Letzte Woche fand die 6. Münchener Start-up Demo Night statt. Auf der Veranstaltung von BayStartUP in Kooperation mit dem WERK1 präsentierten mehr als 50 Start-ups rund 600 Besuchern ihre Innovationen „zum Anfassen und Ausprobieren“. Wir haben uns ins Tech-Getümmel gestürzt und stellen hier die fünf aus unserer Perspektive spannendsten neuen Projekte vor. // von Jens Quentin
Start-up Demo Night: Die Trends
Was macht der fleißige Journalist als erstes, wenn er von einer Messe zurückkehrt? Er definiert die Trends der Veranstaltung. Also DIE Trends. Bezüglich der Start-up Demo Night könnte dieser Trend lauten: more of the same. Liest sich auf den ersten Blick negativ, ist aber gar nicht bös gemeint. Es zeigt sich zum einen, dass die Digitalisierung immer mehr unseren Alltag durchdringt. Wo wir bislang per App ein Date, den passenden Fernseher oder einen neuen Job gesucht haben, suchen wir demnächst den passenden Mieter oder Versicherungsnehmer. Sozusagen Tinder für Schlipsträger.
Zum anderen ist der VR-Hype-Zug noch immer mit Volldampf unterwegs. Mehr als einmal wurde mir aufgrund Motion Sickness flau im Magen, als ich mit Oculus Rift neue Formen der Unterhaltung oder Simulation ausprobierte. Darüber hinaus wird die Macht der Masse zukünftig verstärkt in einem professionellem Rahmen genutzt: zu Crowdfunding gesellt sich nun Crowdtesting. Und auch das Trend-Thema Roboter wurde bedient. Doch welche Unternehmen und Projekte sind uns aufgrund ihrer cleveren Konzepte und neuen Ideen in Erinnerung geblieben? Nachfolgend unsere Top 5.
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Platz 5: Testbirds / nutzerbrille
Crowdfunding war gestern. Bevor die Masse wird demnächst Projekte oder Produkte finanziert, wird sie diese testen. Testbirds stellt seinen Kunden für deren Apps, Websites oder Online-Shops genau die Nutzer-Schar zusammen, die sie für ihrer Live-Tests anvisieren. Vom Technik-Nerd mit neustem Gadget und Betriebssystem über den Otto-Normal-Nutzer bis hin zum Tech-Hinterwäldler mit 5 Jahre altem Handy und wackeligem WLAN ist alles in der Datenbank vorhanden, was einen Knopf drücken kann. So fallen Alpha-Tests sehr viel authentischer aus als im sterilen Testlabor mit perfekten Rahmenbedingungen.
Von der Benutzeroberfläche bis zur Performance gibt es schonungsloses Feedback der Crowd. Die verdient sich durch die Teilnahme an den Tests nebenbei etwas dazu. Das Risiko, dass heikle und kostenintensive Technik-Innovationen in der Vorabversion die Unternehmensräume verlassen, federn die Kunden mit unterschieldlichen gestuften Geheimhaltungs-Vereinbarungen ab. Während Testbirds das Feedback für den Kunden aufbereitet, hat dieser bei nutzerbrille auch die Option, sich die Reaktionen der Tester auf sein Projekt ganz ungefiltert per Videoaufzeichnung anzuschauen. Da dürfte dem Websiten-Entwickler die Pumpe gehen, wenn Tante Frieda beim Mode-Online-Shop nichts kaufen kann, weil sie den Bestellbutton nicht erkennt.
Platz 4: youconic Eyewear
Als Vierauge zog es mich schnell zum Stand von youconic. Das Start-up fertigt mittels 3D-Druck maßgeschneiderte Sonnenbrillenfassungen an. Die Ausstellungsstücke waren für meinen Geschmack noch etwas zu konservativ und nah an den im Fließband-Verfahren hergestellten Formen. Allerdings gibt es laut CEO Mark Königer bei dieser Art von 3D-Druck derzeit noch einige technisch bedingte Limitierungen bezüglich Form und Farben. Schließlich muss das Gestell am Ende ja auch funktionabel und stabil sein. Die Angst vor quietschbunten Diddlmaus-Brillen oder Gestellen mit integrierten Tageskalender-Weisheiten ist aktuell also noch unbegründet.
Die Gestelle waren zumindest schon erfreulich leicht und stabil. Die Idee, sich ein Brillen-Unikat anfertigen zu lassen, ist innovativ. Bleibt nur die Hoffnung, dass die Designs der Brillen nicht so einfach kopiert und tausendfach illegal nachgedruckt werden können. Vielleicht ist es in Zukunft möglich, gleich noch die passenden Gläser ausdrucken zu lassen. Dann könnten neben Sonnenbrillen auch normale Brillen ins Programm aufgenommen werden. Und dann werde ich endlich mit meiner total coolen Hannover-96-Brille für Furore sorgen.
Platz 3: e-nolix
Abseits von Tesla umweht Elektromobilität vor allem ein Hauch von Effizienz, Energiebewusstsein und Funktionalität. Der Spaßfaktor spielte bislang keine entscheidende Rolle. Das will e-nolix ändern: Mit einer Mischung aus Montain Bike und Geländemaschine wollen die beiden Köpfe hinter dem Projekt nicht nur Hirn, sondern auch Herz seiner Zielgruppe erfreuen. Das Elektro-Bike hebt sich mit seiner Kombination aus Leichtigkeit und Leistung deutlich von den übrigen Elektro-Motorrädern ab. Diese sind entweder größer, schwerer und deutlich teurer oder können in Sachen Dynamik und Power nicht mithalten. Mit seinen 9 KW schafft das Zweirad eine Geschwindigkeit von bis zu 70 km/h.
