Setze dir das Ziel „ten x“, arbeite nach dem Credo „think fucking big“ und agiere extrem: So tickt das Silicon Valley. Das meint man nicht nur, sondern es scheint wirklich so zu sein. Das bestätigte uns im Interview der deutsche Start-up-Gründer Christopher Prätsch, der die Gelegenheit hatte, bei Google, Indiegogo und anderen Tech-Firmen reinzuschnuppern. Seine Erkenntnisse sind erfrischend, aber stellenweise auch ziemlich ernüchternd. // von Jürgen Kroder
Obwohl er erst 28 Jahre jung ist, hat der Mainzer schon zwei Start-ups mitgegründet. Mit einem davon, HiRus – Helden im Ruhestand, gewann er letztes Jahr zusammen mit seinem Team den deutschen Wettbewerb „Gründer Garage“ (nun als „Gründen-Live“ bekannt). Als Preis gab es 20.000 Euro und eine 5-tägige Reise ins Silicon Valley, wo die jungen Entrepreneure namhafte Firmen besuchen und an Start-up-Events teilnahmen. Der kurze Trip hat Christopher eine ganz neue Sicht auf das Gründen und frische Inspirationen, aber ebenso einen leicht negativen Blick auf die Gründungskultur in seinem Heimatland gegeben. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.
Selbsterfüllung durch den eigenen, individuellen Lebensstil
Silicon Valley. Bei diesem Namen bekommen Technik-Interessierte und Gründer große Augen. Ist der Nimbus gerecht? Ist das Silicon Valley wirklich etwas Besonderes?
Neue Stellenangebote
Mitarbeiter*in (m/w/d) für Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und Städtepartnerschaft (m/w/d) meinestadt.de in Sachsenheim |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH in Delitzsch |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Halloren Schokoladenfabrik AG in Delitzsch |
Meine Eindrücke basieren auf einem einwöchigen Besuch, von daher kann ich das sicher nicht so gut beantworten wie jemand, der dort eine Weile gearbeitet hat. Aber nach Besuchen bei Google, bei Start-ups, bei Accelerators und den Top-Universitäten Stanford und Berkeley kann ich für mich persönlich sagen: Ja.
Allerdings ist das nicht auf das teilweise sehr industrielle und nüchterne Silicon Valley beschränkt, sondern vor allem im Zusammenspiel mit San Francisco und dem Rest von Kalifornien.
Apple, Google, Facebook – die Liste der im Valley gegründeten Firmen ist lang. Viele behaupten, diesen Spirit könne man an allen Ecken spüren und förmlich aufsaugen. Stimmt das?
Ja, das stimmt.
Woran machst du das fest?
Der Spirit kommt zustande durch die Menschen. Die Mentalität, die einem in den Gesprächen begegnet, ist: Alles ist möglich, alles ist änderbar! “Whatever the mind of a man can conceive and believe, it can achieve”, würde Napolean Hill sagen. Ich denke, genau das ist ein selbstverstärkender Effekt. Dadurch, dass es genügend erfolgreiche Beispiele gibt, hat sich der Glaube daran durch die Teslas, Googles, Ubers fest eingebrannt. Und das zieht genau diese Art von Menschen an, die den selben Glauben haben. Das noch flankiert durch Institutionen und Kapital macht die Bay Area einfach sehr potent.
Wie ist denn die Stimmung und Atmosphäre im Valley? Gestresst, weil jeder ganz vorne mit schwimmen will oder eher gelassen, wie man es den Kaliforniern gerne nachsagt?
Auf mich wirkte die Atmosphäre verhältnismäßig entspannt. Ich glaube, die meisten Menschen sind dort recht selbstbewusst, was ihre eigenen Fähigkeiten angeht und arbeiten ergebnisorientiert. Denn neben der Arbeit scheint es wichtig zu sein, ein ausgeglichenes Leben zu führen. Das heißt, noch genügend Zeit zu haben für Soziales, Kulturelles, seine Gesundheit, evtentuell Spirituelles. Sozusagen ein holistischerer Denkansatz, bei dem versucht wird, Selbsterfüllung durch den eigenen, individuellen Lebensstil zu erlangen.
In eurem Blog steht der Satz „Warum die Amerikaner so innovativ sind? Das erscheint uns nur logisch nach diesem Tag.“ Warum? Kann man das „die Amerikaner“ überhaupt so verallgemeinern?
Ja und nein. Was man den Amerikanern allgemein nachsagen kann, ist deren Optimismus und das Denken im Großen. Aber natürlich unterscheidet sich ein typischer Kalifornier von dem eher ruhigeren und bescheideneren Minnesotaner.
Und warum erschien es dir logisch, dass Amerikaner so innovativ sind?
Man muss nur eine Trainingseinheit beim Google Onboarding mitmachen oder sich das Hasso Plattner Institute of Design in Stanford anschauen, und man merkt direkt, wie einem Innovation und Kreativität eingetrichtert werden. Kombiniere das mit dem “Think Big” und du hast ein Start-up wie Airbnb oder ein Projekt wie Googles Driverless Car. So etwas habe ich in keinem Volkswagen oder einer deutschen Uni gesehen!
