In einer der letzten Kolumnen habe ich mich mit dem Thema Dashcams beschäftigt. Das Thema nimmt weiterhin an Fahrt auf und es wird vielfach diskutiert, ob Dashcam-Aufnahmen im Gerichtsprozess verwertbar sind oder nicht. Nach wie vor ist zwischen dem Zivilrecht (z.B. die Aufnahme eines Verkehrsunfalls) und dem Strafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht (z.B. zu schnelles Fahren, Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer) zu unterscheiden. In der heutigen Kolumne befassen wir uns daher mit einer neueren Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss vom 04.05.2016, 4 Ss 543/15).
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte sich mit dem Thema Dashcam im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit zu befassen. Es ging nicht um die Aufklärung eines Verkehrsunfalls, sondern um die Frage, ob eine Dashcam-Aufnahme in einem Ordnungswidrigkeitenprozess verwendet werden durfte oder nicht. Zunächst hat das Amtsgericht Reutlingen gegen den Betroffenen wegen der Missachtung einer roten Ampel eine Geldbuße von 200 Euro verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat ausgesprochen.
Die Besonderheit im vorliegenden Fall lag darin, dass ein Dritter mittels einer Dashcam den entsprechenden Verstoß gefilmt hatte. Der Betroffene wandte sich gegen die Verwertbarkeit dieses Beweismittels und forderte, dass dieses nicht zugelassen wird. Da das Amtsgericht Reutlingen sich dieser Argumentation nicht angeschlossen hatte, legte der Betroffene Beschwerde zum Oberlandesgericht Stuttgart ein, so dass sich dieses mit dieser Thematik beschäftigen musste.
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OLG Stuttgart entscheidet über die Beschwerde des Betroffenen
Zunächst hatte das Amtsgericht Reutlingen die Dashcam-Aufzeichnungen in voller Länge in Augenschein genommen. Es hatte hierzu einen Sachverständigen befragt, der das Video ausgewertet und entsprechend in der Hauptverhandlung abgespielt hat. Die Dauer des Rotlichtverstoßes ergab sich dabei aus der Videoaufzeichnung und einer dort mitlaufenden Uhr. Der Sachverständige konnte feststellen, dass die Uhr korrekt lief. Der Amtsrichter hatte in der Verhandlung noch ausgeführt, dass eine Verurteilung ohne das Dashcam Video allein auf Basis der Angaben des Zeugen nicht erfolgt wäre. Der Betroffene hatte nämlich lediglich die Fahrereigenschaft eingeräumt, aber den Verstoß selbst nicht. Im vorliegenden Fall wurde also eine Verurteilung alleine darauf gestützt, dass es ein Video gab, das durch einen unbeteiligten Dritten angefertigt worden ist. Das Video wurde nicht nur kurz vor dem Verstoß gestartet, sondern lief anlasslos die gesamte Fahrt über mit.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat nun bestätigt, dass das Amtsgericht zu Recht die von dem Zeugen mit seiner Dashcam gefertigte Videoaufzeichnung verwerten durfte. Die Fertigung solcher Videos stellt zwar einen Eingriff in das llgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar, allerdings sieht as Oberlandesgericht Stuttgart den Eingriff als gerechtfertigt an und beruft sich auf § 6b BDSG. Das Oberlandesgericht Stuttgart hält fest, dass gemäß § 6 b Abs. 1 Nr. 3 BDSG eine Videoüberwachung nur zulässig ist, soweit diese zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Warum werden Aufnahmen getätigt?
Bei der Straße, die von den Zeugen und dem Betroffenen mit ihren Fahrzeugen befahren wurde, handelt es sich um öffentlich zugängliche Räume. Das Oberlandesgericht Stuttgart führt weiter aus, dass sich § 6b BDSG nicht nur auf Kameras bezieht, die fest angebracht sind. Das OLG Stuttgart sieht auch bei mobilen Kameras den Anwendungsbereich von § 6b BDSG eröffnet. ALSO diskutiert das OLG Stuttgart die Frage, welchen Zweck der Zeuge mit der Videoaufzeichnung verfolgt habe. Es wurden in der ersten Instanz keine Feststellung dazu getroffen, ob der Zeuge einen Zweck vorher festgelegt hat, ob er die Kamera deshalb betreibt, um mögliche Beweismittel bei einem Verkehrsunfall vorlegen zu können oder ob er die Kamera betreibt um Verstöße anderer Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können.
Das OLG Stuttgart stellt fest, dass gerade im Hinblick auf die Frage, warum die Aufnahmen getätigt wurden, auch zu klären gewesen wäre, ob die Kamera sich automatisch einschaltet, wenn die Zündung gestartet wird, ob permanent Aufnahmen gemacht werden, ob die SD-Karte vollständig beschrieben wird und sich immer wieder neu überschreibt, ob die Aufnahmen permanent gespeichert werden oder irgendwann wieder gelöscht werden. Allerdings, so das OLG Stuttgart, könnten diese Umstände lediglich für die datenschutzrechtliche Beurteilung relevant sein. Ein Beweisverwertungsverbot liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Beim Bundesdatenschutzgesetz ist kein Beweisverwertungsverbot für das Bußgeldverfahren verankert.
