Es gibt unzählige Arten, Nachrichten online zu konsumieren. Zwischen Nachrichtenapp, Digitalkiosk, Instant Article, Datenjournalismus, Clickbait, Twitter und E-Paper findet man sich nur schwer zurecht. Hendrik Geisler führt in seiner Kolumne durch den Mediendschungel und schreibt über Apps, Tools und Services für Leser und Medienmacher. Diesmal: piqd – das Portal für Expertenempfehlungen.
Warum ist das wichtig?
Expertenempfehlungen gibt es schon in zahlreichen Newslettern, in sozialen Netzwerken und neuen Erscheinungen wie etwa Niuws. Nun ist ein neues Projekt gestartet: piqd möchte punkten, indem es den Nutzern sagt, warum ein Text lesenswert ist und warum man seine kostbare Zeit dafür aufwenden sollte. In diesem Artikel wird beantwortet, ob das funktioniert, ob sich die Teilnahme bei piqd lohnt und wie sich das Tool weiterentwickeln wird.
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Eine Lawine rollt über uns herein. Wir werden erschlagen, unter ihr begraben, der Weg aus ihr heraus gelingt uns alleine nur allzu schwer. Man darf auch gerne von einer Flut, einem ständigen Strom, der uns die Beine unter den Füßen wegreißt, sprechen. Die Rede ist von der Informationsflut im Internet. Auf Facebook und Twitter bekommen wir Texte, Videos, Bildersammlungen vor die Füße geschmissen und wissen oft nicht, was davon jetzt wirklich lesenswert ist. Wie lösen wir das Dilemma? Wir holen uns Experten an die Seite, die uns an die Hand nehmen und uns behutsam den Weg zum Wichtigen zeigen, zu dem, was im Idealfall nicht einfach nur eine griffige Überschrift hat, Clickbait ist hier nicht gewollt. Experten sollen uns das wirklich Lesenswerte präsentieren, nach dessen Lektüre wir uns besser informiert fühlen, das uns eine neue Perspektive aufzeigt und uns selber mehr und mehr zu Experten mit reichhaltigem Wissen machen kann.
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Eine Möglichkeit, diesen Expertenempfehlungen zu lauschen, sind Newsletter. Eine andere ist es, Experten in den sozialen Netzwerken zu folgen, aktiv auf die Suche zu gehen nach den Menschen, die mir einen Mehrwert bieten können. Mit Niuws ist Anfang des Jahres ein weiterer Akteur ins Spiel gekommen. Das Prinzip: Zu einzelnen Themenbereichen gibt es genau einen Experten, der uns mit Informationen versorgt und uns griffig mitteilt, was es mit dem Artikel auf sich hat. Alles zu kurz gegriffen, dachten sich ein paar Menschen in München und gründeten piqd. Was es damit auf sich hat, ob piqd überhaupt die Aufmerksamkeit wert ist und wie die Pläne für die Zukunft aussehen, darum geht es in dieser Ausgabe im Mediendschungel.
Seit einer Woche live
Marcus von Jordan, Mitgründer und Geschäftsführer von piqd, nennt das Projekt „Die Programmzeitung für das gute Netz“. Im Grunde ist es ein Aggregator, so steht es auf piqd.de ebenfalls, und doch sagt von Jordan, das Wort sei „so sexy wie Hängeregister“. Er beschreibt piqd weiter als ein Tool, mit dem man die enorme Informationsflut an Inhalten, die es im Netz gibt, einerseits ordnen könne und mit dessen Hilfe man andererseits überhaupt in der Lage sei, die guten Sachen zu finden. Nach mehrmonatiger Beta-Phase ist piqd am 19. November live gegangen mit einem Modell, das so einfach ist und doch bisher noch nicht umgesetzt wurde: Es gibt zahlreiche Themenkanäle, die von mehreren Experten betreut werden. Jeder Experte, auf piqd entsprechend piqer genannt, darf maximal einen Beitrag pro Tag empfehlen und ist angehalten, mindestens drei Empfehlungen pro Woche auszusprechen. Die Begrenzung begründet von Jordan damit, dass piqd nicht „noisy“ sein soll. „Wir wollen, dass die piqer genau überlegen, ob sie einen Beitrag relevant genug finden, um ihn zu teilen“, erklärt er.
