Die Twitter-Tochter Periscope hat zwar seinen Konkurrenten Meerkat inzwischen deutlich abgehängt. Aber ist das mobile Live-Streaming auch bei der Masse außerhalb der Filterbubble angekommen? Der Abbruch des „Germany’s next Topmodel“-Finals in der SAP-Arena in Mannheim zeigt sehr deutlich, dass man schnelle News inzwischen nicht nur über Twitter beziehen kann. Und doch ist es auch ein Grund, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren – im doppelten Sinne. // von Tobias Gillen
Als am Donnerstagabend gegen 21:15 Uhr nach einer Werbepause plötzlich „The Blind Side“ mit Sandra Bullock startet und ProSieben mit einem Laufband über „technische Probleme“ berichtet, geht der erste Griff zum Smartphone. Bei einem gewöhnlichen „technischen Problem“ wird schließlich nicht gleich ein ganzer Spielfilm ausgepackt.
Aus Gewohnheit wird zunächst Twitter geöffnet. Zuerst der normale Stream in der Timeline, dann nacheinander die Hashtags #GNTM, #GNTMFinale und #ProSieben über die Suchfunktion. Da dort aber überwiegend unlustige und gezwungene „Bombenstimmung“-Witze rausgekramt werden, versuche ich es über die Bilder- und Video-Suche und erhoffe mir mehr Infos. Fehlanzeige, für einige Minuten.
Neue Stellenangebote
Mitarbeiter*in (m/w/d) für Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und Städtepartnerschaft (m/w/d) meinestadt.de in Sachsenheim |
||
Journalist (m/w/d) als Leiter PR und Social-Media NOMOS Glashütte/SA Roland Schwertner KG in Berlin |
||
Content Creator / Social Media / Marketing (m/w/d) Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH in Delitzsch |
Potenzial von Periscope demonstriert
Irgendwann sickern die Infos eines BILD-Reporters durch, der wohl live vor Ort ist und aus der Halle von der Evakuierung des Publikums twittert. Daniel Cremer schreibt: „Bombendrohung an der Halle. Deshalb geht es nicht weiter.“ Und: „Alle müssen raus und auf den Parkplatz. Hier geht nix mehr! #GNTMFinale“. Um kurz vor 22 Uhr schreibt er dann: „Ich versuche mal Periscope.“
Und aus dem Versuch wird rasend schnell eine ganz passable Spontan-Live-Schalte vom Parkplatz der SAP-Arena. Cremer versucht so gut es geht, das Erlebte einzuordnen. Natürlich geht da auch mal was durcheinander oder daneben, aber insgesamt demonstriert Cremer hier ziemlich gut das Potenzial der Live-Streaming-Apps.
Erste Eindrücke ohne verifizierte Fakten
Das Interesse wächst rasant: Mehrere Hundert Follower bekommt der Reporter binnen weniger Stunden. Zudem schauen bei seinen Periscope-Updates knapp 3.000 Menschen live zu, mehrere Hundert schauen es in der Aufzeichnung wenige Minuten später an.
Aber auch Snapchat ist an diesem Abend eine gute Quelle. Stefanie Giesinger, Siegerin der vergangenen „Germany’s next Topmodel“-Staffel, ist relativ zügig „auf Sendung“ und informiert live von der Evakuierung. Verifizierte Fakten sind da natürlich nicht dabei, auch nicht bei den ersten Periscope-Auftritten des BILD-Reporters (die Polizei bestätigte die Bombendrohung erst weit nach 22:30 Uhr). Aber immerhin liefern die beiden erste Eindrücke, die das immense Interesse der Zuschauer befriedigen.
Periscope und Snapchat springen ein
Von ProSieben ist am Abend hingegen kaum was zu hören. Die Facebook-Seite von „Germany’s next Topmodel“ reagiert erst eine Stunde nach Sendungsabbruch, der ProSieben-Twitteraccount braucht noch etwas länger für den Tweet: „Es tut uns Wir werden heute nicht mehr senden. #GNTMFinale“. Auf dem Bildschirm läuft weiterhin das „Technische Probleme“-Laufband und auf der Website sowie im Videotext passiert ebenfalls erschreckend lange erschreckend wenig.