Glaubst du, die gerade genannten Eigenschaften ließen sich auf Deutschland übertragen?
Hier habe ich eine recht klare Meinung: Nein.
Das ist hart. Wie kommst du zu dieser Meinung?
Wir Deutschen sind sehr genau, sicherheitsorientiert und moderat. Wir sind keine Nation der Extreme. Das Extreme ist im Nachkriegsdeutschland nicht mehr Teil der Mentalität, aber es ist immer noch Teil der amerikanischen Mentalität. Das führt zu viel vermeintlichem Mist wie McDonald’s, Subprime oder einem Irak-Krieg. Aber genauso schlägt das Pendel eben auch in die andere Richtung aus, was nachhaltige Foodtrends, neue Finanzierungsformen wie Crowdfunding oder plötzlich Massenmarkt-taugliche Elektroautos hervorbringt. Letzteres beispielsweise in einer etablierten Industrie, wo das Know-How wohl eher in Deutschland zu vermuten gewesen wäre.
Was macht man aus deiner Sicht hierzulande falsch?
Wir Deutschen sind gut darin, Dinge weiterzuentwickeln und zu perfektionieren. Aber weniger gut darin, Dinge ganz neu zu denken. Deshalb sind wir ein Land des Mittelstands. Deshalb ist SAP der einzige DAX-Konzern der jüngeren Geschichte. Und deshalb werden die bahnbrechenden Start-ups auch weiterhin aus Kalifornien kommen. Und den anderen Teilen der Welt.
Das Credo: Sei zehn Mal so ambitioniert
Google ist mittlerweile ein Mega-Konzern, trotzdem erscheint die Company nach Außen hin eher wie ein Start-up. Teilst du diese Meinung? Wirkt Google im Inneren wirklich noch wie ein Start-up oder ist das nur eine PR-Hülse?
Bei Google hatte ich die Gelegenheit mit einigen verschiedenen Leute zu sprechen. Klar ist, für einen Großkonzern ist Google extrem jung und offen. Die Gründer Larry and Sergey zeigen sich nach Möglichkeit immer noch wöchentlich in der Kantine und stehen allen Mitarbeitern weltweit im Rahmen der Townhalls Rede und Antwort. Auch bezüglich strategischer Fragen.
Aber losgelöst davon hängt die Frage, wie sehr “Start-up” Google für einen ist, noch davon ab, welchen Job man hat. Und ob man der Typ ist, der seine Chancen zu nutzen weiß. Bist du Programmierer oder bei Google Ventures und nutzt dazu noch deine 20 Prozent Projektzeit [die Google den Mitarbeitern für die Entwicklung eigener Ideen gibt / Anmerkung der Redaktion], hast du wirklich viel Raum, um eigene Ideen voranzutreiben. Bist du aber im Bereich HR oder im Accounting und auf das Daily Doing fokussiert, scheint mir Google ähnlich zu sein wie andere Großkonzerne. Nur mit Gratis-Essen, übertrieben gesagt.
Bei Google gibt es unter anderem das Leitziel von „ten x“. Bitte erkläre uns, welche Philosophie hier dahinter steckt?
Ganz einfach: “ten x” steht dafür, dass du bei der Problembetrachtung ein Ziel formulierst, was zehn Mal so ambitioniert ist als du es zunächst für möglich hältst. Zum Beispiel: Kannst du mit einem Motor pro Liter 20 Kilometer weit fahren, ist das Ziel nicht 22 Kilometer weit fahren zu können, also nicht “the next 10%”, sondern 200 Kilometer weit zu kommen. Warum das? Weil nur dieses Überambitionierte dazu führt, dass man bei der Lösungsentwicklung ganz neu denkt. Das ist womöglich das, was uns Deutschen fehlt. Wenn man die Energiewende mal außen vor lässt.
Welche Learnings konntest du aus deinem kurzen Besuch bei Google noch für dich mitnehmen?
Ich glaube im Wesentlichen, dass man nicht müde werden darf, Begeisterung zu verbreiten, das kreative Denken zu fördern und den Mitarbeitern Spielräume zu geben. All zu leicht verliert man sich in Routinen und versucht nur noch das, was man immer macht, nur noch schneller zu schaffen. Aber das, was Firmen und ganze Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung brauchen, sind neue Ideen. Dafür braucht man weniger “Management” und mehr “Leadership”. Das heißt, das Führen durch Inspiration und gemeinsamer Vision, anstelle von genauen Vorgaben und Einschränkungen.
Was könnten beispielsweise deutsche Firmen und Gründer von Google lernen?
