Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in seinem Urteil vom 07.01.2016 entschieden, dass eine identifizierende Berichterstattung über einen Pick-up-Artist, einen Verführungskünstler, zu unterlassen ist. Die heutige Kolumne knüpft an eine ältere Kolumne von mir an bei dem es um das Thema Meinungsäußerungen im Internet ging.
Grundsätzlich ist die Meinungsfreiheit sehr weitgehend und es ist mir gestattet, meine Meinung auch im Internet frei zu äußern. Vereinfacht ausgedrückt ist es unkritisch, wahre Tatsachen zu behaupten sowie seine Meinung zu äußern. Die Grenze liegt dort, wo ich unwahre Tatsachen behaupte oder aber strafbare Äußerungen tätige wie z.B. Beleidigungen und Schmähungen.
Gerade weil die Gerichte die Meinungsfreiheit stark verteidigen und sie ein hohes Schutzgut ist, ist es in vielerlei Hinsicht schwierig, gegen eine negative aber ansonsten rechtmäßige Meinungsäußerung vorzugehen. Dies betrifft vor allen Dingen Unternehmen und Unternehmer, die sich im Internet teilweise heftiger Kritik an ihren Leistungen gefallen lassen müssen. Zwar gibt es auch in diesen Fällen einige Einschränkungen, aber die Mehrheit der gerichtlichen Entscheidungen war immer pro Meinungsäußerung.
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Indirekte Einschränkung der Meinungsfreiheit
In der letzten Kolumne erfuhr die Meinungsäußerungsfreiheit keine direkte Einschränkung – aber eine indirekte. Für das Ärztebewertungsportal Jameda.de hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass zwar eine Meinungsäußerung über die Leistungen eines behandelnden Arztes per se nicht angreifbar sind, aber der Arzt das Recht hat zu prüfen, ob die Bewertung von einer Person stammt, die tatsächlich in seiner Behandlung war. Auch schon zuvor war im Prinzip klar, dass eine Bewertung von einer Person, die die Leistungen nie in Anspruch genommen hat, rechtswidrig ist und somit nicht geduldet werden muss.
Die Bewertungsportale haben sich bisher immer auf dem Standpunkt zurückgezogen, dass sie selbst keine Daten über die Person, die die Bewertung abgibt, herausgeben dürfen aufgrund des Datenschutzes. Somit gab es im Netz Bewertungen, die eindeutig negativ, aber im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit zulässig waren. Die bewertete Person oder das bewertete Unternehmen hat aber keine Chance zu verifizieren, ob die Bewertung überhaupt von einem echten Kunden stammt oder zumindest ein Kundenkontakt vorgelegen hat. Der BGH hat nun entschieden, dass zumindest bei einem Ärztebewertungsportal auf Nachfrage die Person, die die Bewertung abgegeben hat, anonymisierte Beweise vorlegen muss, damit die Person, die die Bewertung erhalten hat, diese verifizieren kann. Dies ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Pick-up-Artist – Recht auf Anonymität?
Im Rahmen der Debatte über die Meinungsäußerungsfreiheit kam teilweise, wenn auch sehr selten, ein weiterer Aspekt zum Tragen, der auch Gegensand der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt ist. Denn es ist zwar grundsätzlich zulässig, seine Meinung frei im Internet zu äußern, aber – vereinfacht ausgedrückt – es muss nicht alles geäußert werden und somit etwa im Internet stehen, was man rechtmäßig äußern darf. Die Gerichte gewähren in einigen Fallkonstellationen einen Anonymitätsschutz. Dieser Schutz durch Anonymität betraf eine lange Zeit im Prinzip nur Presseveröffentlichungen, bei denen die Presse abwägen musste, ob sie über eine Person identifizierend oder anonym berichtet.
Die Presse kann sich dabei regelmäßig auf die Pressefreiheit berufen und hat auch einen Anspruch darauf, Personen und Unternehmen beim Namen zu nennen. Aber gerade im Bereich des Strafrechts muss auch eine Zeitschrift oder eine Zeitung abwägen, ob eine Veröffentlichung des Namens eines Angeklagten gerechtfertigt ist oder nicht. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um ein eher unbedeutendes Delikt handelt, dass keine größeren Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte und somit etwa eine bundesweite identifizierende Berichterstattung zu starken Einschnitten bei den Betroffenen führen würde. Denn auch wenn sich jemand strafrechtlich zu verantworten hat, hat er ein Recht auf Resozialisierung und auch ein Recht darauf, dass verhältnismäßig unbedeutende Straftaten gerade bei Personen ,die ansonsten nicht bekannt sind, eben auch nicht durch die Presse breitgetreten werden.