Wer jetzt einwendet, dass es schließlich in dieser Situtation wichtigeres zutun gebe: D’accord, zumindest vor Ort. Aber nicht für die gesamte Online-Abteilung von ProSieben. Dass der Sender so lange mit Informationen auf sich warten lässt, ist in dem Fall das Glück von Cremer und Giesinger. Und zeigt, dass Periscope und Snapchat längst das Potenzial haben, dort einzuspringen, wo die Wege großer Medienhäuser zu lang sind und Twitter schon fast wieder zu schnelllebig ist.
Twitter ist zu überflutet
Denn beobachten konnte man auch wieder – das ist keine neue Erkenntnis – dass die Hashtags auf Twitter überflutet wurden von so vielen Mitteilungen, dass man kaum noch hinterher kommen konnte. Und wenn, dann war man mehr damit beschäftigt, 50 Prozent Witze und 49 Prozent Anteilnahme von dem einen Prozent wirklich gehaltvollem Inhalt zu sortieren. Es schreiben eben viel mehr Menschen als dass sich Menschen live vor Kameras stellen wie Cremer und Giesinger.
Entsprechend war die Exklusivität des Videos für die beiden ein klarer Vorteil zum textbasierten Twitter. Und Facebook? Die spielen hier gar keine Rolle, darauf ist der Algorithmus trotz einiger Updates in Richtung Schnelligkeit einfach nach wie vor nicht ausgelegt. Die Frage, die sich aber nach wie vor noch stellt, ist: Wo genau stehen mobile Live-Strems denn nun?
3.000 Zuschauer sind ein Statement
Sind 2.800 Zuschauer eines Periscope-Streams nun viel? Ist die Tatsache, dass es nur einen wirklichen Stream aus einer Situation voller junger Menschen und Medienpersönlichkeiten gibt, nun ein Beleg für die übliche Filter-Bubble-Problematik? Und ist Periscope entsprechend nur ein Phänomen der Twitter-Gemeinde und sonst noch gar nicht so populär, wie wir es manchmal empfinden?
Der Reihe nach: Knapp 3.000 Zuschauer sind ein deutliches Signal dafür, dass Periscope durchaus großes Potenzial für schnelle Live-Berichterstattung hat. Die Zahl kommt aber sicher auch daher zustande, weil BILD den Reporter und seinen Stream über die Website ordentlich beworben hat. Trotzdem ist es ein Statement. Ganz im Gegensatz zu den wenigen Eindrücken, die es sonst so gab. Journalist Daniel Fiene fragt sich „bei so vielen jungen Leuten“ ganz richtig: „Dann doch recht wenig Periscope, Meerkat und Snapchat dabei, was?“
Facebook kann geschlossen bleiben
Selbstverständlich hatten die erstmal andere Sorgen, der Einwand ist berechtigt und richtig. Aber auch viele Minuten nach erfolgreichem Abschluss der Evakuierung ist noch nicht mehr bei Periscope los. Das ist gewiss kein Vorwurf an die Betroffenen, im Gegenteil. Aber es zeigt, dass sich die neuen Hype-Netzwerke an ihren Erwartungen messen lassen müssen – und hier ganz klar verlieren.
Die Bombendrohung bei „Germany’s next Topmodel“ zeigt also: Wer bei solchen Ereignissen schnelle Infos will und gut darin ist, viel Text zu sortieren, ist bei Twitter anfangs gut aufgehoben. Wer dann noch etwas Glück hat, findet hierüber Links und Tipps für Periscope-, Meerkat- und Snapchat-Streams. Und Facebook kann gleich geschlossen bleiben.
Soweit zu meinem Eindruck des Status Quo der Livestreaming-Apps am Beispiel des gestrigen Abends. Wie seht ihr das?