Im Netz bekommt man den besten Preis und im Laden um die Ecke pampige Antworten. Amazon liefert am nächsten Tag, im stationären Handel wartet man mehrere Tage bis Wochen. Online ist man mit einem Klick beim Ergebnis, in der Innenstadt läuft man sich die Füße wund. Warum soll man für einen Einkauf eigentlich noch die eigenen vier Wände verlassen? Eine berechtigte Frage.
Reales Shopping ist toll…
Ich gebe es zu: Obwohl ich ein Web-Bewohner bin, der Internet, Smartphones und Tablets liebt und fast rund um die Uhr nutzt, so bin ich in manchen Dingen noch ziemlich „oldschool“. Ich fahre zum Beispiel noch in die Stadt zum Shoppen und gehe in den Supermarkt. Ja, ich kaufe sogar hin und wieder elektronische Geräte beim „Ich bin doch nicht blöd“-Markt um die Ecke.
Warum? Einerseits, weil ich damit aufgewachsen bin und an der Tradition festhalte. Andererseits, weil in mir noch ein bisschen das Jäger-und-Sammler-Gen steckt, das mich dazu ermuntert, meine Beute mit der Hand zu „erlegen“. Ich bin eben ein moderner Neanderthaler.
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Außerdem finde ich es schön, von Menschen beraten und bedient zu werden. Dafür zahle ich auch gerne ein paar Euro mehr. Soziale Verantwortung statt Schnäppchen, lautet die Devise. Eigentlich.
…und nervt zugleich
Doch in den letzten Monaten macht es mir der stationäre Handel zunehmend schwerer, dass ich gerne zu ihm aufbreche. Immer öfter denke ich: Warum habe ich eigentlich meine vier Wände verlassen? Mit wenigen Klicks hätte ich Zeit, Geld und Nerven gespart. Mein Frustpegel steigt stellenweise so weit an, dass ich vielen Läden vor Ort den schnellen Tod wünsche.
Warum? Ich möchte drei persönliche Erlebnisse schildern, die beispielhaft für die typischen Probleme stehen.
Fail #1: Beratung – was ist denn das?
Ein neuer E-Book-Reader musste her, also stand ein Tolino Shine auf meiner Einkaufsliste. Ich hatte zwar schon alles Wichtige dazu im Internet gelesen, trotzdem wollte ich im örtlichen Buchladen noch zwei, drei Dinge abklären. Also ging ich dort schnurstracks auf die Tolino-Ecke zu – und wartete. Und wartete. Und wartete. Nichts geschah. Als ich proaktiv eine Verkäuferin ansprach, welche die ganze Zeit gelangweilt in der Gegend rumschaute, aber keine Anstalten machte, mich zu bedienen, kam die lapidare Antwort, sie wisse nicht Bescheid.
Bevor ich noch mehr Zeit vertrödelte, griff ich zu, startete Zuhause das Gerät – und war enttäuscht: der Onlineshop funktionierte nicht. Laut einer Recherche sei das ein seltener Fehler, das Gerät damit defekt. Also: Zurück in den Laden, um ihn auszutauschen. Eine neue Kollegin, aber genauso gelangweilt, nahm das Gerät wortlos entgegen. Keine Frage, warum ich den E-Book-Reader zurückgebe oder wie man mir irgendwie helfen könne.
„Hallo, hier steht ein genervter Kunde vor dir, der Geld ausgibt – kommuniziere mit mir!“, dachte ich mir und sah sie mit bösen Blicken an. Keine Reaktion. Ich beschloss, das Gerät im Laden zu lassen. Auf dem Weg nach Hause bestellte ich mir übers Handy einen Kindle. Der kam am nächsten Tag an, war sofort einsatzbereit und läuft bis heute ohne Probleme.
Fail #2: Lange Wartezeit und ein angeblich nicht existentes Produkt
Kürzlich suchte ich in einem Babymarkt einen Sonnenschirm für einen Kinderwagen. Ich wurde fündig. Aber leider nicht in der Farbe, die ich mir wünschte. Also versprach mir die Verkäuferin, sie werde das passende Modell bestellen. Der große Haken an der Sache: Die Lieferzeit betrug drei Wochen. Und ich hätte den Sonnenschirm in einer 15 Kilometer entfernten Niederlassung abholen sollen.
