Einen Wirtschafts-Text aus dem Spiegel, eine Sport-Geschichte aus der Zeit und ein Politiker-Interview aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wer diese drei Stücke lesen möchte, muss drei Zeitungen kaufen. Die Online-Kioske Blendle und Pocketstory wollen das ändern – und Journalismus passgenau verkaufen. // von Tobias Gillen
Machen wir ein Experiment: Während des Bestellvorgangs bis hin zur ersten, gelesenen Ausgabe eines E-Papers, darfst du nichts trinken. Ich wette: Du wirst es vor Dehydration nicht mehr schaffen, mir deinen Erfolg unten in die Kommentare zu posten. Über das Problem der Nutzerfreundlichkeit von Nachrichtenseiten und Bestellvorgängen im E-Paper-Bereich habe ich vor kurzem schon mal geschrieben, dort mit dem Beispiel eines Tagesspiegel-Abos, das mich und meine Geduld in die Verzweiflung getrieben hat.
Blendle will es mit dem iTunes-Modell versuchen: Warum eine ganze CD kaufen, wenn ich mit einem Klick auch die zwei Lieder kaufen kann, die ich mag? Einmal angemeldet, lädt man sein Guthaben auf und kann dann die Texte, die sich im Rahmen von meist 15 Cent bis zu knapp über einem Euro bewegen, lesen. Der Preis pro Text wird hier individuell bestimmt, Einfluss hat etwa der Preis der ganzen Zeitschrift. Entscheide ich mich nach der Lektüre dazu, doch die ganze Zeitschrift zu lesen, wird der bereits gekaufte Text entsprechend verrechnet.
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300.000 Blendle-Nutzer in den Niederlanden
In den Niederlanden funktioniert Blendle schon ausgezeichnet. 300.000 Nutzer hat man dort überzeugen können, in Relation zur Einwohnerzahl schon beeindruckend. Das liegt vor allem auch daran, dass die Macher um Gründer Marten Blankenstejn fleißig waren, und dieses Modell bei möglichst vielen Zeitungen unterbringen konnten. Wenn es, wie aktuell etwa noch in Deutschland, so ist, dass man die Infos woanders gratis bekommt, ist jedes Argument für eine Bezahlung der Inhalte hinfällig. Wer hier bei der Bild auf die Paywall stößt, holt sich seine Portion Boulevard eben bei Focus Online.
Der Blick auf die nackten Zahlen zeigt aber: Es ist Zeit für ein anständiges Geschäftsmodell im Journalismus. Und wenn die Verlage es selbst nicht auf die Reihe bekommen, muss wohl das Start-up her, das auch hierzulande schon viele Verlage überzeugt hat und im September starten möchte. Bei Blendle findet sich aktuell schon alles von Frankfurter Allgemeine über Spiegel, Stern und Süddeutsche bis Welt, Zeit oder Tagesspiegel. Für Blankenstejn war das nicht so einfach, wie er im NDR-Interview gesagt hat: „Es gibt in Deutschland keine Blendle-Abteilung, die uns kennt.“
Von 351 Publikationen in Deutschland haben 70 Prozent aktuell kein Bezahlmodell für Inhalte im Netz, so Zahlen des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger. Der Rest experimentiert schon, meist mit Freemium (17 Prozent) oder einem Metered Modell (11 Prozent). Dabei hinkt der Vergleich eigentlich, weil Blendle nur E-Paper-Ausgaben von gedruckten Zeitungen in sein Angebot aufnimmt. Aus Blendle-Kreisen heißt es auf BASIC thinking-Nachfrage zwar, dass sich das nach dem ersten Rummel um den Start in Deutschland auch ändern könnte. Weiter ist hier aber ein anderes Start-up aus Deutschland.
Pocketstory vs. Blendle: Wer macht das Rennen?
Pocketstory verfolgt im Grunde den gleichen Ansatz wie Blendle, bietet aber zusätzlich noch Texte von Online-Magazinen und Blogs an. BASIC thinking etwa ist auch dabei, mit einem Unterstützermodell. Schließlich sind unsere Texte ja alle frei zugänglich. Wer uns aber unterstützen möchte, könnte sie auch dort kaufen. Dort kosten die Texte klar geregelt ab 39 Cent aufwärts je einen Cent pro 1.000 weitere Zeichen. Die Aufmachung bei Pocketstory ist insgesamt etwas angenehmer, weil man hier vertikal lesen kann, bei Blendle geht nur horizontal – was wider der Gewohnheit im Netz ist.
Der Haken bei Pocketstory, die ebenfalls noch in der Beta-Phase stecken, ist aber, dass hier kaum aktuelle Ausgaben zu finden sind. Zwar sind auch hier schon große Namen wie Spiegel, Zeit, Welt oder Berliner Zeitung dabei. Die bieten aber alle nur je ihr Archiv an. Das läuft dann nicht automatisch ins System, sondern wird aufbereitet und eingefügt. Eine App haben beide Angebote noch nicht für alle Plattformen, versprechen sie aber zeitnah zum Start (Update: Inzwischen gibt es Apps).
Keine Lösung für Online, aber eine für Print
Wichtig ist, bei aller digitaler Euphorie: Weder Blendle noch Pocketstory lösen die Erlösprobleme im Online-Markt. Zwar könnte Pocketstory mit ihrem offenerem Modell dazu beitragen, wenn es denn dann mal groß sein sollte. Aber grundsätzlich richten sich beide Produkte an die Kundschaft, die momentan noch am Kiosk ihre Zeitschriften einsammelt. Es geht hier um die Überführung von Printpublikationen in die digitale Welt, um die Vermarktung von E-Paper-Inhalten und um die Vereinfachung des Kaufvorgangs.
Wie erfolgreich das wird, dürfte also erst noch abzuwarten sein. Und Online muss weiter an Geschäfts- und Bezahlmodellen für die Zukunft arbeiten. Die Probleme werden Blendle und Pocketstory nicht lösen können. Was sie aber erreichen können, ist einmal mehr eine höhere Sensibilisierung dafür, dass journalistische Arbeit viel Geld kostet und die Kostenloskultur längst überholt ist. In Sachen Nutzerfreundlichkeit und Lesevergnügen machen immerhin beide Start-ups die großen Verlagen mit ihren noch größeren Digitalstrategen ziemlich nass. Und das ist am Ende doch ein Gewinn für beide Seiten, oder?
Offenlegung: Der Autor ist Beta-Tester und Kurator bei Blendle und als Geschäftsführer von BASIC thinking für die Kooperation mit Pocketstory verantwortlich. Beides hat keinen Einfluss auf Artikel oder Meinungen des Autors.