Am gestrigen Montagabend ist beim RTL-Quizformat „Wer wird Millionär“ eine junge Studentin an einer vermeintlich simplen Frage gescheitert. Das offenbart nicht nur ein großes Problem des Journalismus. Es geleitet uns darüber hinaus auch hautnah an die Grenze unserer Filterblase.
Die junge Dame wird bei der 32.000-Euro-Stufe vor eine Herausforderung gestellt. Beantworten soll sie diese Frage: „Eine sogenannte Paywall findet man im Internet immer häufiger auf den Seiten von…?“
- Universitäten
- Supermärkten
- Kreditinstituten
- Zeitungen
Erschreckende Überzeugung
Der Zusatzjoker ist noch übrig, also jener, bei dem ein einzelner Zuschauer aufstehen darf und bei korrekter Antwort 500 Euro erhält. Nun ist es keine Überraschung mehr, dass dieser geldwerte Anreiz so manche Unsicherheit beim irgendwo im Hinterkopf abgelegten Halbwissen verblassen und manche Menschen voller Überzeugung aufstehen lässt. So auch beim Physik-Student aus der ersten Reihe, der sich relativ zügig erhebt. Eine Ahnung habe sie, sagt die Kandidatin noch, aber sie wolle kein Risiko eingehen. Nur allzu verständlich, 16.000 Euro sind viel Geld und der Fall auf 500 Euro würde wohl ziemlich schmerzhaft sein – schließlich hat sie ja den Zusatzjoker mit auf ihren Weg genommen und dafür auf die Sicherheitsstufe bei eben diesen 16.000 Euro verzichtet.
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Sie entscheidet sich also für den jungen Mann, der ihr mit erschreckender Überzeugung versichert, dass es sich um die Kreditinstitute handeln müsse. Beim Bezahlen, bei der Bank, hier, im Internet, Sicherheit. Und so. Günther Jauch versucht zu retten, was zu retten ist und ist nicht gerade dezent mit seinen Zaunpfahlwinken, dem Mann doch bitte nicht die erspielten 16.000 Euro anzuvertrauen. Nun äußert sich auch die Studentin zu Wort. Sie habe zu den Zeitungen tendiert, Bild hat doch sowas, Bild+, oder?
Bezahlinhalte im Netz: Wait, what?
Sie schwankt kurz, sich nun entgegen der Zusatzjokermeinung für D zu entscheiden, steigt dann aber doch aus und geht mit 16.000 Euro nach Hause. Die Reaktion des jungen Mannes: Unbezahlbar – und selbstverständlich längst multimedial festgehalten. Wir Journalisten staunen, lachen und sabbern zu diesem Zeitpunkt längst – mich eingeschlossen. Wie kann man davon nicht gehört haben? Also wirklich! Und so offenbart die Frage gleich zwei eigentlich sehr offensichtliche, leider aber doch immer wieder gerne vergessene Ist-Zustände.
Zum einen den der Bezahlinhalte im Netz. Die Tatsache, dass beim Zusatzjoker nicht mindestens das halbe Studiopublikum aufgesprungen ist, nein, sogar die Tatsache, dass diese Frage 32.000 Euro wert war, sollte uns wieder ins Bewusstsein rufen, dass wir zwar viel auf Podien, in Newslettern oder bei Mediendiensten über die Frage diskutieren können, wie unsere Inhalte monetarisiert werden. Dass das aber genau solange nichts bringt, solange nicht auch der letzte Leser verstanden hat, worum es eigentlich geht.
Bild, Rhein-Zeitung und taz machen es vor
Wir müssen da sein, wo die Leser sind. Das hört man immer wieder bei entsprechenden Diskussionen, Bezug nehmend auf die Verfügbarkeit von Journalisten auf Twitter, Snapchat oder das Publizieren unserer Arbeit auf Facebook und Co. Beim Thema Finanzierung aber sind wir so weit weg und schotten uns ab. Wenn der Leser nicht weiß, was eine Paywall ist oder warum wir sie brauchen, warum sollte er dann für unsere Arbeit bezahlen? Es gibt da durchaus positive Beispiele: Die Rhein-Zeitung etwa, die monatlich in ihrem Blog erklärt, wie das Experiment Paywall läuft. Oder die taz, die ihre freiwillige „Paywahl“ taz.zahl ich ebenfalls stetig begleitet. Welcher regelmäßige taz-Leser weiß heute nicht, was taz.zahl ich ist oder warum die taz das Geld braucht? Eben.
