„Video killed the radio star“, da ist noch immer was dran. Doch Podcasts und andere Audio-Formate werden immer beliebter. In der Serie Hören/Sagen berichtet Sandro Schroeder über Neuigkeiten, Hör-Tipps und Macher aus der Audio-Welt.
Kurz zusammengefasst – Ausgabe 1
- News: Ende der Castronauten, Bundesliga ab 2017 bei Amazon Prime
- Interview: Tim Pritlove im Interview
- Hörtipps: Der Anhalter; Radio Bastard
Neuigkeiten
Die Castronauten hören auf
Die Expedition in den „Ohrbit“ endet, bevor die zweite Raketenstufe zünden kann: Das Podcastnetzwerk „Die Castronauten“ hat überraschend seine Auflösung verkündet, gerade einmal drei Monate nach dem offiziellen Start. „Persönliche Umstände erzwingen die Auflösung der Firma“, schreiben die beiden Gründer Maria Lorenz und Timo Leßmöllmann auf ihrer Homepage. An die beteiligten Podcasts heißt es dazu in einer E-Mail: „Wir hätten jetzt noch ein paar Monate auf totaler Halbflamme so tun können, als wäre alles tutti, aber das ist euch gegenüber nicht fair und ein letztes Mal berufen wir uns auf ein Ziel, was wir von Anfang an hatten: Wir sind immer ehrlich zu euch.“
Liebes Internet, wir fliegen zum Heimatplaneten zurück.
Ein paar Zeilen dazu auf https://t.co/JaOchwtjXP – Bye! <3 pic.twitter.com/AtHqhBn25J— Castronauten (@castronauten) June 8, 2016
Damit geht ein spannendes Projekt vorzeitig verloren, das sich an neuen Finanzierungsmodellen versuchen wollte. Die Castronauten hatten dafür 25 unabhängige Podcasts unter ihrer Marke versammelt. Wie beim US-amerikanischen Vorbild Radiotopia wollte das Netzwerk nicht selber produzieren, sondern unabhängige Macher verbinden.
Neue Stellenangebote
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Die beiden Gründer wollten sich dann um Promotion, Merchandise, Live-Shows und den Kontakt zu Werbepartnern kümmern. Die Einnahmen wären dann laut Vertrag im Verhältnis 70/30 zwischen Podcastern und Netzwerk geteilt worden. Lorenz und Leßmöllmann hatten zuvor ein Jahr mit der Planung verbracht, waren dann letztendlich kurze Zeit nach dem Berliner Podcastlabel Viertausendhertz gestartet.
Bundesliga: Web-Audio-Rechte gehen an Amazon
Die großen Plattformen schießen nach dem Spotify/Böhmermann-Deal den nächsten Elfmeter in’s Audio-Eck: Amazon hat sich die Audio-Rechte der Fußball-Bundesliga für Web und Mobile gesichert. Ab der Saison 2017/18 laufen die Live-Audiostreams der Spiele bei Amazon Prime Music – ein entsprechendes Prime-Abo vorausgesetzt. „Amazon arbeitet kontinuierlich daran, Inhalte bereitzustellen, die Kunden begeistern. Die Bundesligaspiele sind ein weiterer Schritt in diese Richtung“, heißt es beim Versandriesen dazu.
https://twitter.com/dschottner/status/740992753497182208
Für Fußballfans bedeutet das: Wer alle Bundesligatore hören will, schaltet wieder das analoge Radio ein. Die ARD hat weiterhin Live-Rechte für die UKW-Übertragung. Während Amazon sich die Hände reibt und die Deutsche Fußball Liga über Rekordeinnahmen jubelt, steht ein Audio-Spieler im Abseits: Der private Hörfunksender sport1.FM, der die Web-Rechte über die letzten vier Jahre inne hatte. Dort kennt man die Situation schon, wenn auch aus anderer Perspektive: sport1.FM hatte 2013 die Rechte vom Digitalradiosender 90elf übernommen, der später seinen regulären Sendebetrieb einstellte.
Nachdem der Videomarkt zwischen Facebook, Youtube, Netflix und Amazon so gut wie aufgeteilt scheint, stürzen sich die Plattformen auf das nächste vielversprechende Medium. Exklusive Audioinhalte und Podcasts stehen bei den Audio-Plattformen Spotify, Deezer und Soundcloud schon länger auf der Wunschliste – jetzt auch ganz offensichtlich auf der von Amazon und Tochter Audible.
