Es gibt Trends, die beim geneigten Tech-Freund sofort für erhöhten Speichelfluss sorgen. Virtual-Reality-Headsets gehören dazu. Da auf dem Hype-Zug ohnehin kein Platz mehr ist, werfen wir in dieser Serie einen kritischen Blick aus der Distanz auf die Zukunft der virtuellen Realität. Jens Quentin orakelt, dass diese Technologie ausgerechnet in dem Bereich, in dem sie ihre Wurzeln hat, zum Scheitern verdammt ist. Diesmal: Musterknabe Oculus Rift.
Eines vorweg: Ich möchte hier keine Technik-Daten oder Produkt-Informationen wiederkäuen, die inzwischen schon jeder Interessierte kennt. Hier geht es nicht um die Bildwiederholungsrate, das OLED-Display oder die Pixel-Anzahl. Dies alles wurde woanders schon hinlänglich durchgekaut und bewertet. In dieser Serie geht es vielmehr um eine grundsätzliche Einordnung der VR-Technologie und um seine zukünftige Bedeutung für unterschiedlichste Industrien und Märkte. Um zu erkennen, wohin sich eine Technologie entwickelt, lohnt zu Beginn ein Blick zurück.
Im August 2012 suche ich in der Sommer-Hitze von Köln im Rahmen der gamescom ein abseits der Messehallen gelegenes, kleines Hotel. Branchenkenner wissen, dass Termine außerhalb eines Messegeländes mit Vorsicht zu genießen sind. Schließlich hat man zwischen zwei Terminen immer nur fünf Minuten, um den nächsten Treffpunkt zu erreichen. Das ist bei einem vollgeballerten Kalender schon innerhalb der Hallen eine sportliche Aufgabe.
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Dennoch will ich diesen Termin unbedingt wahrnehmen. Warum? Ein Start-up namens Oculus VR zeigt sein Head Mounted Display erstmals außerhalb der USA. Sein Debüt gab die VR-Brille kurz vorher auf der e3 in Los Angeles. Ich blicke schon seit jeher gern und oft über den Technologie-Tellerrand. Dies ist die nächste Gelegenheit dazu.
Duct Tape & Kabelsalat
Die Hardware auch in Köln zu präsentieren, ist eine Last-Minute-Entscheidung von Oculus. Dem entsprechend müssen Gründer Palmer Luckey und sein Kollege Nate Mitchell mit einem winzigen Räumchen auskommen, das die Bezeichnung Konferenzraum kaum verdient hat. Als ich den Raum nach eifriger Suche endlich gefunden habe, entschuldigen sich die beiden für die Unordnung. Auf dem Tisch steht ein offenes PC-Gehäuse, an dessen Steckplätzen etliche Kabel heraushängen.
Daneben die eigentliche Brille, mehr schlecht als recht mit Klebeband zusammen gehalten und ebenfalls mit einem breiten Kabel mit dem PC verbunden. Daneben verteilen sich noch einige frisch gedruckte Visitenkarten auf dem Tisch. Nein, das ist kein gewöhnlicher Messe-Termin.
Das ist kein glattgebügelter PR-Auftritt, bei dem eine perfekt einstudierte, seelenlose Produkt-Präsentation mit wohlklingenden, aber nichtssagenden Worthülsen garniert wird. Das sind zwei Menschen, die ihr gesamtes Zeit- und Geld-Budget in eine Idee investiert haben, an die sie fest glauben. Gerade deshalb ist mir dieser Termin so sympathisch und so wichtig. Erwartungsvoll setze ich die Brille auf.
Das erste Problem taucht auf: es zwickt. Die eigene, traditionelle Sehhilfe hat in der Fassung der VR-Brille nicht wirklich Platz. Später werden die Menschen hinter Oculus dieses Problem durch einen zusätzlich aufsteckbaren Rahmen lösen. Im August 2012 muss ich allerdings mit dem Druck leben. Also mit dem Druck von der Brille. Nachdem Luckley und Mitchell sicherstellen, dass ich die gesamte Technik nicht durch eine verhängnisvolle Verhedderung mit dem Kabelchaos vom Tisch reiße, kann es endlich losgehen.
Feuerbälle & Übelkeit
Was mich spontan am meisten beeindruckt, ist das geringe Gewicht des Headsets. Hatte ich vorher leichte Bedenken, die restlichen gamescom-Termine mit einem verspannten Nacken erledigen zu müssen, bin ich nach wenigen Sekunden ob der Leichtigkeit des VR-Seins restlos begeistert.
Die Doom 3 BFG Edition-Demo wird gegeben. Basis für diese Demo legt damit die Mutter aller Ego-Shooter. Passt ja auch irgendwie. Ich weiche mit Kopfbewegungen den berühmt-berüchtigten Feuerbällen ekelhafter Kreaturen aus und neige am Ende des virtuellen Korridors behutsam den Kopf, um um die Ecke zu schauen und die Lage zu checken.
Nach wenigen Minuten in der virtuellen Welt merke ich, wie aufsteigende Übelkeit das VR-Erlebnis trübt. Ich wundere mich. Seit 1982 spiele ich regelmäßig und nicht gerade selten an verschiedenartigsten Monitoren und Bildschirmen. Ego-Shooter gehören dabei sowohl in meinem Job als auch in meiner Freizeit zu einem gern gespielten Genre. Nie zuvor hatte ich Probleme mit Motion-Sickness.
Jetzt hat es mich voll erwischt. Nach dem Ende der Demo bleibe ich vorsichtshalber ein paar Minuten sitzen, um meinen Kopf wieder an die echte Realität zu gewöhnen. Das Problem der Motion-Sickness werden die Entwickler im Lauf der folgenden Jahre durch einige technische Kniffe eindämmen.
