Die Debatte um das Leistungsschutzrecht hat eine neue Stufe erreicht. Inzwischen wollen einige in der VG Media organisierte Verlage doch nicht mehr, dass Google ihre Snippets kürzt. Also, vorübergehend, bis dann doch endlich eine Lösung gefunden wurde. Vielleicht. Dann, bald. BASIC thinking-Herausgeber Michael Frenzel mit einem Kommentar zur Absurdität dieser Debatte.
LSR als Alptraum
Letztens hatte ich einen Alptraum. Auf der Straße werde ich von einem BILD-Verkäufer angesprochen. Mit Gewalt zwingt der Mann mich dazu, eine Zeitung zu nehmen, auf der in fetten Lettern steht: „Geliebten geköpft, gekocht, eingemacht – in 39 Dosen!“ Widerwillig nehmen ich das dünne Blättchen an, weil der Typ immer aufdringlicher wird. Dann sagt er grinsend: „Und nun bekomme ich 11 Prozent Deines Gehaltes.“ Ich sage zu dem Typen: „Eh, Du spinnst wohl.“
Plötzlich umringen mich seine Freunde, alles starke Typen, die einen guten Draht zu mächtigen Leuten haben. Sie kommen immer näher, und beschimpfen mich, „Du willst seine Zeitung nicht? Das ist Erpressung, wenn Du sie nicht nimmst, denn Du bist hier der einzige Kunde weit und breit. Wir holen die Polizei, dann kommst Du in den Knast, und die wird Dich zerreißen.“ Sie haben Schaum vorm Mund, strecken die Hände nach mir aus, kommen mir immer näher; aber bevor sie mich zu fassen kriegen, wache ich schweißgebadet auf.
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Erst denke ich: Zum Glück nur ein Traum. Doch dann merke ich verdutzt: Es ist die Wirklichkeit. Im Traum war mein Ich eine Internet-Suchmaschine, und der Typ will meinem Ich keine Zeitung andrehen, sondern die Website seiner Zeitung. Der Rest aber, der ist wahr.
Wahr ist, dass die deutschen Zeitungsverleger Suchmaschinen dazu zwingen wollen, Texte und Bilder ihrer Zeitungs-Homepages anzuzeigen.
Wahr ist, dass die deutschen Zeitungsverleger Suchmaschinen dazu zwingen wollen, dafür zu zahlen.
Wahr ist also, dass die deutschen Zeitungsverleger einerseits die Zwangsabnahme ihrer Produkte verlangen, und andererseits die Zwangsbezahlung ihrer Produkte. Letzteres würde ich verstehen, wenn die Abnahme freiwillig wäre. Die Kombination jedoch erscheint neu im deutschen Recht. Nicht einmal der gefürchtete „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“, immernoch besser bekannt als „GEZ“, traut sich sowas: Er verlangt zwar eine Haushaltszwangsabgabe, verlangt jedoch nicht, Radio zwangszuhören.
Lügen für das Leistungsschutzrecht
Was die Verleger ihr Recht nennen, könnte man auch als Erpressung bezeichnen. Anders die von den großen deutschen Printmedien beauftragte „VG Media“. Sie behauptet, „Google erpresst Rechteinhaber“ (PDF). Lügen für das Leistungsschutzrecht, nächster Akt.
Der Streit eskalierte erwartungsgemäß, als die Verlegerfront ankündigte, von Suchmaschinen künftig 11 Prozent des Umsatzes zu verlangen, welche diese mit den Suchergebnissen „unmittelbar und mittelbar“ erwirtschaften. Google kürzte die Anzeige von Verlagswebseiten auf ein honorarfreies Mindestmaß. Die Verlagslobby schäumte. Holzmedien auf dem Holzweg.
Ein Aufatmen ging durchs Web, als die VG Medien zunächst zum Rückzug vom Holzweg blies. Die Verlage widerriefen ihr Verlangen nach einer Zwangsabgabe trotzig: „Die ab dem 23. Oktober 2014 von Google umgesetzte deutliche Reduzierung der Textdarstellung und die Auslistung von Bilder-Darstellungen auf allen Google-Suchdiensten setzt die Presseverleger einem erheblichen wirtschaftlichen Druck aus. Sie sehen sich dadurch gezwungen, gegen ihren Willen die VG Media anzuweisen, Google eine „Gratiseinwilligung“ zu erklären.“
Ganz Journallien ist nun wieder von Google gratis gelistet. Ganz Journallien? Nein nicht ganz. Ein aufrechtes Häuflein soll den Kampf nun ganz alleine ausfechten. Während die mächtige BILD.de zu Google zurückkehrte und für ihre fetten Schlagzeilen bis auf Widerruf keine fette Leistungsschutzgebühr verlangt, werden einige Zeitungs-Homepages wie WELT.de von der Verlegergruppe in der Google-Wüste zurück gelassen. „Den Presseverlegern drohen andernfalls Umsatzeinbußen, die auch zu weiteren Insolvenzen führen können.“ (PDF) Warum das so ist?
Die Welt gehört denen, die neu denken
Darum. Mit dem Slogan „DIE WELT gehört denen, die neu denken“ wirbt die Zeitung um Anzeigenkunden. Seit 1953 gehört das Blatt dem Axel Springer Verlag. Dessen Mantra lautet: „Die Axel Springer SE will der führende digitale Verlag werden“.
Neu denken. Führen. Digital. Ausgerechnet die jahrelang chronisch defizitäre „Prestige-Zeitung“, die sich der inzwischen verstorbene Axel Springer stets als Aushängeschild für seriösen wertkonservativen Journalismus („Wir können auch anders“) leistete, soll nun den Kampf für das Leistungsschutzrecht allein fortführen.
DIE WELT, für deren Erhalt bereits eine Stiftung im Gespräch war, welche die Deutsche Bank aus Sorge um den guten Journalismus einrichten wollte?
DIE WELT-Zeitung, deren verkaufte Druckauflage allein 2013 um knapp dreißigtausend Exemplare sank, und deren „ePaper-Abos“ um zwölfhundert Exemplare im gleichen Zeitraum stiegen ?
DIE WELT, deren Digitalabos an die Springer Aktionäre hergeschenkt wurden?
DIE WELT, mit deren Einstellung Vorstandschef Döpfner bereits vor rund zehn Jahren dem Wirtschaftsminister drohte?
DIE WELT, die Google nun gefährdet, weil ihre Schlagzeilen nicht mehr in ihrer ganzen Vollkommenheit gezeigt werden?
Statt einem Bild, das mehr sagt als tausend Worte, zeigt Google heute nur noch ein Bild von Yahoo.com. Das gleiche Bild übrigens. Der gleiche Text. So dreht sich die Welt weiter, an diesem Tag, und am folgenden, und am folgenden.
Teaserbild: Flickr / Robert Scoble (CC BY 2.0)