Warum zum Beispiel sperrt man Internetseiten für Mitarbeiter, lässt Sie in der Kantine für ihr Essen selbst bezahlen und stellt in den Gängen nur billigen Instantkaffee zur Verfügung? Bei Google heißt es dagegen: Kostenloses Mittagessen und Snack-Stationen erhöhen den Wohlfühlfaktor und den Austausch der Mitarbeiter untereinander. Das stärkt den Zusammenhalt und die Entwicklung neuer Ideen.
Wenn man Storys über die Gründer des Valleys liest, werden diese meist mit Mut-machenden Weisheiten geschmückt. Welche haben sich bei dir am tiefsten eingeprägt, die du nun auch in deiner Arbeit umsetzen willst?
Auch wenn es ausgeleiert klingt: „think fucking big“. Umgib dich mit Menschen, die es dir genauso tun. Habe keine Angst davor, Fehler zu machen. Und fang im Zweifelsfall einfach nochmal von vorne an.
„Langfristig möchte ich nicht primär die Wirtschaft, sondern die Gesellschaft verändern.“
Hast du auch Dinge außerhalb des Business‘ für dich aus dem Valley mitnehmen können?
Ja, das Meditieren. Damit hatte ich bereits davor angefangen. Die “Beherrschung des Geistes” ist eine Herausforderung, die sich auf alle anderen Lebensbereiche positiv auswirkt. Das geht über pure Disziplin hinaus und ermöglicht einen Sprung in der Leistungsfähigkeit. Das weiß man auch im Valley und viele versuchen, sich gerade diesbezüglich zu entwickeln. Das hilft dann beim Umgang mit Druck und selbst gemachtem Stress – vermutlich dem Nummer-1-Problem bei sehr vielen Menschen, egal ob Gründer oder nicht.
Ihr habt auch ein Impact Hub besucht. Was unterscheidet den von deutschen Gründerzentren, wie es sie beispielsweise in deiner Heimatstadt Mainz gibt?
Wenn wir Mainz als Beispiel nehmen, dann so ziemlich alles: Gebäude, Ausstattung, Menschen, Ideen, Umfeld. Wenn man sich aber die Social Impact Labs oder Impact Hubs in deutschen Großstädten ansieht, und jetzt reden wir gerade nur von der Social Business Seite, gar nicht mal so viel. Was natürlich auch daran liegt, dass Gründerzentren, Accelerators und Hubs in Großstädten häufig starke Partner und Finanzierungen haben. Das Impact Hub beispielsweise ist weltweit aktiv.
Du bist ja aktuell in zwei Start-Ups tätig (one47 und HiRus – Helden im Ruhestand), die du von der Pieke auf mit aufgebaut hast. Was würdest du bei diesen rückwirkend betrachtet mit deinen Erkenntnissen aus dem Silicon anders oder besser machen?
Hm, solche Gedankenspiele liegen mir fern. Ich halte mich nicht mit Dingen auf, die ich nicht ändern kann. Klar, ich arbeite aufgrund von Erfahrungen und Erkenntnissen heute anders als noch am Anfang. Aber ich möchte dieses Learning-by-Doing nicht missen. Denn nur durch Ausprobieren finde ich heraus, was wirklich für mich und meine Ziele funktioniert. Da gibt es nicht den einen Weg oder Ratschlag, der alles ändern würde.
Es heißt ja so schön: „Aller guten Dinge sind drei“. Juckt es dir in den Fingern, noch ein Start-up zu gründen oder gar Serien-Entrepreneur zu werden?
Die beiden Start-ups sind derzeit erst unterschiedlich weit entwickelte und vorbereitete Ideen. Das wirklich Entscheidende steht erst noch bevor: Die eigentliche Exekution der Ideen und die nachhaltige Etablierung des Marktes. Für mich persönlich ist es noch kein Erfolg, solange das nicht geschafft ist. Oder dass ich zumindest mit Pauken und Trompeten scheitere. Was dann in fünf oder zehn Jahren ist, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin mir sicher, das wird sich entlang des Weges ergeben.
Nach all den faszinierenden Einblicken ins Valley – möchtest du am liebsten wieder deine Koffer packen und dorthin ziehen? Oder bleibst du lieber in deinem beschaulichen Rhein-Main-Gebiet?
Ich glaube, die Frage stellt sich ein jeder, wenn er dort ist. Ich denke, wer technikaffin ist und sich von der amerikanischen Denkweise fasziniert fühlt, der ist in Kalifornien genau richtig. Für mich dagegen war immer klar: Langfristig möchte ich nicht primär die Wirtschaft, sondern die Gesellschaft verändern. Nach ein paar Jahren im Ausland weiß ich: Das kann ich am besten in jener Gesellschaft, in der ich das größte kulturelle Verständnis habe. Das heißt, meine persönliche Lieblingsherausforderung wird es sein, hier in Deutschland etwas zu verändern. Und das nicht als Nebenprodukt eines weltweiten Start-ups – sondern begründet hier, mit Menschen von hier.
Christopher, vielen Dank für das Interview.
Bilder: HiRus / Christopher Prätsch