Erwartungen & Erfolge
Nachdem ich wieder halbwegs sicher stehen kann, frage ich die beiden nach dem Veröffentlichungsdatum. Luckey teilt mir mit, dass man im Dezember 2012 mit der Auslieferung der Developer-Kits beginnen und im Frühjahr 2013 mit dem Verkauf starten wolle. Gut, mittlerweise ist das aktuelle Datum auf das 1. Quartal 2016 gerutscht.
Derartige Verzögerung sind im Tech-Segment keine Seltenheit. Es gibt bei der Entwicklung, Produktion und Vermarktung einer neuen Technologie einfach viele Hürden und Baustellen, die keiner der Macher vorher auf der Uhr hatte.
Neben der Technik selbst erregte Oculus VR durch eine weitere Besonderheit schnell Aufmerksamkeit innerhalb der Tech-Fangemeinde: die Art der Finanzierung. Im August 2012 präsentierte sich Oculus VR auf Kickstarter, einer 2009 gegründeten und vor dem Jahr 2012 nur Insidern bekannten Plattform, bei der Unternehmen eine möglichst hohe Anzahl Fans suchen, die sie via Crowdfunding finanziell unterstützen.
Für die weitere Entwicklung der Hardware benötigte das Oculus-Team 250.000 US-Dollar. Die Summe wurde innerhalb der ersten 4 Stunden erreicht, mit fast 2,5 Mio. US-Dollar von knapp 10.000 Unterstützern ist Oculus bis heute eines der erfolgreichsten Technologie-Projekte auf Kickstarter. Es war die perfekte Kombination aus dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit auf der richtigen Plattform.
Hype & Haie
Jetzt kannte der Hype um Oculus kein Halten mehr. Und was ist der beste Gradmesser für einen Technologie-Hype? Richtig, das Interesse der ganz großen Haie im Becken. Sobald ein Tech-Unternehmen sehr schnell sehr steil durch die Decke geht, checken Google, Facebook und Amazon, wie viel Geld gerade so für Zukäufe in der Portokasse vorhanden ist.
Vor allem Facebook ist bekannt dafür, nicht auf den Cent zu schauen, wenn es darum geht, Zukunftstechnologien vor dem Mitbewerber an sich zu binden. Da wird dann auch mal ein Start-up ohne Ertragsmodell (Instagram) für knapp 1 Milliarde US-Dollar vom Markt gefischt. Der Erwerb von WhatsApp für 19 Milliarden US-Dollar sorgte ebenfalls für Aufsehen.
Da bei Facebook im Jahr 2014 die Spendierhosen offenbar besonders große Taschen hatten, haben sich Herr Zuckerberg und Kollegen im März des selben Jahres auch Oculus VR geschnappt. Für schlappe 2 Milliarden US-Dollar. Jetzt fragt sich eventuell der ein oder andere Leser, warum ein Unternehmen aus dem Bereich Social Media eine Hardware erwirbt, die doch eigentlich den Games-Bereich revolutionieren will?
Zum einen wird Oculus den größten Einfluß außerhalb der Games-Branche haben. Wieso, weshalb, warum? Das werde ich in einem späteren Teil dieser Serie beleuchten. Zum anderen werden sich Gamer in den kommenden Jahren weiter von den klassischen Plattformen (Xbox, PlayStation etc.) weg bewegen. So wie mobile Geräte immer wichtiger bei Spielern werden, nehmen auch soziale Netzwerke beim Gaming zukünftig weiter an Bedeutung zu.
Die wahren VR-Pioniere
Als jemand, der Games seit 1982 zu einem festen Bestandteil seines Lebens zählt, möchte ich hier nochmal auf die VR-Anfänge im Spiele-Bereich eingehen. Oculus VR ist nicht das erste Unternehmen, dass Spielern durch eine virtuelle Realität ein besonderes Erlebnis bescheren möchte.
Bereits 1995 brachte Nintendo den Virtual Boy in Japan und den USA auf den Markt. Ein Parade-Beispiel dafür, dass Nintendo seiner Zeit in Sachen technische Innovationen einmal mehr weit voraus war. Beim Blick durch das Tauchermasken-ähnliche Gerät wurde in der Wahrnehmung des Spielers ein real wirkender 3D-Effekt erzeugt. Die Verkaufszahlen in Japan blieben hinter den Erwartungen zurück, auch in den USA floppte die Hardware.
Einer der Gründe waren auftretende Kopfschmerzen bei Nutzern. Dies musste als „Nebenwirkung“ auf der Verpackung vermerkt werden. Sozusagen der Vorläufer der Motion-Sickness. Damals war die Technik noch nicht so weit, dass man diese Beschwerden durch das Aufmotzen der Bildwiederholungsrate lindern konnte. Bereits 1994 stellte Atari auf Fachmessen ein VR-System für die Heimkonsole Atari Jaguar vor.
Der Helm mit integriertem Bildschirm schaffte aber nie den Schritt zur Marktreife. Ein weiteres trauriges Hardware-Kapitel der einst so prunkvollen Hardware-Marke Atari. Beide Projekte machen deutlich, dass VR schon seit den 90er-Jahren ein Feld ist, auf dem sich Entwickler aus dem Games-Umfeld versuchen.
Allerdings scheint erst jetzt der Zeitpunkt gekommen, in der die VR-Technik kostengünstig und benutzerfreundlich genug und somit tauglich für den Massenmarkt ist.