„Video killed the radio star“, da ist noch immer was dran. Doch Podcasts und andere Audio-Formate werden immer beliebter. In der Serie Hören/Sagen berichtet Sandro Schroeder über Neuigkeiten, Hör-Tipps und Macher aus der Audio-Welt.
Kurz zusammengefasst – Ausgabe 2
- News: Audible – Call for Papers, Netflix-Modell bei Acast
- Interview: Annika Brockschmidt vom Wissenschaftspodcast Science Pie
- Hörtipps: Lage der Nation, Reply All
Neuigkeiten
Audible – Call for Papers
Der Hörbuch-Anbieter Audible sucht mit einem Call for Papers nach dem nächsten deutschen Serial. Noch bis zum 8. Juli sind alle Podcaster, Radio-Journalisten und Interessierten aufgerufen, ihre Ideen für eine neue Podcast-Serie einzureichen. Den besten Konzepten lockt ein Zuschlag für eine Pilotfolge – mit einem Budget von 3.000€. Die erfolgreichsten Pilotfolgen sollen dann bei der Amazon-Tochter als Serie starten und den Vertrag für eine erste Staffel kommen.
Audible arbeitet an der nächsten Generation des gesprochenen Wortes.
Die Nachricht ist Anfang Juni nahezu untergegangen, gut zwei Wochen nach dem Spotify-Böhmermann-Deal. Dabei ist die Konzeptsuche aus zwei Gründen eigentlich sogar die interessantere Meldung. Erstens: Audible entscheidet sich dafür, neue Inhalte selber zu entwickeln – auch wenn das natürlich unter den Bedingungen einer großen Plattform geschieht.
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Das wird aber das deutschsprachige Podcast-Angebot eher bereichern, als ein bloßer Kauf von bestehenden Inhalten wie bei Spotify. Oder anders gesagt: Die Eigenproduktion House of Cards hat den Streaming-Markt und Netflix weiter gebracht, als es der Serien-Zukauf „Fuller House“ jemals gekonnt hätte. Und zweitens: Die Aussicht auf ein Serien-Budget fördert hoffentlich Ideen, die bisher in Schubladen und Hinterköpfen warten mussten – weil sie schlicht zu teuer waren.
Acast+: Netflix-Modell für Podcasts?
"Podcasts will be for radio like Netflix is for TV" (@sarahvm, @acast)https://t.co/SLavAi5V0k pic.twitter.com/rVrLfLbSEa
— Radiodays Europe (@RadiodaysEurope) June 22, 2016
Das schwedische Unternehmen Acast hat eine klare Vision: Podcasts werden für das Radio sein, was Netflix für das Fernsehen war. Was den Acast-Gründern offenbar für diese Zukunft bisher gefehlt hat: das passende Modell zur Finanzierung. Crowdfunding-Modelle lässt Co-Gründer Mans Ulvestam nämlich nicht gelten: „Es gibt Patreon, aber das ist kein Geschäftsmodell, das ist Betteln.“
Acast+ heißt das Angebot, mit dem die Podcast-Plattform ihre Zukunftsvision greifbarer machen möchte: Damit können Nutzer ihre Lieblingspodcasts jeweils für einen monatlichen Beitrag abonnieren und bekommen dafür beispielsweise einen werbefreien Zugang, exklusive Inhalte oder können früher auf neue Folgen zugreifen. Das ist aber eher ein Premium-Abo für zahlungswillige Fans und kein Netflix-Modell für Podcasts. Die Vision vom Podcast-Netflix bleibt also vorerst Zukunftsmusik.
Interview: Annika Brockschmidt von Science Pie
Science Pie will Wissenschaftsthemen in laientaugliche Häppchen auftrennen, Geistes- und Naturwissenschaften verbinden, Geschichten erzählen und damit eine deutsch- wie englischsprachige Hörerschaft erreichen. Der monatliche Podcast ist genau so ambitioniert, wie sich sein Rezept liest.
