Es gibt unzählige Arten, Nachrichten online zu konsumieren. Zwischen Nachrichtenapp, Digitalkiosk, Instant Article, Datenjournalismus, Clickbait, Twitter und E-Paper findet man sich nur schwer zurecht. Hendrik Geisler führt in seiner Kolumne durch den Mediendschungel und schreibt über Apps, Tools und Services für Leser und Medienmacher. Diesmal: Die Junge-Leute-Nachrichtenportale ze.tt und bento.
Junge Menschen lesen keine Zeitung mehr, interessieren sich nicht für die globalen Geschehnisse, sind egoistische Lebenslaufoptimierer und geben einen feuchten Kehricht darauf, was die Welt bewegt. So oder so ähnlich sehen die Gedankengänge vieler pessimistischer Medienmacher aus. Weshalb sie zu diesen Schlüssen kommen? Weil eben junge Menschen immer seltener auf die Nachrichtenangebote der bisher so wichtigen Medienmacher zugreifen. Dass das vielleicht daran liegen könnte, dass die Angebote oftmals an der Lebenswelt des jungen Klientels vorbeigehen, langweilig sind und noch immer auf längst veralteten Konzepten fußen, geht einigen Entscheidern einfach nicht in den Kopf.
Dass sich der Medienkonsum wohl gar nicht im Rückgang befindet, sondern vielmehr auf andere Kanäle verlagert, wird nicht selten sträflich missachtet. Die jungen Leute, die in diesen Kanälen unterwegs sind, mit Nachrichteninhalten zu erreichen, wird von Tag zu Tag wichtiger für die großen Player im Mediendschungel. Über 15 Jahre nachdem die Süddeutsche Zeitung mit jetzt.de ein Portal für junge Menschen startete, haben sich auch Zeit Online und Spiegel Online dazu durchgerungen, ein Nachrichtenangebot für die Millennials zu schaffen.
Neue Stellenangebote
Mitarbeiter*in (m/w/d) für Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und Städtepartnerschaft (m/w/d) meinestadt.de in Sachsenheim |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH in Delitzsch |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Halloren Schokoladenfabrik AG in Delitzsch |
BYOU – Klatschseite für Heranwachsende
BYOU, das Bild.de-Angebot, ist auch ins Rennen um die Jungen gegangen. Doch statt sich wie die beiden anderen Seiten um junge Erwachsene zu kümmern, ist BYOU ein Angebot für Teenager. Und was für eins. Mag ja Geschmackssache sein und ich bin sicher auch zu alt, um wirklich bewerten zu können, was Augen von heutigen Kindern ertragen, aber der Blick an die Rauhfasertapete ist reinste Entspannung, nachdem ich eine Minute auf der Klatschseite für Heranwachsende verbracht habe.
Themen, Layout, Aufmachung, Clickbait-Headlines – alles hier lässt mich zu dem Eindruck kommen, dass BYOU wirklich eine tolle Anlaufstelle für pubertierende Jugendliche ist, die sich für Nachrichten nicht interessieren. Der letztgenannte Umstand wird sich durch die in Neonfarben gehaltene Seite auch nicht ändern. Aber hey, Jugendliche waren doch das Zielpublikum, auch wenn die BYOU-Macher vermutlich die Einzigen sind, die Millennials als „alle um die 2000er Jahre Geborenen“ definieren. Der Eindruck, man habe diesen aufmerksamkeitsträchtigen Begriff einfach mal verwenden wollen, drängt sich unweigerlich auf.
Ze.tt – erkenntnisreiche Beta
Ze.tt von Zeit Online hingegen sieht sich als „neues Onlineangebot, das für Leserinnen und Leser zwischen Schulabschluss und erstem Jobwechsel gedacht ist“. Dementsprechend fallen dann auch die Themen aus. Es geht um gesundes Essen, Mobilität, Digitales vom Umgang mit dem Handy bis zum „Entlieben in der digitalen Welt“, globale Ungerechtigkeiten und gute Laune. Ze.tt-Redaktionsleiter Sebastian Horn weiß genau, wen ze.tt erreichen will: „Unsere Zielgruppe zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie besonders Social-Media-affin ist.“ Das drücke sich vor allem dadurch aus, dass sie ihre Informationen über Plattformen wie Facebook bekomme.
Ze.tt befindet sich noch in der Beta-Phase, was erklärt, warum die Seite auch noch irgendwie unfertig wirkt. Einziges Feature neben den Beiträgen ist eine Suchfunktion, eine Übersicht verschiedener Rubriken gibt es hingegen noch nicht. Dass die Seite auch visuell noch angepasst werde, bestätigt Horn: „Die Entwicklung unserer Webseite ist von vornherein iterativ angelegt.“ Konstant werde über die Test-Phase hinaus Weiterentwicklung betrieben, sodass „sich am Aufbau und Design immer wieder etwas ändern wird“, sagt Horn auf BASIC thinking-Nachfrage. Schon jetzt ist der ze.tt-Auftritt angenehm gestaltet. Grau mit vereinzeltem Orange lenkt nicht von den Hauptdarstellern, den einzelnen Geschichten ab.
