Da geht ein 27-jähriger Youtube-Star hin und interviewt die Bundeskanzlerin Angela Merkel. 30 Minuten, ungeschnitten, mit Fragen aus seiner Community. Und nach dem Interview haben viele Journalisten nichts besseres zu tun, als Florian Mundt alias LeFloid für seine Zurückhaltung, die unjournalistische Herangehensweise und den PR-Effekt für Merkel mit einer teils beispiellosen Arroganz zu kritisieren. Zeit für Kritik an der Kritik am LeFloid-Merkel-Interview. // von Tobias Gillen
Was ich mit beispielloser Arroganz meine? Machen wir uns auf zu einer kleinen Presseschau, fangen wir an bei stern.de, wo Sophie Albers Ben Chamo kommentiert: „Oh, was für eine Abreibung! Das muss weh getan haben. Beim Zusehen tat es das jedenfalls. Das Neue hat dem Alten definitiv nicht gezeigt, wie der Hase läuft. Das Alte hat den Hasen einfach geschlachtet, genüsslich gehäutet und entspannt verspeist.“ Und weiter: „Wahrscheinlich spielte sie nebenbei auch noch Simultanschach mit sich selbst.“
Der Deutschlandfunk schreibt: „Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht. Wohl verstanden: Gut gemeint ist immerhin auch etwas. Aber die Zukunft des politischen Journalismus kann das nicht sein.“ Soll ich weiter machen? Neben einiger weniger positiver oder zumindest anerkennender Kritik zieht sich dieser Tonfall durch. LeFloid – der, der nicht die Zukunft des politischen Journalismus eingeleitet hat? What?
Neue Stellenangebote
Mitarbeiter*in (m/w/d) für Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und Städtepartnerschaft (m/w/d) meinestadt.de in Sachsenheim |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH in Delitzsch |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Halloren Schokoladenfabrik AG in Delitzsch |
Dabei schreibt es Ben Chamo doch so schön zum Schluss ihres Kommentars: „Es hatte etwas von einer Bürgerfragestunde.“ Genau. Und nicht mehr sollte es sein. LeFloid hatte in den vergangenen Woche in einem seiner LeNews-Videos unter dem Hashtag #NetzfragtMerkel seine junge Zielgruppe aufgerufen, ihm ihre Fragen mitzuteilen. Aus den meisten Einsendungen hat er offenbar ausgewählt und ist die Fragen losgeworden.
Dass das Ganze nicht sehr journalistisch war, schon gar nicht kritisch: Absolut. Aber wessen Erwartungen war das? Und wer hat diese Erwartung gestreut? Waren es etwa genau diejenigen, die Mundt nun als geschlachteten Hasen betiteln? Von Mundt selbst kam das sicher nicht, er hat sich erstaunlich souverän zurückgehalten in der vergangenen Woche.
Zudem stellt er immer wieder klar: Er sei kein Journalist, sehe sich nicht als solcher und wolle nicht so bezeichnet werden. Erst Ende April hat er sich im SPIEGEL-Interview dazu geäußert:
SPIEGEL: Sehen Sie sich eigentlich als Journalist?
Mundt: Nein, ich bin Videoblogger und Kommentator.
SPIEGEL: Sie wählen Nachrichten aus und ordnen sie ein. Das ist journalistische Arbeit.
Mundt: Wenn man es darauf herunterbricht, könnte man mich vielleicht Journalist nennen. Ich scheue mich nur davor, weil ich in diesem Beruf keinen Abschluss erzielt habe.
SPIEGEL: Wir haben eher den Eindruck, Sie meiden die Bezeichnung Journalist grundsätzlich.
Mundt: Ich fand es jedenfalls ganz schlimm, als vor einem Jahr jemand geschrieben hat, ich sei der „Anchorman von YouTube“. Ich bin nicht Claus Kleber für Jugendliche. Ich mag das nicht, dieses: „Vor Lampedusa sind 2000 Leute ertrunken, kommen wir zum Sport.“ Ich will die Leute auffordern, mitzumachen, mitzudenken.
