Es gibt Trends, die beim geneigten Tech-Freund sofort für erhöhten Speichelfluss sorgen. Virtual-Reality-Headsets gehören dazu. Da auf dem Hype-Zug ohnehin kein Platz mehr ist, werfen wir in dieser Serie einen kritischen Blick aus der Distanz auf die Zukunft der virtuellen Realität. Jens Quentin orakelt, dass diese Technologie ausgerechnet in dem Bereich, in dem sie ihre Wurzeln hat, zum Scheitern verdammt ist. Teil II: Trittbrettfahrer // von Jens Quentin
Eines vorweg: Ich möchte hier keine Technik-Daten oder Produkt-Informationen wiederkäuen, die inzwischen schon jeder Interessierte kennt. Hier geht es nicht um die Bildwiederholungsrate, das OLED-Display oder die Pixel-Anzahl. Dies alles wurde woanders schon hinlänglich durchgekaut und bewertet. In dieser Serie geht es vielmehr um eine grundsätzliche Einordnung der VR-Technologie im Jahre 2015 und um seine zukünftige Bedeutung für unterschiedlichste Industrien und Märkte. Im 2. Teil beleuchte ich die Mechanismen, die Oculus mit seinem Erfolg innerhalb der Games-Industrie ausgelöst hat.
Das alte Spiel
Ich spiele seit 1999 innerhalb der Games-Branche auf beiden Seiten des Balls. Sowohl im Journalismus als auch in der Kommunikation / PR waren zwei Merkmale über die Jahre stets treue, zuverlässige Weggefährten:
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- Die Branche schreit nach Innovationen
- Die Branche scheut Innovationen
Journalisten lechzen jedes Jahr, jede e3, jede gamescom und jedes Event mehr oder weniger verzweifelt nach neuen Impulsen. Zu gefühlt 98% werden die Hoffnungen enttäuscht. Viel zu oft schauen Redakteure sich stattdessen Teil 3 (oder 13) einer etablierten (lies: durchgenudelten) Marke an. Publisher präsentieren sich gerne als Innovationstreiber, verkriechen sich in Wirklichkeit aber gern im konservativen Kämmerlein. Am Ende muss halt die Kasse stimmen. Erinnert sich noch jemand an Entwicklerlegende Peter Molyneux, der von mitfühlenden KI-Charakteren und sprechenden Bäumen schwärmte? Diese Ideen haben es nie oder nur ganz anders in seine Fable-Spiele geschafft. Trotzdem war ich immer wieder froh, seine Visionen zu erleben. Zumindest war dort ein Mensch, der mit Herzblut etwas bewegen wollte. Der Innovationen schaffen wollte. Auch wenn er damit jedes Mal aufs Neue grandios scheiterte.
Diese Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Innovation und Cashcow, zwischen Schwärmerei und schwarzen Zahlen gilt auch für die Hardware-Bereich. Dort ganz besonders. Aufwändigere Entwicklung. Mehr Entwickler. Aufwändigere Marketing-Maßnahmen. Aufwändigere Vertriebs-Aktionen. Das bedeutet mehr Personal, mehr Zeit und damit vor allem mehr Kosten. Alles eher unangenehme Faktoren für Unternehmen. Die wollen doch nur ganz solide kalkulieren und verkaufen. Doch halt: die können manchmal auch anders! Es gibt diesen einen magischen Moment, in dem auch das konservativ aufgestellteste Unternehmen alle Bedenken über Bord wirft und schneller die Kosten-Kalkulation anwirft, als Donald Trump seine Präsidentschafts-Kandidatur begraben kann. Ich nenne diesen Moment purer Magie den Trittbrettfahrer-Moment.
Beispiel Bewegungssteuerung
Ein gutes Beispiel für den Trittbrettfahrer-Moment ist die Bewegungssteuerung im Jahr 2006. Einmal mehr zeigte sich Nintendo hier als Vorreiter einer neuen Technologie. Als Ende 2006 die Wii-Konsole erscheint, wird sie von Core-Gamern und dem Mitbewerb gleichermaßen aufgrund der Hardware-Spezifikationen belächelt. Schwache Grafik! Kein HD! Keine Multimedia-Wunderkiste! Aus Sicht vieler „Experten“ deutete alles auf einen gigantischen Flop hin. Manch einer rieb sich bei Microsoft und Sony wohl schon die Hände und dachte: „Ha! Endlich liegt Nintendo voll daneben!“ Doch da waren diese komischen Bewegungssensoren. Diese erkannten Bewegungen des Controllers namens WiiMote im Raum uns wandelten diese in Aktionen der Spielfigur auf dem Bildschirm um. Mit dieser Innovation gelang Nintendo etwas, was vorher in der Branche als Mission Impossible galt: die Aktivierung neuer Zielgruppen.