Immer ein gutes Zeichen eines Start-Ups: Authentizität. Und genau diese bringen die beiden Sport-Fans und Motorrad-Enthusiasten Christian und Maximilian sehr gut rüber. Auf der Website können sich Interessierte für eine Probefahrt anmelden. Das Projekt zielt auf eine Gruppe, die bislang von den Herstellern von Elektro-Vehikeln nicht berücksichtigt wurde: die Fun-Fraktion. Ein gutes Beispiel dafür, dass Elektro-Antrieb nicht langweilig sein muss. Einziger Wermutstropfen aus meiner Sicht: ein normaler Führerschein Klasse 3 reicht nicht aus, um mit dem Elektro-Bike loszubrettern. Aber vielleicht bringt e-nolix ja eine Maschine auf den Markt, die kompatibel mit dem Autoführerschein ist.
Platz 2: Inflight VR
Der zweitschlimmste Langstreckenflüge meines Lebens war der, bei dem mein Vordermann seine Rückenlehne 2,3 Sekunden nach dem Start maximal nach hinten und erst kurz vor der Landung wieder senkrecht stellte. Der schlimmst war der, bei dem das Unterhaltungs-System in der gesamten Sitz-Reihe seinen Geist aufgab und auch der Neustart keine Hilfe brachte. Wer im Flieger schon einmal elf Stunden ohne Film oder Spiel auskommen musste, der wird Gott für Inflight danken. Inflight VR bringt das Entertainment-Programm im Flugzeug auf Oculus Rift oder anderen Virtual-Reality-Systemen.
Damit wären die Tage kleiner, zerkratzter Bildschirme, einem schlechten Blickwinkel auf den Screen oder anderer Begleiterscheinungen gezählt. Da das VR-System nach dem Start wie die berühmt-berüchtigten Kopfhörer verteilt werden und nicht fest im Flieger verbaut sind, müssen keine extrem anspruchsvollen Sicherheitsbestimmungen bezüglich der Hardware erfüllt werden. Außerdem könnten Airlines mit einer Umstellung Gewicht und damit Treibstoff einsparen, der heilige Gral der Fluggesellschaften. In der Demo konnte ich aus einer Art Lobby Filme, Musik, Spiele oder den Duty-Free-Shop anwählen, indem ich mich in bestimmte Kreise stellte. Und falls die Motion Sickness mal durchschlägt, sind schon Spucktüten da. Win-Win!
Platz 1: agrilution
Auf den ersten Blick liest sich die Idee hinter agrilution eher unspektakulär: Baue zuhause dein eigenes Gewächshaus auf. Auf den zweiten Blick verknüpft der kühlschrankgroße plantCube aber auf faszinierende Weise verschiedenste Welten: Tech trifft Healthy Food trifft Lifestyle trifft Connected Home trifft Umweltschutz. Für ca. 1000 Euro kauft man den High-Tech-Schrank, der dank futuristischer LED-Beleuchtung und schickem Design auch locker als Möbelstück durchgeht. Das passt umso besser, weil er nur eine Steckdose benötigt. Die Bewässerung erfolgt intern automatisch. Somit muss der stylische Kasten also nicht zwingend in der Küche stehen. Mit dem plantCube kauft man für jeweils ca. 2 Euro Matten, in denen schon das Saatgut steckt. Diese Matten sind aus Jute und können nach der Ernte auf dem Biomüll entsorgt werden.
Jetzt kommt der Part, bei dem mein Tech-Nerd-Herz Purzelbäume vollführt: Nachdem man die Matten in den Schrank gepackt hat, erfolgt die restliche Pflege des Saatguts über eine App. Dabei stellt das System automatisch je nach Gemüse Temperatur, Beleuchtung und Bewässerung ein. Nach der Ernte ist genug Rucola, Feldsalat, Petersilie oder Basilikum da, um den Tagesbedarf von zwei Personen zu decken. Auch Erdbeeren können mit dem plantCube angepflanzt werden. Für den nötigen Umsatz sollen später die Matten sorgen. Dank einer speziellen Technik können diese nicht einfach von Geeks mit grünem Daumen kopiert werden. Der plantCube funktioniert nur mit Original-Matten. Ich finde die Idee, dass aus „Plug & Play“ zukünftig „Plug & Grow“ wird, großartig. Dieses Projekt hat so viele positive und coole Aspekte, dass wir es zu unserer absoluten Nummer 1 der Start-up Demo Night küren.
Erweiterter Tech-Horizont
Räder wurden auf der 6. Start-up Demo Night zwar nicht neu erfunden, bislang bestehende Technologien aus den Segmenten VR oder Elektro-Mobilität aber um neue, interessante Aspekte bereichert. Lobenswerte Entwicklung: Erstmals präsentierten sich auch Start-ups aus Polen in München. Eine Bildergalerie inklusive Infos zu allen Ausstellern findet ihr auf der Facebook-Seite des Veranstalters.
Bleibt am Ende nur noch eine Frage: Was zur Hölle ist ein Schneckenextruder? Mit dieser Maschine inklusive Plastifizierschnecke lassen sich thermoplastische Kunststoffgranulate in Filamentform unwandeln. Wieder was gelernt.
Bild: Start-up Demo Night