Kaum Anonymitätsschutz für Prominente und Politiker
Dies kann anders sein, wenn es sich bei den Betroffenen um eine bekannte Person handelt. Hier gibt es regelmäßig seitens der Presse ein legitimes Interesse unter Nennung des vollen Namens zu berichten. Wenn also z.B. bekannte Manager, Politiker oder Sportler sich strafrechtlich zu verantworten habe,n müssen die Presseorgane zwar auch hier den Grundsatz anwenden, dass bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt, aber eine identifizierende Berichterstattung ist regelmäßig zulässig. Im vorliegenden Fall ging es nun um einen Vorfall an der Universität Frankfurt. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat beschlossen, dem AStA der Universität zu untersagen, identifizierend über einen Studenten zu berichten, der als sogenannter Pick-up-Artist – also als Verführungskünstler – arbeitet.
Der Antragsteller ist Student an der Universität Frankfurt. Er gibt nebenberuflich für eine Coaching-Agentur Kurse als Pick-up-Artist und demonstrierte seine Künste auch 2014 in einem weiterhin online abrufbaren TV-Beitrag der ARD. In diesem Beitrag wurde er unverpixelt gezeigt und mit Vornamen genannt – ebenso auf der Webseite seiner Agentur und in den Beiträgen der AStA-Zeitung der Universität Frankfurt. Hier setzt die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt an, denn der Student wendet sich gegen diese identifizierende Berichterstattung in dem Studentenmagazin des AStA.
Es ist – wie so oft – Abwägungssache
Dem Oberlandesgericht Frankfurt reicht es aus, dass zwar nur der Vorname und der erste Buchstabe des Nachnamens in dem Artikel genannt werden – sowie die Angabe seines Studentenstatuses an der Universität Frankfurt und die Bezeichnung seiner Nebentätigkeit. Damit, so das Oberlandesgericht Frankfurt, sei es aber möglich, den Antragsteller zu identifizieren. Das OLG stellt fest, dass die Berichterstattung eine identifizierende Berichterstattung ist und somit ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrechts des Antragstellers vorliegt. Das Oberlandesgericht wägt zunächst ab zwischen den berechtigten Interessen auf eine identifizierende Berichterstattung und auf Anonymität.
Niemand muss oder soll gezwungen werden, persönliche Lebenssachverhalte offenzulegen. Allerdings kann auch ein absolutes Recht auf Anonymität nicht gewährt werden. Es ist im Einzelfall abzuwägen. Bisher waren diese Abwägungen relativ einfach. Die Gewährung von Anonymität war nur eingeschränkt möglich. Als Grundsatz konnte man sagen, dass eine Berichterstattung, für die es erkennbar keinerlei Wahrnehmung durch Dritte bedarf, auch entsprechend zu unterlassen ist. Wenn ich mich also privat mit meiner Freundin, Frau oder einem Bekannten streite, wäre eine Berichterstattung darüber vom Grundsatz her von der freien Meinungsäußerung gedeckt.
Das OLG mit einer fragwürdigen Entscheidung
Ich darf daher auch im Freundes- und Bekanntenkreis meine Meinung entsprechend äußern. Eine Berichterstattung hierüber im Internet unter voller Nennung des Namens und ggf. noch weitere Merkmale der Person, mit der ich gestritten habe, hätte dann aber keine Rechtfertigung im Hinblick auf eine Veröffentlichung im Internet. Da aber die meisten Personen ihre Meinung zu Geschäften, Unternehmen, Prominenten, Politikern oder über andere bedeutende Ereignisse äußern, liegt regelmäßig keine rechtswidrige Berichterstattung vor, wenn ich entsprechend identifizierend berichte.
Im vorliegenden Fall kam hinzu, dass gerade an der Universität Frankfurt eine große Debatte stattfand, wie mit sexueller Belästigung am Campus umzugehen ist und somit wurde insbesondere auf die Problematik der Pick-up-Szene eingegangen, da dort anderen Männern beigebracht wird, wie man Frauen durch Manipulation möglichst schnell und zeitnah zum Sex bewegen kann. Bemerkenswert an dem Urteil ist nun, dass der Antragsteller freiwillig in einer Dokumentation der ARD mitgewirkt hat und dort ebenfalls sein Vorname und der Name der Agentur zu sehen war. Weiterhin wurde er in dem Bericht auch unverpixelt gezeigt.