Dass ze.tt zunächst in einer Beta-Version gestartet ist, hat sich laut Redaktionsleiter Horn gelohnt. „Unser Ansatz war, dass wir nur in einem öffentlichen Test erfahren können, was funktioniert und was nicht“, sagt er. Der Wunsch nach Rückmeldung sei erfüllt worden, bestätigt er. „Unser Feedback-Formular wurde bisher hundertfach mit Lob und Verbesserungsvorschlägen ausgefüllt. Das hilft uns sehr, die nächsten Schritte anzugehen und zu verstehen, was wir anders und was wir besser machen sollten.“
Lebensnah und konstruktiv
Welche Redaktionsphilosophie hinter ze.tt steckt, verrät Horn auch: „Wir wollen den jungen Leuten Inhalte bieten, die sie interessieren, die sie aus ihrer Lebenswelt kennen. Dinge, mit denen sie unmittelbar etwas anfangen können, weil es ihren Alltag und ihr Leben betrifft.“ Das gelingt zahlreich. Berichte über selbstfahrende Lastwagen, Plädoyers für mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und gegen die Verschmutzung der Weltmeere sowie die Darstellung der Lagerorte von Atomwaffen in Deutschland behandeln Themen, die in greifbarer Zukunft eine wichtige Rolle für die Lebensgestaltung der Millennials spielen. Nachrichtenmeldungen kommen auf ze.tt nicht vor. „Neben unseren eigenen Geschichten und Themenschwerpunkten greifen wir Inhalte aus dem Netz auf, die wir mit einem eigenen Dreh und Kontext versehen.“
Auffällig ist der positive Ton, den die meisten Geschichten auf ze.tt haben. Selbst bei einer im Grunde negativen Ausgangslage einer Geschichte liegt der Fokus hier auf dem Lobenswerten, dem Hoffnungsschimmer, dem Licht statt dem Schatten. Dass hier zumindest teilweise der Ansatz des Constructive Journalism verfolgt wird, bestätigt ze.tt-Leiter Horn: „Wir wollen zeigen, wie es besser geht, wie es anders geht und was junge Leute selber tun können.“ Das sei zum Beispiel in der Flüchtlingsdebatte deutlich geworden: „Wir haben von Ideen berichtet, mit denen Menschen helfen, und wir haben Möglichkeiten aufgezeigt, wie unsere Leserinnen und Leser selber aktiv werden können. Dieser Einsatz ist zum Teil beeinflusst von der Idee des Constructive Journalism.“
„Jeder Tag ist fucking amazing!“
Eine Philosophie, die auch die bento-Redaktion unter Ole Reißmann, zusammen mit Frauke Lüpke-Narberhaus Redaktionsleiter, zumindest in Zügen vertritt. „Überall sieht man, wie schlecht die Welt ist, wie schlecht die Welt ist und wie schlecht die Welt ist“, sagt der Journalist. „Und keine Frage, die Welt ist sehr schlecht, aber wer in Europa aufwächst, genießt gerade den größten Wohlstand, die größte Freiheit in der Geschichte der Menschheit.“ Man schaue bei bento sehr genau nach hoffnungsvollen Drehs in einer Geschichte, betont Reißmann und fügt hinzu, dass man den Nutzer nicht alleine lassen wolle mit der Aussage, es sei alles schlecht. „Jeder Tag ist fucking amazing! Und das kann sich in Geschichten auch gerne widerspiegeln.“ Er meine damit solche Geschichten, die zeigten, dass Leute ihr Schicksal in die Hand nehmen und dass es sich lohne, das zu tun. Nachrichten zum Wohlfühlen, könnte man das auch nennen.
Bento ist unter anderen Voraussetzungen als ze.tt gestartet. Das fängt schon damit an, dass der einzige Hinweis auf die Spiegel Online-Herkunft im Impressum zu finden ist. Bei ze.tt steht unübersehbar, dass die Seite ein Partner von Zeit Online ist. Zudem ist bento ein fertiges Produkt, auf eine öffentliche Beta-Phase wurde verzichtet. Dass die Seite dann auch fertiger und runder aussieht als das Produkt des Zeitverlags, ist verständlich. Bento ist sehr sauber gestaltet, die Artikel werden in überdimensionierten Bildern, die in der Größe variieren, präsentiert. Ein schönes und modernes Layout. Trotzdem ärgert sich so mancher im Spiegel Verlag, dass Zeit Online mit ze.tt früher dran war, wie uns eine Quelle aus der Führungsetage bestätigt. Genannt werden möchte sie nicht.