Interview: Tim Pritlove
Tim Pritlove ist einer der umtriebigsten Produzenten der deutschen Szene. Seit über zehn Jahren dabei, bestreitet Podcast-Pionier Pritlove mittlerweile seinen Lebensunterhalt über Hörerspenden und Auftragsproduktionen. Der 49-Jährige ist nicht nur bei einem guten Dutzend Podcasts involviert, sondern engagiert sich beispielsweise ebenfalls beim Entwickler-Community-Projekt Podlove für offene Webstandards bei Podcasts. Im Interview spricht er über die wachsende Aufmerksamkeit für das Medium und seine Skepsis gegenüber Plattformen wie Audible oder Spotify.
Tim Pritlove, du bist seit mehr als zehn Jahren beim Podcasting dabei. Was hat sich seit deinen Anfängen verändert, welche Entwicklungen hast du beobachtet?
Im Prinzip war die grundsätzliche Idee des Podcastings mit dem abonnierbaren Radio ausreichend revolutionär, brauchte aber auch noch die notwendige technische Unterbasis. Die hat sich in den letzten Jahren dann hergestellt mit den Smartphones, mit den Mobilfunknetzen, welche auch die entsprechenden Bandbreiten bringen. Also unterwegs zu sein, Kopfhörer dabei haben und Dinge zu konsumieren, das ist heute normal. Und das ergibt eine neue, interessante Mischung. Leute hören Dinge aller Art und bauen das in ihr Leben ein. Davon hat sich der Podcast einen bestimmten Anteil erarbeitet – und das merkt man. Es wird ja immer viel über die Hype-Kurven des Mediums diskutiert – jetzt war es weg, dann hat es ein Comeback. Das sind immer sehr hektische Beobachtungen. Das einzige was ich über die gesamte Zeit feststellen konnte: Die Popularität von Podcasts ist sehr linear und kontinuierlich angestiegen.
Ein großer Wendepunkt für den Podcast – zumindest für die Medien – war der Podcast Serial. Sowohl in den USA als auch in Deutschland sind dann Podcast-Labels gestartet, die immer wieder sagen, sie wollen ein breiteres Publikum ansprechen. Ende 2015 hast du in diese Richtung geschrieben: „Ich war immer davon überzeugt, dass Podcasting irgendwann noch mal groß raus kommt, aber irgendwie ist es mir jetzt, wo es sich auch schon so anfühlt, dass es bald losgeht, auch schon wieder egal. Der Hauptstrom war schon immer langweilig und ich scheiß irgendwie drauf.“ Warum ist dir der Hauptstrom scheißegal?
Ja, Mainstream ist halt langweilig. Da brauchst du ja nur Fernsehen einschalten, das ist doch alles total elend.
Und da siehst du dich auch ganz woanders, als der Mainstream momentan?
Das ist alles Special Interest, was ich mache. Ich habe gar keinen Bock mein Format an eine erfühlte Hörgewohnheit anzupassen, die nur darauf ausgelegt ist, eine möglichst große Masse zu erreichen. Das ist ja das, was Mainstream letzten Endes macht: Man reduziert die Inhalte und versucht sozusagen die Quantität zu erreichen. Das ist ja auch etwas, was stark an werbefinanzierte Modelle gekoppelt ist. Die funktionieren umso besser, je größer die Zahlen sind. Das ist nicht mein Weg.
Hypes spielen bei mir keine Rolle
Du finanzierst dich über Spenden und Auftragsproduktionen. Wäre es nicht im Interesse von einer breiteren Gruppe von Produzenten, dass die Aufmerksamkeit steigt, dass Podcasts im Mainstream ankommen – damit noch mehr Leute wie du davon leben können?
Hypes spielen bei mir keine Rolle. Die Spendenbereitschaft heißt ja: Leuten gefällt das, was ich frei heraus produziere. Das sind Formate, die sich über die Zeit entwickelt haben. Ich habe auch immer versucht, möglichst nah an der Hörerbasis zu sein und habe immer zugesehen, dass ich ein Programm mit und für diese Leute produziere. Was die Auftragsproduktionen betrifft, hat das natürlich auch wiederum damit zu tun, dass man sich ein Profil erarbeitet. Das sehe ich auch bei vielen anderen Leuten, die mit professionellen Podcasts erfolgreich sind: Man schafft sich durch die Arbeit am Mikrofon ein Profil, einen Namen und kann dadurch weitere Projekte anschließen.
Abgesehen davon sind Podcasts und Mainstream halt so zwei Sachen. Es gibt ja diese schöne Formulierung: „Der Podcast müsste aus der Nische herauskommen.“ Da muss ich immer ein bisschen schmunzeln, weil ich finde, eine tolle Eigenschaft des Formats ist eben, in die Nischen rein zu kommen. Podcasting ist ein Medium, das wunderbar für Communities, also für spezifische Nischen funktioniert. Deswegen ist Podcasting auch in der Wissenschaftskommunikation ein heißes Thema. Weil es darüber möglich ist, Gespräche, Inhalte sowie Persönlichkeiten zur Geltung kommen zu lassen, die mit anderen Formaten nicht so gut funktionieren.