Anonymitätsschutz in Ausnahmefällen
Nun, nachdem die AStA-Zeitung über ihn berichtet hat – ebenfalls unter der Nennung des Vornamens und des ersten Buchstabens des Nachnamens – wendet sich der Antragsteller hiergegen und verlangt Anonymitätsschutz. Das Oberlandesgericht Frankfurt gibt diesem Ansinnen statt und verkehrt die Grundsätze der freien Berichterstattung geradezu ins Gegenteil. Denn das OLG Frankfurt geht davon aus, dass eine identifizierende Berichterstattung nur dann erfolgen darf, wenn gerade notwendig ist, dass eine Identifikation der Person durchgeführt wird. Dies sei im vorliegenden Fall überhaupt nicht nötig, denn über das Phänomen der Pick-up-Szene könnte man auch allgemein berichten ohne den Antragsteller zu nennen.
Dabei übersieht das Oberlandesgericht völlig, dass der Antragsteller selbst freiwillig seine Anonymität aufgegeben hat und eine Berichterstattung im Fernsehen mit einer hohen Reichweite zugestimmt hat. Zudem übersieht das OLG Frankfurt, dass nicht die identifizierende Berichterstattung die Ausnahme ist, sondern die Regel. In der Abwägung muss man selbstverständlich berücksichtigen, ob ein Anonymitätsschutz ausnahmsweise gewährt wird, aber das hohe Gut der Meinungsfreiheit und damit dem Anspruch auf freie Berichterstattung kann der Anonymitätsschutz nur in Ausnahmefällen entgegengehalten werden. Weiterhin hat das Oberlandesgericht auch untersagt, dass ein Bild des Antragstellers, welches zwar teilweise geschwärzt war, nicht weiter öffentlich abgebildet werden darf. Das Oberlandesgericht war im Gegensatz zum Landgericht Frankfurt der Meinung, dass auch das geschwärzte Bild eine Identifizierung unproblematisch möglich macht.
Schlag ins Gesicht für AStA
Für den AStA der Universität Frankfurt ist die Entscheidung sicherlich ein Schlag ins Gesicht – unabhängig von der Frage, ob der AStA hier überhaupt der richtige Beklagte war. Dies ist aber eine rein formale Frage, da das Urteil so in der Welt ist und daher auch trotz eventueller formaler Fehler nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Es zeigt aber auch die Problematik auf, wenn Personen Missstände anprangern möchten und dabei auch identifizierend über Personen berichten, die sich zuvor selbst und bewusst in die Öffentlichkeit begeben haben. Mit der Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt kann man nämlich in der Tat fragen, welche Berichterstattung dann noch notwendigerweise mit Nennung des vollen Namens zu erfolgen hat.
Auch wenn diese Entscheidung eine Einzelfallentscheidung sein mag, so muss man dennoch bedenken, dass von einer Einzelfallentscheidung durchaus eine Signalwirkung ausgehen kann. Gerade im Bereich des Internets und der Bewertung von Unternehmern und Unternehmen gibt es viele, die sich freuen würden, wenn eine Berichterstattung unter Nennung des Namens verboten wird. Denn wenn ich als Arzt, Anwalt oder als Unternehmer die negative Bewertung zwar nicht verhindern, aber dafür sorgen kann, dass sie nicht mehr mit meinem Namen verknüpft wird, kann ich mir die Bewertung auch gleich sparen, da sie dann ihren Zweck nicht mehr erfüllt. Brisant ist das Thema auch insoweit, als dass ich jüngst in einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg auch erschreckend feststellen musste, dass man dort den Anonymitätsschutz teilweise auch sehr weit gewähren würde.
Trend darf sich nicht fortsetzen
Das Verfahren wurde zwar durch einen Vergleich beendet, aber im Ergebnis hat das Gericht auch in den Raum gestellt, ob denn das private Blog eines „Häuslebauers“ im Internet, der sowohl positive wie auch negative Erfahrungen mit dem Bauträger beinhaltete, identifizierend im Internet stehen muss. Hierbei ging es wohl gemerkt nicht um eine einzelne Person, sondern um den Namen eines Unternehmens. Wenn sich dieser Trend fortsetzen sollte, dann verkehrt sich die Meinungsäußerungsfreiheit ins Gegenteil, was so vom Grundgesetz sicher nicht gedacht ist. Hier bleibt nur zu hoffen, dass es weiterhin mutige Entscheidungen vor allen Dingen des Bundesgerichtshofs gibt, der die Leitlinien vorgibt und ggf. vom Bundesverfassungsgericht, die bisher zumindest immer auf Seiten der Meinungsäußerungsfreiheit waren.