Andy Warhol sagte mal sinngemäß, dass jeder in seinem Leben für einige Minuten im Rampenlicht steht. So erging es jetzt Michi Würz, dessen Facebook-Profil sich die Deutsche Bahn ausgesucht hatte, um eine wutschaubende Netzöffentlichkeit zu füttern. Ein Kommunikations-Lehrstück unserer Zeit.
Empörungswelle als SoMe-Lehrstück
Der Anlass war unschön und an dieser Stelle soll er auch nur kurz rapportiert werden, weil es hier nicht um eine neue Empörungswelle gehen soll, sondern um den Umgang damit. Denn bei der Vielfalt heutiger Informationskanäle wird es für Unternehmer immer schwieriger, angemessen, schnell und verlässlich zu (re)agieren.
Also da war ein chinesisches Au-Pair-Mädchen auf dem Weg zu ihrer Münchner Gastfamilie, als sie auf der letzten Etappe, der S-Bahn vom legendären Münchner Flughafen in die Innenstadt, auf einen offenbar recht barschen Kontrolleur traf. Der stellte fest, dass sie ihr ordnungsgemäß gekauftes und bezahltes Ticket nicht ordnungsgemäß entwertet hatte. Das führte zu einer Eskalation, in deren Folge der Kontrolleur den Reisepass der Frau einzog und diese in Tränen ausbrach.
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Wir wissen das alles, weil der Münchner Journalist Michael Praetorius dabei war, sich einmischte, letztlich die Strafe bezahlte und hinterher ein wütendes Facebook-Video online stellte, das ziemlich viral ging. Darin schildert er mit bebender Stimme, was er erlebt hatte und verbrennt schließlich seine Monatskarte mit der Ankündigung, nicht mehr S-Bahn fahren zu wollen, bis es eine offizielle Entschuldigung gebe.
Michi Würz teilt und markiert
Einer von über 8.500, die dieses Video auf Facebook geteilt haben, war Michi Würz. Und er war der erste, der „Deutsche Bahn Fernverkehr“ in seinem Beitrag markierte. Nun ist dieser Michi Würz nicht Kilroy und nicht John Galt, aber für einen kurze Tag in der Kommunikationsgeschichte der Menschheit war er ganz oben. Denn die Deutsche Bahn Fernverkehr verwies bei folgenden Posts gebetsmühlengleich auf seinen, Michi Würz’ Post. Dort werde man über den aktuellen Stand informieren.
Warum das denn, liebe Bahn, fragte ich – und bekam Antwort: „Michael Würz war der erste, der diesen Vorfall bei Facebook Deutsche Bahn Personenverkehr aufgegriffen hat. In diesem Fall werden die Entwicklungen unter dem ersten Beitrag kommuniziert und zusammengefasst. Für alle Mitleser ist es dann einfacher, den Zusammenhang zu erkennen und einen Gesamtüberblick zu behalten.“
Nanu?
Damit nicht genug, verwies die Bahn an dieser (eigentlich Michi Würz‘) Stelle auf ihre Pressemitteilung zum Thema. Zusammengefasst: Die Bahn antwortet auf eine Social Media-Welle mit einem Link auf eine Pressemeldung in einem Kommentar auf einem privaten Nutzerprofil. Klingt komisch, ist es auch.
Kommunikationshoheit abgegeben
Schwer nachzuvollziehen, dass die Bahn die Kommunikationshoheit komplett abgibt. Was wäre gewesen, wenn Michi Würz seinen Beitrag gelöscht oder nicht mehr öffentlich gestellt hätte? Was, wenn er die Bahn-Kommentare gelöscht hätte? Womöglich hätten wir dann nie von der Pressemitteilung erfahren?
Das Beispiel zeigt, dass auch mit ausreichend Mitteln und allerlei nützlichen Tool ausgestattete Kommunikationsabteilungen von der Social Media-Welt immer noch völlig überrascht werden können – zumal an einem Feiertag. Praktisch zeitgleich, während die Social Media-Abteilung vertröstend auf Michi Würz Profil verwies, kam die Pressemitteilung raus.
Auf ihrer Facebook-Page hat DB Fernverkehr bis heute nichts gepostet. Auch, wenn Michael Praetorius von einem Telefonat mit der Bahn berichtet, in dem man sich entschuldigt und über alle möglichen Verbesserungen gesprochen habe.
Besser wäre gewesen …
Wie viel souveräner wäre es gewesen, einen ehrlichen und offenen Beitrag zu schreiben, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen. Sie hätte sich für den unstrittig unglücklichen Verlauf der Geschichte entschuldigen und versprechen können, das intern zu klären. Die meisten Menschen hätten verstanden, dass so etwas an einem Feiertag länger dauert und ich bin sicher, es wäre auch gut angekommen, sich grundsätzlich schützend vor den eigenen Mitarbeiter zu stellen. Sie hätten ankündigen können, die Chinesin zu suchen, um ihr einen Blumenstrauß zu schicken. Sie hätten versprechen können, die Ticket-Richtlinien zu überprüfen und für Kontrolleure einen Korridor der Toleranz/Kulanz zu definieren. Stattdessen machen sie den Eindruck, die Öffentlichkeit zu scheuen und erst mal zu mauern. Schade.
Die Bahn macht grundsätzlich einen guten Job und ist u.a. per Twitter und Facebook schnell und hilfsbereit. Doch hier stieß sie – womöglich systembedingt – an Grenzen. Die Pressemitteilung war meiner Meinung nach völlig unnötig, ein Facebook-Post hätte viel mehr gebracht, denn dort tummeln sich die Journalisten, die den Fall aufgegriffen haben. Mittlerweile auch auf chinesisch, englisch und italienisch.