Zusätzlich bekam ich einen Tag später den Anruf, man habe festgestellt, den Sonnenschirm würde es gar nicht in meiner gewünschten Farbe geben. Auftrag storniert.
Ein Blick in die Amazon-App verriet mir aber eine ganz andere Wahrheit: Den Sonnenschirm gibt es in genau „meiner“ Farbvariante. Dank Prime war er am nächsten Tag da – und das auch noch zehn Euro günstiger.
Fail #3: Ein Produkt, vier Preise
Wer einen Laden betritt, geht davon aus, dass ein Produkt das kostet, wie es ausgeschildert ist. Nicht so bei Media Markt. Wie hier schon berichtet, erlebte ich, dass eine SD-Speicherkarte zu vier verschiedene Preise angeboten wurde. Zur gleichen Zeit. Und das mit einer Preisdifferenz von über 50 Prozent.
Was mich ebenfalls immer wieder nervt: Niederlassungen der gleichen Kette, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind, weisen ebenfalls große Preisdifferenzen für die identischen Produkte auf. Das fällt nicht nur mir auf, sondern auch anderen Kunden – wie kürzlich die SWR-Sendung „Marktcheck“ zeigte.
Einzelfälle, die aber jeder kennt
Meine hier genannten Beispiele sind persönliche Erlebnisse. Nicht die Regel, aber auch keine Einzelfälle. Ich bin mir sicher, ähnliche Vorfälle hat jeder von uns schon mehrfach erlebt. Gar keine oder schlechte Beratung, lange Lieferzeiten, Preisverwirrungen – man könnte mit derlei Geschichten sicherlich ganze Bücherwände füllen.
„Dumm gelaufen, das passiert halt mal“, möge man lapidar sagen. Das könnte man. Aber ich verliere zunehmend die Lust daran, den stationären Handel in den Schutz zu nehmen.
E-Commerce boomt
Wir leben im 21. Jahrhundert, seit rund 20 Jahren wächst der E-Commerce rasant. Amazon, Zalando, Otto & Co. sind keine Randerscheinungen mehr, sondern eine Marktmacht. Und ihre Bedeutung nimmt kontinuierlich zu: Während 1999 in Deutschland nur 1,25 Milliarden Euro online umgesetzt wurden, waren es 2014 fast 40 Milliarden.
Oder anders ausgedrückt: Letztes Jahr hat der Online-Handel pro Tag über 100 Millionen Euro Umsatz generiert. Alleine in der Bundesrepublik. Dazu Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE: „Der Online-Handel ist der Wachstumstreiber Nummer eins für den deutschen Einzelhandel“.
E-Commerce boomt, die Umsätze kennen scheinbar nur eine Richtung: nach oben. Beispielsweise legte Zalando 2015 mit 635 Millionen Euro Umsatz das beste Quartal seiner Geschichte hin.
Auch mit Computern lässt sich verdienen
Die Deutschen scheinen einen gewaltige Lust nach Mode-Shopping im Internet zu verspüren. Dementsprechend sieht es auch bei den Mitbewerbern ganz gut aus. So hat Collins, ein noch junger Mitbewerber, ebenfalls positive Zahlen verkündet: Nach nur einem Jahr am Markt hat die Otto-Tochter einen zweistelligen Millionenumsatz generiert und verzeichnet laut eigenen Aussagen eine halbe Million aktiver Kunden.
Nicht nur mit Mode kann man im Internet gutes Geld verdienen. Auch mit Computern, wie es Cyberport.de und Notebooksbilliger.de zeigen, die bereits zu den größten Online-Shops in Deutschland gehören.
Windeln und Dildos aus dem Netz
Auch mit kurios klingenden Dingen kann man heutzutage per E-Commerce stattliche Umsätze generieren. So macht der noch recht junge Onlineshop Windeln.de einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro, was ihm eine weitere Finanzierungsrunde mit frischem Geld brachte. Und ProSiebenSat.1 sicherte sich kürzlich einen Großteil des Erotik-Start-Ups Amorelie.
Ach ja – auch bei Amazon läuft es. Obwohl der Primus aufgrund der zahlreichen Investitionen keine Gewinne macht, konnten trotzdem die Erwartungen der Analysten übertroffen werden: 22,7 Milliarden US-Dollar setzte Amazon im ersten Quartal 2015 weltweit um.