Erstmals konnten Menschen einen Controller bedienen, die noch nie vorher mit Knöpfen und Schaltertasten in Berührung gekommen waren. Ich habe es selbst erlebt: Mein Vater schwang sich mit Mitte 70 zum Bowling-Champion auf, und meine Frau schlug mich im Tennis. Buchstäblich. Bei einer kraftvollen einhändigen Rückhand streifte der Controller meinen Kopf. Sowohl mein Vater als auch meine Frau hatten vor der Wii-Erfahrung eine Videospielhistorie, die höchstens in Minuten messbar wäre. Beide waren dank Bewegungssteuerung sofort im Spiel.
Von der Wii-Konsole wurden bis heute mehr als 100 Millionen Stück verkauft. Gar nicht so schäbig für einen Flop. Plötzlich war Bewegungssteuerung der ganz große Trend der Branche. Jetzt kamen die Trittbrettfahrer: Sony brachte 2010 einen bewegungsempfindlichen Controller namens Move für die PlayStation 3 auf den Markt. Im selben Jahr stellte Microsoft Kinect in die Regale. Mit dieser Technologie für die Xbox 360 steuerte der Spieler mit Körperbewegungen die Figur auf dem Bildschirm. Was aus diesen bahnbrechenden Projekten geworden ist? Das beleuchte ich in einer späteren Folge dieser Serie.
Irgendwas mit VR
So wie die Hersteller seinerzeit auf den Bewegungssteuerung-Zug aufgesprungen sind, springen sie also nun auf den VR-Zug auf. Nochmal frei sein, nochmal dabei sein! Jetzt, wo die namhaften Marktführer dank Versuchskaninchen Oculus sicher sein können, dass diese Technologie eine Zielgruppe und damit Aussicht auf Käufer und wirtschaftlichen Erfolg hat, sind alle mit Feuereifer und Volldampf dabei. Sie alle haben es immer gewußt: VR ist die Zukunft!
Was aber bieten die Konzepte der Mitbewerber? Wie heben sie sich vom Wegbereiter Oculus VR ab? Was machen sie anders? Sind es stumpfe Kopien oder ebnen sie gar den Weg zum heiligen Gral des Marketing: dem USP. Werfen wir doch einfach mal einen launigen Blick auf das, was sich durch Oculus inspiriert noch so im Games-Segment tummelt.
Sony: Project Morpheus oder: Der Tech-Recyclinghof
Zitat offizieller PlayStation-Blog: „Eine neue Dimension des Gamings ist fast da, und PlayStation ist wiedermal an vorderster Front mit Project Morpheus.“ Nun ja, das mit „wiedermal an vorderster Front“ habe ich schon erläutert. Wir bleiben also im klassischen Games-Bereich. Die VR-Technologie von Sony ist für die PlayStation 4 konzipiert. Das ist gut, sofern man eine PS4 besitzt. Für Sony ist das gut, weil das Unternehmen schon einmal mit einer ordentlichen Installationsbasis kalkulieren (Kalkulation! Hurra!) kann. Andererseits ist die Halbwertzeit der aktuellen PlayStation im Jahr 2016 extrem überschaubar. Während man in einem PC rasante technische Fortschritte einfach per Hardware-Zukauf nachrüsten kann, ist dies bei einer Konsole nicht möglich.
Was ich Sony wirklich sehr hoch anrechne, ist das Herz für Brillenträger. Das Design ist so konzipiert, dass die Hardware via Kopfband an der Stirn gehalten wird. Das Display baumelt also praktisch vor euren Augen. Es drückt also nix direkt auf das Gesicht, was besonders Vieraugen wie mich in Verzückung versetzt. Damit die Arbeit der Jungs aus dem Bewegungssteuerung-Entwicklerteam damals nicht völlig umsonst war, ist Morpheus mit dem Move-Controller steuerbar. Laut offiziellem Blog werkelt Sony übrigens seit drei Jahren an seinem VR-Konzept. Wann ging Oculus nochmal durch die Decke? Vor drei Jahren. Bestimmt Zufall.
Microsoft: HoloLens oder: Das Realitäten-Kompott
Eine schnöde VR-Brille ist Microsoft nicht genug. Die HoloLens-Technologie vermisst und analysiert den Raum, in dem sich ein Spieler befindet, um dann Hologramme mit der Umgebung zu verknüpfen. Für Doofe: Ihr denkt, da liegt ein Gegenstand vor euch auf dem Tisch, das ist aber nur ein Hologramm. HoloLens mixt also Augmented Reality mit Virtual Reality. Präsentiert wurde das Tech-Wunder auf der e3 2015 anhand einer speziellen Minecraft-Demo. Cleverer Schachzug! Gamer würden auch ekstatisch applaudieren, wenn ein neues Ebola-Virus gestreut oder der 3. Weltkrieg via Minecraft angekündigt würde. Minecraft geht bei Spielern immer. Auf der e3 wurde also demonstriert, wie jemand mit virtuellen Bauklötzchen Häuser, Landschaften etc. baut.
