Sie erzählen so entspannt von Hyänen und Leoparden. Waren Sie drauf vorbereitet oder hatten Sie auch Angst?
Weder noch. Denn im Grunde genommen gibt es kein böses und kein gutes Tier. Man muss wissen, wie die Tiere durch ihren Instinkt auf gewisse Situationen reagieren und man muss sich dementsprechend verhalten. Es war in jedem Fall ein Fehler von mir, in einer Gegend, wo es Hyänen gibt, in der Hängematte zu schlafen. Dort hätten wir im Auto schlafen sollen. Da kann ich der Hyäne keinen Vorwurf machen. Angst hatten wir nicht, wir wussten, wo wir aufpassen mussten – wie in der Situation, die Sie eben angesprochen haben mit dem Leopard. Man weiß, dass es in der Gegend zumindest Schlangen gibt und deswegen war es wichtig, den Boden vorher abzuleuchten. Das ist eine Notwendigkeit, die nicht aus der Angst kreiert wird, sondern aus der Vorsicht und der Erfahrung, dass dort eben auch Tiere rumlaufen können. Wenn man in der absoluten Wildnis ist, haben die Tiere eben Vorrang.
Ursprünglich war die Reise als zweijähriger Trip durch Afrika geplant, wurde dann länger und irgendwann kam Südamerika dazu. Wie ging es weiter?
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Wir hatten schon im Hinterkopf, Südamerika auch noch zu bereisen. Das war zwar nicht primär geplant, aber ich habe in Argentinien und Uruguay einen Wohnsitz. Ich bin also dort den gebürtigen Argentiniern und Uruguayern juristisch gleichgestellt und spreche auch das südamerikanische Spanisch. Deshalb war es naheliegend, dass wir nochmal dorthin gehen. Daraus ist dann letztendlich ein bisschen mehr geworden.
Ein bisschen.
Aber nicht als kompletter Plan. Wir haben immer ein Steinchen draufgesetzt und ein bisschen mehr gemacht ohne jemals den Plan zu haben, die ganze Welt zu bereisen. Es wurde einfach Stück für Stück mehr.
Wie darf man sich die Entscheidung vorstellen, dass Sie nach 26 Jahren sagen: „So, ich hör auf.“
Das ist eine ganz einfache Entscheidung gewesen: All das, was man mit dem Wagen sinnvollerweise bereisen kann, haben wir bereist. Ich kann natürlich den Wagen mit einem Riesenaufwand mit in die Antarktis nehmen und an irgendeiner Forschungsstation ein Bild mit Otto machen, aber das ist nicht der Sinn der Sache. Ich könnte auch nach Somalia gehen und hoffen, dass da nichts passiert, aber das haben wir eben nicht gemacht, weil es einfach zu gefährlich war. Aber alles andere haben wir bereist – und wenn ich bereist sage, meine ich nicht „mal durchgefahren“, sondern im Rahmen der Möglichkeiten bereist. Wir waren zum Beispiel drei Monate in Indien, ein Jahr in Australien und sieben Mal in Brasilien, um diese Länder in all ihren Facetten kennenzulernen.
Alles bereisen, was man bereisen kann – das möchte ich irgendwann auch mal sagen.
Ja, aber ich habe auch aufgehört, weil meine Frau vor viereinhalb Jahren gestorben ist. Sie hatte damals unseren Sohn und mich gebeten, die Reise in jedem Fall zu Ende zu bringen. Sie sagte kurz vor ihrem Tod noch, dass Sie sich nicht schuldig fühlen möchte, wenn die Tour ihretwegen nicht beendet wird. Und deswegen haben wir das auch gemacht und sind weitergefahren. Aber wie gesagt: Nachdem das alles gemacht war, bestand keine Notwendigkeit, wieder von vorne anzufangen. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen: Nach 26 Jahren in der Welt reicht es jetzt auch. Obwohl ich zugeben muss, dass ich Otto sehr gerne nochmal mit nach Südamerika nehmen würde, wo dort ja gerade der Frühling anfängt.
Sie sind dann nach Hause gekommen und haben die Tür geschlossen. Ist das für Sie Heimat?