Ein anderer Ansatz ist der der Bild, die ihr Bild+-Angebot einfach so aggressiv vor alle halbwegs vermeintlich spannenden Themen tackert, dass man als Bild-Leser gar nicht anders kann, als sich das Angebot zumindest mal anzusehen. Hinzu kommt die Verknüpfung mit der Printausgabe, wo man gleich einen Tagespass mitkauft. Dass das funktioniert, zeigt die Kandidatin gestern ja auch. Sie nennt genau ein Angebot: Bild+. Vielleicht müssen wir also mehr erklären, was wir warum tun und brauchen (oder die Nutzer mit der Nase auf das fette „+“ drücken, bis sie es verstanden haben).
Filterblase als Pendant zum Schulhof
Die zweite Offenbarung ist unsere kleine Welt. Freilich wissen wir – wenn wir in Ruhe darüber nachdenken –, dass wir mit unseren 3.000 bis 10.000 Followern nicht das Zentrum der Erde darstellen. Im Eifer des Gefechts, wenn wir mehr als siebeneinhalb Mal retweetet oder dreizehn Mal geliket werden, gerät das aber schnell in Vergessenheit. Wie kann sie das nicht wissen, ich habe doch schon acht Tweets zum Thema Paywall abgesetzt? Am Ende interessiert das, außer ein paar Kolleginnen und Kollegen, wen? Genau, niemanden. Es liegt sicher in der Natur unseres Berufsstandes, dass wir uns häufig wichtiger nehmen als wir sind. Das steigt wohl proportional zur Leserzahl – zumindest kenne ich kaum einen Lokalzeitungskollegen, der so abgehoben ist wie mancher Haupstadtjournalist (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Das hier soll überhaupt keine Kollegenschelte sein, sondern vielmehr aufzeigen, wie gefangen wir in unserer kleinen Social-Media-Welt sind. Das ist freilich nicht nur schlecht und sicher nicht nur auf den Journalismus bezogen. Wenn mich jemand fragen würde, was das Must-Have für die Frühlingsmode ist, wüsste mein innerer Zusatzjoker auch nicht weiter. Dann würde die Modebloggerszene lachen, staunen und sabbern – zumindest wäre sie dabei aber besser gekleidet als ich. Gleiches (also das mit dem Joker, nicht das mit der Kleidung) gilt für jegliche andere Themen. Überall gibt es Spezialisten, Experten, Interessierte – und die sammeln sich üblicherweise an einem Ort. Das war früher auf dem Schulhof auch schon so – oder hat mich da jemand bei den Mathegenies gesehen?
Wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt
Nur wurden wir früher mehr dazu gezwungen, uns auch mal mit anderen Dingen zu beschäftigen (zum Beispiel in einer Doppelstunde Mathe). Heute folgen wir den Leuten, die wir kennen oder kennen wollen, abonnieren die Feeds, die uns interessieren, empfangen gezielte Newsletter zu unserem Thema oder stellen uns ganze Reader-Apps wie Flipboard und News Republic so zusammen, dass auch bloß nichts mehr dazwischen kommt, was unseren Horizont erweitern könnte. Die Entwicklung kam schleichend über die vergangenen Jahre – aber stetig. So ist es bei uns Journalisten, so ist es bei Modebloggern und so ist es bei den „besorgten Bürgern“. Das kann gefährlich sein, siehe letzteres Beispiel.
Wie also raus dort, aus dieser Filterblase? Eigentlich ganz einfach: Öfter mal etwas anderes machen, wieder mit anderen Menschen und nicht nur mit Kollegen sprechen, ein völlig fremdes Thema in den News-Reader aufnehmen, ein paar spannenden Nischenseiten folgen oder mal wieder die Tageszeitung aufschlagen – das wäre ein Anfang.
Aber vor allem: Nicht voraussetzen, dass unsere Tweets von aller Welt gelesen werden.