Mundt will mit seinen flippigen Videos provozieren, er will Diskussionen haben, dass sich die Zuschauer, viele von ihnen sind zwischen 16 und 24 Jahren jung, mit seinem Thema beschäftigen. Wer seine Formate schaut – und zwar wirklich interessiert und nicht mit der sich im Journalismus so eingeschliffenen Arroganz (wollen wir nochmal über das Thema Journalisten vs. Blogger reden?), der wird genau das feststellen. Da ist kein journalistischer Anreiz dahinter, das ist Unterhaltung mit ein bisschen Information.
Wer von diesem Videoblogger nun erwartet, dass er das schafft, was kein Ulrich Deppendorf in der ARD und keine Bettina Schausten im ZDF schaffen, nämlich Angela Merkel eine halbwegs brauchbare Aussage zu entlocken, der sollte dringend über seine Erwartungshaltung nachdenken. Und wenn es im politischen Journalismus schon so weit ist, dass ein 27-jähriger Youtube-Star „die Zukunft“ eben dessen einleiten soll, dann ist das eher ein Armutszeugnis für die Berliner Kollegen – und nicht für Mundt.
Aber ja, Kritik muss sein, sehe ich ganz genau so. Nur muss man das Interview dann auch richtig einordnen. Es war ein Plausch, eine – eigentlich ist der Begriff sehr treffend – Bürgerfragestunde, nur eben mit einem Youtuber, der am Freitag stellvertretend für die Jugend ins Bundeskanzleramt gefahren ist. Dass Merkel keine Schwierigkeiten haben würde, Mundt zu parieren, ist nun wirklich keine Überraschung.
Mehr Respektlosigkeit und mehr LeFloid-Schnauze wäre zwar ganz nett gewesen, dann wäre es ein bisschen kritischer geworden. Aber hier halte ich es mit Gabor Steingart, der ganz richtig schrieb: „Keiner seiner Kritiker hat in so jungen Jahren einem Bundeskanzler auch nur die Hand geschüttelt.“ Wie wären die Kritiker mit 27 und ohne journalistische Erfahrung der mächtigsten Politikerin Europas entgegen getreten? Ich sage ganz offen: Ich hätte es genau so gemacht, vielleicht noch etwas nervöser. Und diese Ehrlichkeit würde vielen Kollegen ganz gut stehen. Aber Draufhauen ist eben so schön einfach.
Streng genommen müsste man die Kritik auf einen einzigen Punkt bündeln: Die Zusage zum Interview. Mundt wusste, das unterstelle ich ihm einfach mal, wofür er eingeladen wurde. Hier ging es darum, einen auf Obama zu machen und die junge Zielgruppe zu erreichen, die eben nicht Tagesschau gucken oder SPIEGEL lesen. Das Ding war geplant als PR, es wurde PR und Mundt hat sich und seine Reichweite instrumentalisieren lassen. Wenn ihm das nicht passen würde, hätte er das Interview niemals führen dürfen. Ganz nebenbei: Das mit dem Auf-Obama-Machen funktioniert bei Merkel einfach nicht, dafür fehlt ihr die Klasse, das merkte man auch gestern wieder.
Wen ich mir an seiner Stelle viel lieber gewünscht hätte: Tilo Jung mit seinem Format Jung & naiv. Er hätte, dafür ist er unverschämt und rotzfrech genug, Merkel die Stirn geboten. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und Tilo Jung hat eben den journalistischen Anspruch, an dem man ihn hätte messen können.
Mundt hat den nicht. Und deswegen ist er auch kein geschlachteter Hase. Er verdient Anerkennung, für das, was er erreicht hat – keine herablassende Schelte von Menschen, die es selbst nicht besser können. Oder haben Sie schon mal etwas Informatives aus einem Sommerinterview von ARD und ZDF mitgenommen? Eben.
Meinen Respekt hat er. Immerhin.