Politiker sind selbst davon überzeugt. Ich weiß es nicht. Fest steht aber: Massenüberwachung schafft weder mehr Sicherheit, noch hilft sie dabei, Terroranschläge zu verhindern. Sie dient nur dazu, uns zu überwachen.