Bessere Internetanbindung = mehr Onlineshopping
Es ist also viel Bewegung und Musik im Markt. Kein Wunder: Onlineshopping ist beliebter denn je. Über 70 Prozent der Deutschen haben in den letzten 12 Monaten im Netz eingekauft.
Wie kommt’s?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich, dass mittlerweile 99,9 Prozent aller deutschen Haushalte über einen Internet-Anschluss von mindestens 1 Mbit verfügen. Dazu kommt der immer noch anhaltende Boom von Smartphones und Tablets. Der Weg ins Internet ist heutzutage einfacher denn je, man ist quasi überall und stetig „drin“.
Zum anderen werden die Onlineshops massiv und teilweise penetrant (ich sage nur „Aaaaah – Schrei vor Glück“) beworben. Das weckt das Interesse.
Shopping-Innovationen kommen aus dem Web
Außerdem versuchen die Webshop-Betreiber mit innovativen und kundenfreundlichen Features ihre Kundschaft zufrieden zu stellen: Online-Beratungen, Produktvideos, Kundenrezensionen, ein legeres Rückgabemodell, satte Rabatte und Preisaktionen oder Lieferungen am nächsten Tag sind mittlerweile Usus.
Nicht nur das. Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung, sagt: „Es gibt die drei klassischen Vorteile des Handels [Sehen, Fühlen, Anfassen – Anmerkung der Redaktion] und in allen hat der Onlinehandel aufgeholt“.
Innovationen und neue Wege müssen her
Aktuell arbeiten die Betreiber mit Hochdruck an der „Same Day Delivery“, zum Beispiel mit Fahrradkurieren in Großstädten. Oder die Auslieferung per Dronen. Eine Anlieferung in den eigenen Kofferraum wird gerade ebenfalls erprobt.
Weniger Fiktion ist die Lieferung an die Haustür, auch wenn keiner zu Hause ist. Hier sind gerade Start-Ups wie beispielsweise Lock Box oder Locumi am Ball.
Der Onlinehandel hat also seine Schwächen gegenüber dem stationären Handel erkannt und arbeitet mit Hochdruck daran, die Nachteile mit pfiffigen Ansätzen wieder wett zu machen. Und man denkt stetig voraus, anstatt im Hier und Jetzt zu verweilen: Innovationen und neue Wege sollen das Geschäft sichern und auch in Zukunft für Umsatzzuwächse sorgen.
Der Retail will mithalten – aber nicht immer
Wie reagiert darauf der Einzelhandel? Ich habe das Gefühl, viele haben mittlerweile den aussichtslos erscheinenden Kampf aufgegeben und stecken den Kopf in den Sand.
Das gilt natürlich nicht für alle. Gerade große Ketten wollen sich nicht geschlagen geben. Beispielsweise verkündete der Metro Konzerm im Herbst letzten Jahres: “Media Markt muss sich neu erfinden. Die alten Erfolgsrezepte greifen nicht mehr.“ Online- und Offline-Shopping sollen zusammenwachsen, indem man beispielsweise ein Produkt im Web kaufen und dann im örtlichen Markt abholen kann. Das bietet nicht nur Media Markt, sondern beispielsweise auch Obi und Real an.
Locafox: Gelungene Alternative
Funktioniert das? Nun ja – nicht immer. Alleine die Tatsache, dass im Onlineshop und im Laden stellenweise unterschiedliche Preise verlangt werden, stimmen mich mürrisch. Mittlerweile muss man immer und überall die Preise vergleichen – das nervt. Da bleibe ich doch gleich im Web, da geht das deutlich schneller und einfacher.
Aber: Die geschickte Verbindung aus Web und Retail hat aus meiner Sicht noch viel Potential. Schön, dass sich nicht nur die großen Firmen dem Thema annehmen, sondern auch Start-Ups wie beispielsweise Locafox. Das Berliner Unternehmen stellt eine Produktsuchmaschine für den stationären Einzelhandel. Das heißt: Man sucht sich online Produkte aus und kriegt dann angezeigt, wo man es lokal kaufen kann.
Nicht alles wird im Web gekauft
Ist der stationäre Einzelhandel schon tot? Nein, definitiv nicht. Noch gibt es zahlreiche Produkte, die wir Konsumenten lieber offline kaufen. Zum Beispiel laufen laut dem Handelsverband Deutschland nur wenige Prozentpünktchen der Nahrungsmitteleinkäufe übers Web, da mangelt es noch an Möglichkeiten bezüglich Frische und Lieferung.