Diesen anspruchsvollen ‘Wissenschaftskuchen’ backen die Heidelberger Studenten Annika Brockschmidt (23) und Dennis Schulz (26). Im Hören/Sagen-Interview spricht Annika über die Zutaten einer Folge Science Pie, die Vorbilder und die Motivation für den Podcast.
Annika, bei euch geht es um “Eis am Stiel”, “Laser in’s Herz”, “Das Nibelungenlied” – so heißen die Titel in eurer Episodenliste. Wo ist da der gemeinsame Nenner?
Der gemeinsame Nenner ist die Wissenschaft an sich. Wir schießen uns nicht auf entweder die Natur – oder auf die Geisteswissenschaften ein, sondern wollen Einblicke aus beiden Feldern geben. Auch weil zwischen Geistes- und Naturwissenschaften ein sachtes Grundmisstrauen besteht, gegenüber dem, was die jeweils andere Seite so macht. Dagegen wollten wir angehen. Außerdem wollen wir zeigen, dass man beides verstehen kann – auch wenn man mit Wissenschaft nichts am Hut hat.
In eurer Folge “Eis am Stiel”, da sagt ein Physiker den Satz: “Wenn man auf eine Party geht und sagt: ‘Ich bin Physiker’ – dann ist das kein guter Geprächseinstieg.” Wie entlockt ihr den Wissenschaftlern solche lockeren Sätze?
In dem Fall hatten wir auch einfach Glück. Das war ein Professor von der Universität Durham in England, wo ich mit Erasmus eine Zeit lang studiert habe. Da haben wir dann einfach nach interessanten Projekten geschaut, haben nach interdisziplinären Projekten gefragt. Und dann hat quasi ein Professor den nächsten empfohlen.
Natürlich suchen wir aus den Interviews dann immer die besten, die am einfachsten verständlichen Teile heraus. Aber wir haben den Wissenschaftlern auch vor dem Interview gesagt: Die Leute sollen es verstehen, es soll Spaß machen – und dabei aber nicht zu wenig Information rüberkommen. Die Interviewpartner waren dann immer sehr bereit darauf einzugehen.
Klar, wir sind kein wissenschaftliches Fachjournal.
Euer Anspruch ist also, Wissenschaft zugänglich zu vermitteln, greifbarer zu machen.
Das Problem ist ja, besonders bei Themen und Wissenschaftlern aus anderen Feldern: Oft wirkt es sehr abschreckend, wenn man gleich mit den Vollen reingeht und man die Fachbegriffe um die Ohren gehauen bekommt. Das bringt nichts, da bleibt nichts hängen. Das macht den Respekt vor dem Fach nur größer, im schlechten Sinne.
Wir wollen deswegen zeigen: Man kann alles verstehen, wenn man es nur richtig erklärt und es spannend darstellt. Klar, wir sind kein wissenschaftliches Fachjournal. Wir wollen das schon allgemeinverständlich darstellen und gleichzeitig inhaltlich so wenig Abstriche wie möglich machen. Wenn ich etwas über Geschichte mache und Dennis sagt: ‘Das verstehe ich überhaupt nicht, den Begriff kenne ich nicht.’ – dann weiß ich, ich muss das umschreiben. Und umgekehrt ist es genauso, da sind wir unser eigenes Kontrollmedium.
Ihr produziert eher aufwändige, 15-minütige Beiträge mit Musik und Tönen. Warum produziert ihr keinen Gesprächspodcast, der bei den Wissenschaftspodcasts ja doch häufiger vorkommt?
Wir sind beide beeinflusst von den US-amerikanischen Storytelling- und Wissenschaftspodcasts wie This American Life und Radiolab. Uns hat die Idee gefallen, nicht nur Themen aus der Wissenschaft zu bringen, sondern das Ganze auch mit eine Dramaturgie, einem Spannungsbogen zu bearbeiten.