Keine Unterscheidung zwischen online und offline
Als das Junge-Leute-Angebot im September angekündigt wurde, sprachen viele Medien von der „Generation Hashtag„, die bento nun umgarnen solle. Reißmann hat genauere Vorstellungen von der Zielgruppe seines Nachrichtenportals. „Bento ist die Seite für junge Leute, die – es klingt phrasig – im Internet zuhause sind. Die nicht die Unterscheidung zwischen online und offline haben, sondern mit dem Smartphone ständig on sind.“ Man müsse den Nutzern nicht jedes Mal erklären, dass Barack Obama der US-Präsident sei. Ebenso wenig bräuchten die bento-Nutzer ein vorangestelltes „der Kurznachrichtendienst“, wenn es um Twitter gehe. Genau für diese Leute sei nun ein neues Angebot geschaffen worden, dass es so bislang im Hause Spiegel nicht gegeben habe.
„Natürlich gibt es auch bei den 18- bis 30-Jährigen viele, die Spiegel Online gerne nutzen, weil sie eben gerne Nachrichten lesen. Es gibt aber auch viele, die keine Lust auf klassische Nachrichten haben, die keine news heavy user sind.“ Für Nutzer, die nicht jede Außenpolitik-Volte verfolgen, die ein anderes Nachrichtenbedürfnis haben, sei die Seite geschaffen, betont Reißmann. Thematisch ist bento sehr vielfältig. Es fällt schwer, klassische Rubriken zu finden. Die Unterseiten reichen von Future und Gerechtigkeit über Queer und Tech bis Grün und Haha. Da geht es dann um Ausbildungsfragen, Flüchtlinge, Virtual Reality, Bioburger und Super Mario. Das sind zwar mitunter spannende Themen, die in der Lebensrealität der jungen Leute eine große Rolle spielen, die Nachrichtenwelt bilden sie jedoch nicht ab. Klassische Nachrichtenmeldungen gibt es jedoch auch. In der News-Rubrik stehen kompakt ohne Bild sechs tagesaktuelle Schlagzeilen. Neben Meldungen zu Gerichtsentscheidungen liest man dort aber auch etwas über Instagram-Fotos.
Erzählstücke mit Hintergrund
Auf bento finden sich nur sehr vereinzelt Listicles, die mich sofort an Buzzfeed denken lassen. Ze.tt verzichtet ganz auf diese Artikelform. Hatte ich bei der Ankündigung von Nachrichtenportalen für junge Menschen noch an bloße Buzzfeed-Kopien gedacht, bin ich nun nach mehreren Blicken auf die Angebote von Spiegel Online und Zeit Online sehr positiv überrascht. Ich sehe zwar auch hier und da Schlagzeilen, die schwer nach Clickbait stinken, doch der Eindruck trügt. Auf beiden Seiten finde ich Erzählstücke, die Hintergrundaspekte beleuchten, nicht nur die Oberfläche wichtiger Thematiken ankratzen, sondern wirklich versuchen – und es schaffen – guten Journalismus zu liefern. Selbstredend sind sie nicht Eins zu Eins austauschbar mit einem Beitrag zum gleichen Thema auf den Mutterseiten der beiden Portale. Das war aber auch gar nicht der Anspruch.
Bento und ze.tt testen verschiedene Erzählformen und arbeiten viel mit GIFs, Videos und Bildern. Vor allem bento wirkt unheimlich erfrischend. Beide Portale werden in Zukunft weitere Plattformen testen, sich für weitere Kanäle öffnen. Sie sind Experimentierstuben zweier großer Medienhäuser, deren Experimente schon jetzt Spaß machen. Nachdem der erste äußere Eindruck so gut war, hatte ich nicht erwartet, dass die Artikel diesem Positivbeispiel folgen. Doch das tun sie. Was mir gefällt, ist das Fehlen krampfhaft angewandter Jugendsprache. Hier wird sich nicht angebiedert und auf cool gemacht. Und wenn, dann entgeht es mir, da ich mit meinen 27 Jahren eh nichts mehr von Jugendsprache verstehe.
Keine der beiden Seiten bietet einen umfassenden Blick auf die Welt, aber sie sind eine positive Erscheinung. Wer nun erwartet, dass sie für jeden 18- bis 30-Jährigen gedacht seien, liegt schlichtweg falsch. Ja, es gibt viele Leute in dieser Altersklasse, die klassische Nachrichtenmodelle mögen und gerne konsumieren. Für diese ist bento und ze.tt vielleicht mal ein netter Zeitvertreib, eine erstklassige Nachrichtenquelle jedoch nicht. Es gibt aber ebenso viele junge Leute, die sich nicht für Nachrichten interessieren. Wenn die beiden Junge-Leute-Seiten es schaffen, diese Nutzer auf ihre Beiträge zu locken und ihr Interesse am Journalismus zu wecken, dann haben sie einen wertvollen Dienst vollbracht. Ich traue ihnen das zu.
Du hältst nichts von ze.tt und bento, findest BYOU fantastisch, kennst andere spannende Ansätze oder hältst gesonderte Junge-Leute-Angebote für vollkommen überflüssig? Dann teile mir das hier in den Kommentaren oder bei Twitter (@hendrikgee) unter #Mediendschungel mit.