OLG Stuttgart diskutiert viele Argumente
Das OLG Stuttgart befasste sich dann mit der Frage ob auch ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel verwertet werden darf. Wenn dies der Fall ist, wäre nämlich die Frage gar nicht erst zu klären, ob das Beweismittel rechtmäßig oder rechtswidrig erlangt worden ist. Hier gibt es keine pauschale Antwort. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich schon des Öfteren mit dieser Frage zu beschäftigen und hatte immer wieder festgestellt, dass dies eine Einzelfallfrage ist und eine Abwägung zu erfolgen hat zwischen dem Recht des Betroffenen, dass das Beweismittel nicht verwertet wird, da es ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht darstellt und dem Anspruch des Staates, dass es eine funktionierende Strafrechtspflege gibt. Das OLG Stuttgart hält fest, dass es ein wesentlicher Grundsatz des Strafrechts ist, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen habe und dazu in einer Beweisaufnahme von Amts wegen alle Tatsachen und Beweismittel zu würdigen hat. Sofern kein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot vorliegt, darf ein solches nur ausnahmsweise aus übergeordneten wichtigen Gesichtspunkten angenommen werden.
Das OLG Stuttgart kommt daher zum Entschluss, dass der Tatrichter am Amtsgericht nicht gehindert war, das komplette Video anzusehen und es als Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes und des Fahrverbots zu machen. Das OLG Stuttgart führt dann aus, dass der Verstoß, den der Betroffene hier begangen hat (Rotlichtverstoß, sehr deutlich über einer Sekunde) nicht nur eine Bagatell-Ordnungswidrigkeit darstellt, sondern dass es sich um einen erheblichen Verstoß handelt, der nicht nur mit einer deutlich erhöhten Geldbuße sondern auch mit einem Fahrverbot sanktioniert wird. Ein solches Verhalten ist darüber hinaus mit 2 Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem einzutragen, so dass das Gericht zum Ergebnis kommt, dass hier eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit begangen wurde, die sich insbesondere auch auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ausweitet.
Denn wer bei Rot über eine Ampel fährt und diese Ampel dabei bereits über eine Sekunde lang rot ist, der gefährdet insbesondere andere Verkehrsteilnehmer und missachtet die Straßenverkehrsordnung in erheblicher Weise. In so einem Fall geht die Abwägung daher zu Lasten des Betroffenen aus. Zwar wurde die Videoaufnahme heimlich durchgeführt, die Videoaufnahme lief über einen sehr langen Zeitraum und war sehr wahrscheinlich auch nicht anlassbezogen dennoch sprechen die vorgenannten Argumente dafür, kein Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
Am Ende siegt die Verwertbarkeit der Aufnahme
Da der Zeuge die Aufnahmen aus eigenem Anlass hergestellt hat und hier nicht der Staat einen privaten Dritten beauftragt hat die Aufnahmen herzustellen ist auch von dieser Seite aus keine Problematik bezüglich der Verwertbarkeit erkennbar. Abschließend sieht das OLG Stuttgart den Gesetzgeber am Zug. Sollte der Gesetzgeber es nicht wünschen, dass private Dashcam-Aufnahmen in einem Strafverfahren verwertet werden können, so kann er entsprechend das Gesetz ändern und anordnen, dass solche Beweismittel nicht mehr zugelassen sind. In diesem Fall wären dann die Gerichte gehindert, entsprechende Beweismittel zu verwerten.
Man sieht an diesem Fall, dass gerade im Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten durchaus auch unbeteiligte Dritte Beweismaterial den Behörden zur Verfügung stellen können, die dann zu einer Verurteilung führen. Auch wenn eine Dashcam ohne Anlass über einen sehr langen Zeitraum die Fahrt eines anderen Verkehrsteilnehmers aufnimmt und dabei einen Verkehrsverstoß filmt, wird man wohl nach derzeitiger Lage davon ausgehen müssen, dass die Richter entsprechende Beweise verwerten dürfen. Wie bereits ausgeführt, ist ein großer Unterschied zu einem zivilrechtlichen Prozess zu machen. Dort kann es durchaus sein, dass ein Richter ein Dashcam-Video nicht als Beweismittel zulässt. Es ist aber auch davon auszugehen, dass die rasante Verbreitung von Dashcams sicher dazu führen wird, dass es noch weitere Entscheidungen geben, sicherlich auch bald der Gesetzgeber aktiv werden und vielleicht sogar explizite Regelung für den Einsatz solcher Dashcams ins Gesetz schreiben wird.