Auch Blogs waren vor einigen Jahren erst in den Nischen verortet und sind später mainstream geworden. Bei Youtube kam mit dem Massenpublikum auch die Werbung dazu. Gehen nicht alle neuen Formate durch diese Entwicklung: Vom Nischen- zum Mainstream-Medium, in dem dann auch kommerzielle Interessen eine wachsende Rolle spielen?
Ich glaube, Video und Audio sind da nicht ganz vergleichbar. Aber die Bestrebungen von Plattformen, das Youtube des Podcastings zu werden, die gibt es ja. Teilweise auch als Crosspromotion für den Musikmarkt, wie man das bei Spotify oder bei Audible mit den Hörbüchern sieht. Denen geht es nicht um Podcasts. Denen geht es eigentlich nur darum, weitere Kunden für ihre Plattformen zu gewinnen.
Das ist das Schlimmste, was dem Podcasting passieren könnte
Sorgst du dich darum, dass die Nische oder das Medium Podcast durch die Plattformen einmal nicht mehr so leicht zugänglich sein könnte, sowohl für Hörer als auch Produzenten?
Ja, das tue ich. Die Gefahr ist sehr konkret. Alle wollen sozusagen der Kalif anstelle des Kalifen werden. Alle möchten, dass das alles nur über ihre App zugänglich ist. Aber in dem Moment, in dem alles an einem einzigen Anbieter hängt, gelten nur noch dessen Regeln und Interessen. Dann gibt es keine generelle Entwicklung mehr. Das ist das schlimmste, was dem Podcasting passieren könnte. Wir sehen einfach, dass durch große Plattformen die Kommunikation und zum Teil auch die Freiheit unter Gefährdung ist. Dafür muss man sich nur anschauen, wie es bei Facebook abgeht.
Wie soll die ideale Podcast-Zukunft nach Tim Pritlove aussehen? Was wünschst du dir?
Dass wir es schaffen, eine Bewegung anzuzetteln, die weiter für Innovationen sorgt. Das Podcasting erfodert noch eine ganze Menge Bereiche, die integriert gehören: Live-Sendungen, Feedback, bessere Verzeichnisse oder zumindest Alternativen zu iTunes. Es wäre wünschenswert, dass die offene Entwicklung so stark ist, dass man sie nicht ignorieren kann. Man kann nur mit offenen Standards eine Landschaft bauen. Und alle Leute aus der Podcast- und Webradio-Landschaft sollten sehr gut darüber nachdenken: Ob sie lieber den Plattformen hinterherlaufen, die am Ende keine Innovationen bringen – weil sie das nur so lange betreiben, bis sie der Vorreiter sind. Oder ob sie nicht offene Standards, also ein lebendiges Ökosystem unterstützen, das uns immer wieder neue Alternativen und Innovationen bringt. Damit sich das Podcasting so dynamisch weiterentwickeln kann, wie es das bisher getan hat.
Hier gibt es das komplette Interview mit Tim Pritlove auf SoundCloud, bei iTunes oder gleich hier zum Nachhören.
https://soundcloud.com/user-133720577/basic-thinking-horensagen1-tim-pritlove-im-interview
Hörtipps
Der Anhalter (Storytelling)
„Wenn einer vor dir steht, völlig verzweifelt“: Der WDR hat eine fünfteilige Doku-Serie über einen Anhalter mit bewegter Lebensgeschichte gestartet. Schon die ersten beiden Folgen begeistern mit Rechercheaufwand, einem lockerem Erzählstil und Cliffhangern. Das alles erinnert an die Machart vom Erfolgspodcast Serial. Neue Folgen gibt es jeden Sonntag, bis zum 3. Juli – auch im WDR 5 Tiefenblick Podcast bei iTunes.
RADIO Bastard (Comedy)
„Es ist Freitag, Sechzehn-Uhr-Blumenkohl“: Was nach der Uhrzeitangabe bei Radio Bastard zu hören ist, verdient meistens das Label NSFW – not safe for work. Jochen Kowalski bannt fünfzehn vulgäre Minuten seines post-feierabendlichen Geisteszustands in einen Podcast. Mehrmals pro Woche (!) regt er sich beispielsweise herrlich über explodierende Kaffeemaschinen, die Musik in Sanifair-Toiletten oder das Ende der Castronauten auf.
Die nächste Ausgabe von Hören/Sagen erscheint am 28. Juni 2016. Mit Neuigkeiten rund um Podcasts und Audio im Web, Hörtipps und einem Interview mit Annika Brockschmidt vom Podcast Science Pie. Folge uns auf Twitter, Facebook und abonniere unseren Newsletter, um die nächste Folge nicht zu verpassen! Und bis dahin:
https://vimeo.com/63436140