Schon mit den Namen der Kanäle, so scheint es, will sich piqd von der Masse abheben. Statt „Medienwandel“ heißt es hier „Medien & Gesellschaft“, statt „Umwelt“ nennt sich das piqd-Gegenstück „Klima & Wandel“. Insgesamt 13 Kanäle gibt es bislang, mehrere Kanäle sind momentan in der Planung. Konkrete Überlegungen gebe es etwa, eigene Kanäle für deutsche Innenpolitik und Kultur, Europa, USA, China, Medizin & Gesundheit sowie Zeitgeschichte zu starten, sagt Geschäftsführer von Jordan. Mit einem Hamburger Ableger ist auch ein zweiter lokaler Kanal nach „Münchner Stadtleben“ in Planung.
Experten aus Medien, Politik und Wirtschaft bei piqd
Experten sind ausgewählte Journalisten, Autoren, Politiker und Wissenschaftler, die besonderes Wissen in ihrem Bereich auszeichnet. Sie sollen als „Rosinenpicker“, so war es schon bei den Medientagen in München zu vernehmen, funktionieren. Daher auch der Name piqd – hergeleitet vom englischen „to pick“, etwas auswählen. Und es sind bekannte Namen unter den Rosinenpickern: Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, der Journalist und Blogger Dirk von Gehlen, Christian Fahrenbach, der die tolle Krautreporter Morgenpost verantwortet, oder etwa Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg. Der Frauenanteil der piqer liegt übrigens mit 22 von 66 piqern bei genau einem Drittel.
Nicht alle piqer werden für ihre Tätigkeit entlohnt. Marcus von Jordan erklärt, dass etwa Politiker wie Konstantin von Notz, Think-Tank-Mitarbeiter oder sonstige Experten, die aufgrund ihrer Stellung in einem Feld besondere Expertise haben, unentgeltlich Empfehlungen aussprechen. Alle anderen bekommen ihre piqs mit 500 Euro monatlich honoriert. Apropos Finanzen: piqd ermöglicht hat der Investor Konrad Schwingenstein, Enkel August Schwingensteins, des Mitgründers des Süddeutschen Verlags. Die Premium-Mitgliedschaft bei piqd kostet monatlich drei Euro. Nur damit hat man die Möglichkeit, piqs zu kommentieren und selber piqs zu erstellen. Als Haupteinnahmequelle soll der Betrag jedoch nicht funktionieren. Vielmehr ist das Eintrittsgeld dafür da, um Trolle fernzuhalten. Der Gedanke dahinter: Wer nur herumstänkern will, wird dafür keine drei Euro monatlich investieren. Die piqd-Macher setzen in Zukunft darauf, Kanäle zu vermarkten, auch Werbung an sich stehen sie nicht negativ gegenüber.
Warum ist genau das relevant?
Die Seite hat ein schönes, simples Design. Sowohl auf dem Macbook als auch auf Tablet und Smartphone sieht die Seite gut aus. Die einzelnen Kanäle haben einen individuell gestalteten Header. Bei jedem piq ist sofort klar erkennbar, wer der piqer ist, in welchem Kanal der piq steht und aus welcher Quelle der ausgewählte Beitrag stammt. Der piq an sich besteht aus drei Teilen: piq-Überschrift, Pitch-Text und Link zum Beitrag. Im Pitch-Text steckt auch das Alleinstellungsmerkmal von piqd. Werden bei Niuws die einzelnen Artikel noch mit relativ kurzen Texten angekündigt, besteht bei piqd reichlich Platz, um zu erklären, was im Text steht, warum dieser relevant ist und weshalb Nutzer ihre kostbare Zeit für gerade diesen Artikel aufwenden sollten. Und das Erfreuliche: es funktioniert. Piqd ist das genaue Gegenteil von fetten Schlagzeilen à la heftig.co und Konsorten, deren Texte niemals halten können, was sie versprechen.