Wir haben ja die Tour kurzfristig auch immer mal wieder für ein, zwei Monate unterbrochen. Wir mussten sie sowieso unterbrechen, wenn der Wagen in einem Container unterwegs war – das war er 41 Mal. Dann waren wir ja hier Zuhause in unserem Haus am Chiemsee. Ich kann nur sagen: Wenn Sie die ganzen Negativa der Welt erlebt haben, wie die meisten Menschen auf diesem Globus leben, teilweise sogar vegetieren, dann weiß ich zumindest zu schätzen, was ich in Oberbayern habe. Alleine der Sauerstoff, die Sicherheit, die Ruhe, der Raum, die Freiheit – deswegen bin ich gerne hier. Andererseits wurde mir gerade vor drei Wochen bewusst, dass ich jetzt das letzte Mal in unseren Otto einsteige. Das ging mir schon unter die Haut. Otto war für uns wie ein Kind. Und am nächsten Morgen, als ich das letzte Mal neben Otto saß und meine Müsli-Schüssel in der Hand hatte, war das schon ein bisschen schwierig. Das gebe ich gerne zu.
Vor ein paar Tagen hatte ich durch Rohrprobleme einen ganzen Tag lang kein Wasser aus der Leitung in meiner Wohnung. Da ist mir erstmals richtig aufgefallen, wie selbstverständlich fließendes Wasser für uns ist.
Dann können Sie sich sicher vorstellen, wie wir diese Sachen zu schätzen wissen.
Absolut.
Ich habe ähnliche Situationen in meinem ganzen Berufsleben gehabt, weil ich das meist außerhalb Europas verbracht habe. Die Menschen hier haben sich daran gewöhnt, aus einem vollen Kühlschrank zu leben. Der Kühlschrank läuft immer und den Gedanken daran, dass er mal nicht laufen könnte, bringt hier niemand auf. Wir haben uns daran gewöhnt, wie Sie das eben gesagt haben, dass man den Hahn aufdreht und Wasser rauskommt mit einer Qualität, die teils besser ist als die von abgefüllten Wasserflaschen. Sie drücken hier den Schalter und das Licht geht in jedem Fall an – und es bleibt auch an, wenn sie etwas anderes einstecken. Wenn Sie in anderen Ländern ein Bügeleisen hätten und mit seinen 1.500 Watt einstecken würden, würde das den Stromkreis so sehr belasten, dass das Licht stark zurück geht – oder sich der Kühlschrank, wenn er überhaupt läuft, ausschalten würde.
In Deutschland werden pro Kopf und Tag alleine für die Toilettenspülung 33 Liter verbraucht. Wie viel Wasser verbraucht man auf so einer Reise?
Wenn notwendig haben wir am ganzen Tag mit zwei Personen 10 Liter Wasser gebraucht. Und damit konnten wir sogar noch eine Basisdusche nehmen. Meine Frau mit den langen Haaren natürlich ohne Haarwäsche, aber den Körper kurz abwaschen, das hat immer noch gereicht. Da muss man ein bisschen aufpassen, dass man ökonomisch lebt, aber das geht. Von hier ist man gewohnt, dass man den Hahn aufdreht, sich die Zähne putzt und den Hahn eine Minute später wieder zu dreht. Das ist eben einfach in den meisten Länden der Welt und für den größten Teil der Bevölkerung nicht möglich. Gerade dieses Thema wird immer schwieriger und immer präsenter, weil eines der Hauptprobleme, das dieser Globus hat, das Wasserproblem ist.
Wie finanziert man so eine Reise? Sie hatten ansehnliche Jobs.