Und was die Länge betrifft: Zeitlich ist es viel einfacher, eine 20-minütige Folge im Tagesablauf unterzubringen als ein zweistündiges Gesprächsformat. Wir wollen die Leute nicht erschlagen und deswegen kleine, gut verdauliche Häppchen bieten. Die sind aber lang genug, damit man auch über etwas Substanzielles reden kann.
Für uns ist Science Pie mehr, als ein Nebenher-Projekt
Dazu gibt es Science Pie in deutsch und englisch. Warum produziert ihr zweisprachig?
Wir haben anfangs überlegt, uns für eine Sprache zu entscheiden. Die Grundidee war, dass es auf dem deutschen Markt noch keinen Podcast gab, der sowohl Geistes- als auch Naturwissenschaften abgedeckt hat.
Andererseits ist der englisch-sprachige Podcast-Markt sehr viel größer, da wollten wir mitmischen. Außerdem wollten auch – ganz banal – englisch-sprachige Freunde hören, was wir da machen. Dann haben wir gesagt: Dann machen wir das halt zweisprachig.
Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat euch als “Hochschulperle digital” ausgezeichnet. Welche Rolle spielt denn der Podcast mittlerweile für euch: Ist der nur ein Nebenbei-Projekt neben dem Hochschul-Leben oder doch mehr?
Ich denke schon, dass der Podcast für uns beide mehr ist, als ein Nebenher-Projekt. Dafür ist es zu viel Aufwand und dafür steckt auch zu viel Herzblut drin. Wenn wir nicht mit Begeisterung dabei wären, dann gäb’s uns schon nicht mehr. Tagsüber sind wir beide in der Uni sehr eingespannt: Dennis promoviert und ich beende gerade meinen Bachelor.
Es ist zeitlich eine Herausforderung, das alles unter einen Hut zu bekommen. Aber bisher funktioniert es ganz gut. Ansonsten ist schwer abzuschätzen, wie es in Zukunft weitergeht. In den letzten Monaten hat sich so viel entwickelt, auch was die Hörerzahlen angeht. Uns beiden macht es halt wahnsinnig Spaß und wir gucken einfach mal, wohin es uns damit treibt.
Das komplette Interview mit Annika Brockschmidt von Science Pie gibt es auf SoundCloud, bei iTunes oder gleich hier zum Nachhören.
Hörtipps
Lage der Nation (Politik)
Lage der Nation ist der Podcast, den man von einer der großen Politik-Redaktionen in Deutschland erwartet hätte. Der Journalist Phillip Banse und der Jurist Ulf Buermeyer schauen in ihrem Gesprächspodcast auf die wichtigsten Politik-Themen der Woche. Ganz unaufgeregt, überlegt, hintergründig, aber nie langweilig und um keine schlagkräftige Pointe verlegen („Polemisch formuliert: Je dümmer, desto Brexit.“). Bemerkenswert ist auch die sachliche und konstruktive Diskussionskultur in der Kommentarspalte unter den Episoden.
Reply All (englisch, Storytelling)
Der Gimlet Media Podcast Reply All war 2014 nach „Startup“ der zweite Podcast bei Gimlet und nennt sich selbst bescheiden „eine Show über das Internet“. Aber eigentlich ist Reply All das „This American Life“ der Internet-Nerds. Das Moderatoren-Duo Alex Goldman und PJ Vogt sind für sich genommen schon ein unterhaltsames Team. Hinzu kommen viel Internethumor, faszinierend-unnützes Wissen und obsessive Recherche.
Besonders empfehlenswert für Neueinsteiger: Die vierteilige Mini-Serie „On The Inside„. Die fühlt sich ganz wie Serial an – hat aber alle Bestandteile, die Reply All einzigartig machen.
Die nächste Ausgabe von Hören/Sagen erscheint am 12. Juli 2016. Mit Neuigkeiten rund um Podcasts und Audio im Web, Interviews und Hörtipps. Folge uns auf Twitter, Facebook und abonniere unseren Newsletter, um die nächste Folge nicht zu verpassen!
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