Auch Weihnachtsgeschenke werden weiterhin ganz traditionell im Kaufhaus, Fachgeschäft, Supermarkt oder Einkaufszentrum besorgt. Möbel, Gartenzubehör oder Medikamente holt man sich ebenso lieber im klassischen Einzelhandel. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Es herrscht bereits ein massiver Umbruch, wie es diese Statistik zeigt.
Durchschnittliche Noten für die Innenstädte
Der Wandel ist also keine düstere Fiktion mehr, sondern harte Realität. Man braucht sich nur mal in unseren Innenstädten umschauen: Hier geht das Ladensterben seit ein paar Jahren um, weil die Kunden fehlen.
Die bleiben nicht nur weg, weil sie im Netz shoppen, sondern weil die Innenstädte durch ein fehlendes Angebot unattraktiver werden. In einer Befragung mit 33.000 Teilnehmern bekamen unsere Innenstädte eine Schulnote von 3+.
Das Ergebnis zeigt eine perfide Rechnung: Weniger Kunden gleich weniger Läden, weniger Läden gleich noch weniger Kunden.
Ein Teufelskreis.
Deswegen sehen die Prognosen für den stationären Handel schlecht aus: Bis 2020 sollen die Umsätze um zehn Prozent von 448 Milliarden auf 405 Milliarden Euro schrumpfen. Zwischen 24.000 und 58.000 Geschäfte könnte laut dem Institut für Handelsforschung bis dahin geschlossen werden.
Einer der größten Verlierer werden laut den Analysten die Läden für „Fashion & Accessoires“ sein. Laut den Vorhersagen kaufen wir in ein paar Jahren nur noch zwischen 30 und 40 Prozent der Klamotten per Pedes.
Nicht mehr zu Fuß über die Alpen
Bei Wind und Wetter das Haus verlassen, einen Parkplatz suchen, Waren in den Einkaufswagen, auf das Fließband, zurück in den Wagen, ins Auto laden, nörgelige Rentner am Wühltisch und quengelige Kinder an der Kasse ertragen, „Schau mich bitte nicht an“-Verkäufer ansprechen und an allen Ecken die Preise vergleichen: So läuft ein typischer Einkauf ab. Seit Jahrzehnten.
Nicht aber im Web. Online einzukaufen ist bequem, schnell, einfach und meist auch deutlich günstiger. Und die Anbieter geben sich allergrößte Mühe die (potentiellen) Kunden mit innovativen Konzepten an sich zu binden.
Da fragt man sich zunehmend, warum man eigentlich noch offline sein Geld ausgeben soll. Klar, persönliche Beratung, haptische Erlebnisse, Stärkung der lokalen Wirtschaft und dergleichen. Aber ehrlich gesagt: Ist das nicht irgendwie falsche Sozial-Romantik gepaart mit erlernten, aber veralteten Mustern? Wir wollen ja auch nicht mehr zu Fuß über die Alpen wandern, nur weil das unsere Steinzeit-Vorfahren getan haben. Und anstatt auf dem Acker für unsere Nahrung zu arbeiten, sitzen wir doch viel lieber im Büro und stillen unsere Bedürfnisse mit einem Klick.
Flanieren durch Innenstädte stirbt aus
Ja, die Zeiten des verklärten Tante-Emma-Ladens im die Ecke sind schon längst vorbei – und sie werden wohl auch nie wieder zurückkehren. Auch das Flanieren durch Innenstädte und Malls könnte ein aussterbendes Modell sein. Selbst das Betreten irgendeines Ladens wird in Zukunft immer seltener.
Falls die Analysten Recht behalten. Und die Konsumenten ihr Verhalten nicht wieder radikal ändern. Denn wir alle haben es in der Hand, wann und wie wir einkaufen.Wir alle sind der Hebel.
Doch es liegt nicht nur an uns Kunden. Auch der stationäre Handel muss sich mehr bemühen. Es kann und darf nicht sein, dass Verkäufer wenig bis keine Ahnung haben, desinteressiert Löcher in die Luft starren oder einen mit lapidaren Antworten vertrösten.
Der Kunde ist König – dieser Leitspruch ist heutzutage gültiger denn je.
Also, bitte gebt euch wieder mehr Mühe, liebe Einzelhändler vor Ort – dann komme auch ich gerne wieder in eure Läden.
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