Ich als betagter Mensch, der seine erste Bewerbungen noch auf einer Schreibmaschine vefasste, frug mich damals spontan: „Warum zur Hölle baut der Knabe nicht gleich mit echten Bausteinen?“ Warum eine Simulation von etwas erstellen, das ich ohne großen Aufwand auch real erleben kann? Vielleicht bin ich aber auch nur zu alt für diesen Kram. Schon die Umsetzung der 5-minütigen e3-Demo sah kompliziert und technisch anspruchvoll aus. Das bedeutet: Entwickler müssen verdammt fit sein, um die Möglichkeiten von HoloLens in ihrer ganzen Pracht umzusetzen. Und wenn die Games-Industrie eines nicht hat, dann Zeit, Geld oder Manpower, um Spiele perfekt an eine bestimmte Hardware anzupassen. Die Hoffnung HoloLens besteht in der Tatsache, dass Microsoft auch andere Einsatzmöglichkeiten sieht. Warum dies das Projekt retten wird, erläutere ich in einem der nächsten Teile dieser Serie.
HTC Vive oder: Unter Volldampf
Ein interessanter Mitbewerber im VR-Kosmos: HTC Vive. Ein namhafter Hersteller von Smartphones und Tablet-Geräten kooperiert mit einem der renommiertesten Spiele-Entwickler des Universums, der nebenbei auch eine ziemlich erfolgreiche digitale Vertriebsplattform für Spiele betreibt. Das Headset von HTC basiert auf SteamVR, einem „interaktiven, raumfüllenden VR-Erlebnis“, so der Wortlaut auf der offiziellen Website. Bemerkenswert ist die Kombination mit zwei in gegenüberliegenden Ecken eines Raumes zu platzierenden Basisstationen, welche die Position des Spielers erfassen. Jeder Schritt des Spielers kann dadurch 1:1 in der virtuellen Umgebung umgesetzt werden. Dies sorgt in den Demos für eine im Vergleich zur Konkurrenz erstaunliche Bewegungsfeiheit.
Dieses grundsätzlich vielversprechende Feature ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Wie sagt man so schön? Wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche. Die traurige Vergangenheit der Bewegungssteuerung beweist: Der Spieler nutzt die Bewegungsfreiheit nicht. Zumindest nicht lange. Kein Mensch will/wird stundenlang im Wohnzimmer hin und her latschen, um einen Dungeon zu erforschen. Vergesst das! Der gewöhnliche Gamer will am Ende doch nur auf dem Sofa fläzen. Vorurteile bestätigt! HTC Vive soll für Endverbraucher ab Weihnachten 2015 erhältlich sein. Die passenden Spiele gibt es dann natürlich auf Steam. Wie praktisch!
StarVR oder: Die Macht der leitenden Reichen reitenden Leichen
Noch ein Spiele-Entwickler, der sich aufs VR-Parkett traut. Das Besondere an StarVR ist das im Vergleich zum Wettbewerb extrem breite Sichfeld. Als wenn einem eine riesige, gebogener Ultra-HD-Glotze direkt an die Rübe gedübelt wird. Nur weniger schmerzhaft. Hoffentlich. Jedenfalls wird durch diese Technologie nach Herstellerangaben mehr als 75 Prozent des menschlichen Sichtsfeldes abgedeckt. Der virtuelle Panoramablick. Was macht man, wenn man Gamer anlocken will, aber Minecraft schon vergeben ist? Man greift natürlich auf Zombies zurück. Genau wie Minecraft gehen Zombies bei Spielern immer.
Noch mehr ziehen Zombies übrigens unter der Marke The Walking Dead. Und so gibt es im Jahr 2016 also The Walking Dead: The VR Experience. Bei der entsprechenden Demo wird einem allerdings eher aufgrund der Motion-Sickness-Problematik statt der verfaulenden Wiedergänger schlecht. Auf der offiziellen Website wird das Projekt als Egoshooter mit Action-, Rollenspiel-, Survival-Horror- und Schleich-Elementen beschrieben. Wenn etwas in der Games-Industrie garantiert nicht funktioniert, dann ein Mix aus 92 verschiedenen Genres. Sind wir doch mal ehrlich: Am Ende ballert ihr stumpf Untote über den Haufen und versteckt euch ab und zu hinter einer Kiste. Der Koop-Modus könnte aber interessant werden.
Nachdem wir nun die wichtigsten VR-Projekte und deren Besonderheiten aus dem Games-Bereich abgeklopft haben, wenden wir uns im nächsten Teil den Herstellern zu, die ihre Wurzeln in anderen Industrien haben und ebenfalls einen Stück vom VR-Kuchen haben wollen.