Ja, aber da gibt es ganz einfache Antworten drauf. Erstens ist es so, dass die meisten oder die größten Reisekosten und -belastungen durch Hotels und Restaurants entstehen. Und wir haben beides nicht gehabt. Wir haben nie im Hotel geschlafen bis auf die Ausnahmen, wenn Otto mit einem Schiffscontainer unterwegs war und wir vorübergehend ein, zwei Nächte bevor wir fliegen konnten, übernachten mussten. Aber wenn unser Otto da war, haben wir in ihm geschlafen, weil es einfach nicht zu verantworten war, dass Otto vorm Hotel steht und ihm ein oder zwei Räder geklaut werden. Und wir waren auch in keinem Restaurant, wir haben grundsätzlich selbst gekocht. Dadurch konnten wir kostengünstiger reisen, haben also die wesentlichen Kostenblöcke vermieden. Zweitens war ich in meinem beruflichen Leben zwar nicht geizig, aber ich habe etwas umsichtig und mit Augenmaß gelebt und konnte so etwas zurücklegen. Drittens: Ich habe während meiner Zeit in Indonesien, in den 1970er Jahren, angefangen, die Hauptstadt Jakarta kartografisch aufzunehmen und dort den ersten Stadtplan anzufertigen. Dieses Projekt hat natürlich einiges abgeworfen und dazu beigetragen, dass wir diese Tour machen konnten.
Wie sieht es mit Spritkosten aus? Das dürfte der größte Punkt gewesen sein.
Der größte Punkt waren die Verschiffungen. Otto ist 41 Mal in einem Container übergesetzt. Diese Kosten setzt sich aus mehreren Blöcken wie den Verschiffungs- und Vorlaufkosten, den Hafen- und Zollgebühren, Hotelaufenthalten und Flügen zusammen.
Darf man fragen, was diese ganze Reise insgesamt gekostet hat?
Am einfachsten kann ich Ihnen das auf den Monat bezogen sagen: Das waren etwa 1.300 bis 1.400 Euro. Da sind die reinen fahrzeugbezogenen Kosten, also die Kosten für Verschiffungen, Sprit, Ersatzreifen, Genehmigungen und Versicherungen. Diese 1.300 bis 1.400 Euro schlossen alles ein, was irgendwie mit dem Fahrzeug zu tun hatte. Dieser Betrag ist kein Geheimnis – das ist auch der Preis, den andere kalkulieren, die länger mit dem eigenen Wagen unterwegs sind.
Vermissen Sie Otto jetzt, wo er im Museum steht?
Ja, das ist gar keine Frage. Aber ich habe zwei Vorteile: Der eine Vorteil ist, dass ich zumindest momentan eingedeckt bin mit Aufgaben und Arbeiten. Vieles ist 26 Jahre liegen geblieben, also private Dinge, die nun angegangen werden müssen. Und der zweite Vorteil ist, dass es noch kein endgültiger Abschied von Otto ist, denn er steht ja jetzt im Museum. Geplant ist zudem, dass Otto ab März nächsten Jahres für zwei Jahre auf eine Tournee geht. Er wird ausgestellt bei den deutschen Mercedes-Niederlassungen und soll dann in einige Großstädte gehen, etwa nach London, Paris, Rom, Mailand oder Moskau. Man überlegt auch noch, ihn an einigen überseeischen Plätzen zu zeigen.
Zum Abschluss: Welches Auto folgt denn auf Otto?
Zwei, ich habe einen Mercedes 123 von 1978. Mercedes-Fachleute kennen und schätzen ihn. Der Wagen hat den gleichen Motor, den auch Otto hat. Das ist dieser berühmte 5-Zylinder-Dieselmotor ohne Turbo-Aufladung. Dieser Wagen kommt ursprünglich aus Indonesien. Ihn hatte ich sechs Jahre auch noch beruflich in Südamerika. Er ist in der Welt ganz gut rumgekommen und hat über 500.000 Kilometer auf dem Tacho. Das ist eigentlich mein Hauptwagen in den letzten 35 Jahren gewesen. Daneben haben wir seit 20 Jahren, auch auf Wunsch meiner Frau, einen Mercedes 107 erworben. Wenn Otto jetzt weg ist, gibt es dafür auf keinen Fall einen neuen Ersatz.
Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Holtorf.
Mehr Informationen, Bilder und Videos zu „Ottos Reise“ finden Sie hier. Alle im Text verwendeten Bilder wurden von Gunther Holtorf oder seiner Frau aufgenommen und uns freundlicherweise für die Bebilderung zur Verfügung gestellt.