Unaufgeregt bekomme ich einen ersten Eindruck, was in einem Text steht, bevor ich ihn anklicke. Mal ist der Text, der mir einen Beitrag schmackhaft macht, kürzer, mal länger, aber fast immer weiß ich danach ganz genau: Will ich diesen Text lesen oder nicht? Ich verschwende nicht meine Zeit mit der oft langwierigen Suche nach Lesenswertem zwischen viel Überflüssigem. Das mache ich natürlich auch hin und wieder gerne. Auch ich begebe mich gerne in die Weiten des Internet, klicke auf zig Links und komme so durch ein Labyrinth an Verzweigungen an interessante Texte. Aber manchmal will ich einfach nur einen Hinweis vorgesetzt bekommen, der mir sagt: Lies das! Hier gebe ich dir einen kurzen Hinweis auf den Inhalt und warum er deine Zeit wert ist. Das bietet piqd. Im Gegensatz zum einfachen Folgen von Experten bei Twitter oder Facebook, über die auch ich einen großen Teil meines täglichen Lesewerks beziehe, besteht bei piqd die schon fertige Einordnung in Kanäle und vor allem kein 140-Zeichen-Limit, das nur wenig Raum für das Warum lässt. Was mir ebenfalls gefällt, ist die Möglichkeit, piqs positiv oder negativ zu bewerten und so selber zur Qualitätskontrolle beizutragen (siehe Bild).
Zahlreiche Quellen
Ebenso positiv ist die Vielfalt an Quellen. Schon auf der Startseite, ohne einen bestimmten Kanal auszuwählen, stammen die Beiträge von medium.com, networkcultures.org, tumblr.com, journalism.co.uk, highline.huffingtonpost.com, welt.de, zeit.de, kernelmag.dailydot.com, 3sat.com, watson.ch. Und das ist noch immer nur ein kleiner Ausschnitt der piqd-Quellen. Neben etablierten Nachrichtenseiten finden sich auch Blogposts, sogar auf GIFs und Videos wird verwiesen. Die so oft besprochene Filterblase wird durch piqd nicht platzen, im Gegenteil. Aber das, was mir geboten wird, macht diese Blase umso wertvoller. Insbesondere, wenn in Zukunft noch mehr Kanäle zur Verfügung stehen. Marcus von Jordan sieht auch kein Problem darin, wenn die Experten hin und wieder einen ihrer eigenen Artikel auswählen, wie es etwa Dirk von Gehlen bereits gemacht hat. So lange der Inhalt stimmt und nicht bloß Eigenwerbung gemacht wird, haben die piqer freie Hand.
Noch ist nicht alles perfekt. Ich vermisse vor allem noch ein paar Funktionen, die das Finden von piqs erleichtern, etwa mithilfe einer Suchfunktion. Ebenso wäre es klasse, wenn man alle piqs eines bestimmten piqers einsehen könnte. Zudem fällt es hin und wieder schwer, auszumachen, was neu ist auf der Seite. Eine Datumsanzeige würde helfen. Geschäftsführer von Jordan sagt, dass schon eine Liste mit Funktionen bestehe, von denen man überlege, sie einzuführen. Die Datumsanzeige für piqs sei auch dabei. Ein weiteres Feature kündigt von Jordan im Gespräch schon an: Zukünftig wird es möglich sein, die Beiträge einzelner piqer aus der Anzeige auszuschließen. Dadurch wird man das Angebot von piqd neben der Kanalauswahl noch weiter personalisieren können.
Qualität bei der Online-Lektüre
Piqd ist nichts für Breaking News, die schnell zum Leser kommen sollen, nichts für Aufregung oder Hype. Der Grundstein von piqd liegt in der Annahme „Deine Zeit ist dir kostbar“ und der Frage „Suchst du vor allem Qualität bei der Online-Lektüre?“ verborgen. Piqd ist in der Lage, die richtige Reaktion auf Aussage und Frage bereitzustellen und mir qualitativ hochwertige Stücke mithilfe von Experten zu empfehlen. Ich bin gespannt, wie sich das Netzwerk der Experten weiter vergrößern wird, welche Kanäle neu hinzukommen und kann an dieser Stelle sagen: Ich freue mich auf die piqs, die mir während der Informationsflut helfen, trocken und auf beiden Beinen zu bleiben.
Was hältst du von piqd? Blödsinn oder genial? Woher bekommst du die besten Leseempfehlungen? Schreib mir hier in den Kommentaren oder auf Twitter (@hendrikgee) mit #Mediendschungel.