Jeff Jarvis, amerikanischer Journalist und Journalismus-Professor, spricht im Interview über Google, deutschen Konservatismus und das große Aber beim Investieren in deutsche Startups.
Mr. Jarvis, in Deutschland gibt es viel Kritik an den großen Internetkonzernen aus den USA, vor allem an ihrer Begeisterung für das Sammeln von Daten. Ist das eine berechtigte Reaktion?
Die Frage ist: Haben wir es mit einem echten kulturellen Phänomen zu tun, oder geht es hier um die Abwehrreaktionen alter Institutionen gegen neue Geschäftsmodelle? Ich denke, es ist ein Mix aus beidem. Es gibt da eine Gefahr in Deutschland. Wenn man sich die panische Reaktion auf den Kartendienst Street View anschaut, das Verbot des Service vom Taxidienst Uber, den Angriff der Verlage auf Google und dieses absurde Recht auf Vergessen auf europäischer Ebene – dann würde das auf mich als Investor wirklich sehr beunruhigend wirken.
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Würden Sie selbst denn in Deutschland investieren?
Natürlich gibt es viele Dinge in Deutschland, in die zu investieren sich lohnen würde. Es gibt Talent, es gibt Potenzial für Innovationen, es gibt Ansätze für eine echte Start-up-Szene in Berlin. Aber, und das ist ein großes Aber, ich hätte auch große Bedenken. Wenn ich etwas wie Google in Deutschland erfände, was würden Springer und andere Verlage tun? Die Verlage versuchen die Regierung einzuspannen, um sich selbst in eine bessere Position zu bringen. Beim Leistungsschutzrecht, einem sinnlosen Gesetz, geht es um Abwehr. Das ist einfach zynisch.
Abwehrreaktionen gibt es auch anderswo.
In Deutschland kommt noch diese typische Angst vor dem öffentlichen Scheitern hinzu. Das ist verständlich, wir alle kennen diese Angst. Aber die Frage ist doch, was das für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Wer nichts riskiert, wird nichts erfinden und nichts neues hervorbringen. Deutschland muss diese Angst überwinden. Das betrifft nicht nur den Unternehmergeist, sondern auch den Einsatz von Kapital: Wieviel Risiko sind Investoren bereit zu tragen?
„Nutzt den deutschen Konservatismus“
Ist diese Vorsicht nicht auch Teil des deutschen Erfolgsgeheimnisses? Vielleicht bauen wir deshalb sicherere Autos, vielleicht sind wir in Finanzfragen deswegen solider?
Wenn Ihr diese Eigenschaften habt, dann nutzt sie doch aus! Wer, wenn nicht die Deutschen, könnte die besten Datenschutzprogramme erfinden? Wendet Eure Bedenken ins Positive! Der negative Ansatz ist, Google dafür anzugreifen, dass sie zu viel über uns wissen. Aber ich will ja bei vielen Dingen, dass sie sie über mich wissen. Das zu kritisieren, ist überhaupt nicht konstruktiv. Konstruktiv wäre es zu fragen: Wie können wir einen Mechanismus entwickeln, der es uns erlaubt, unsere Daten zu schützen oder sie sogar nach den eigenen Spielregeln zu vermarkten. Nutzt den deutschen Konservatismus und die Angst und macht daraus ein Geschäftsmodell! Eine Marke.
Was halten Sie denn von Gedankenspielen für ein eigenes europäisches Google?
Das ist nun völlig lächerlich. Microsoft und die EU machen beide den gleichen Fehler, indem sie Google als Suchmaschine angreifen. Aber Google ist heute nicht mehr nur eine Suchmaschine. Es ist ein viel größeres Konzept der Organisation von Wissen. Es gibt kein Unternehmen auf der Welt, das eine so stark personalisierte Dienstleistung wie Google anbietet. Und das lässt sich nicht per Regierungsdekret anordnen – wir wollen den Airbus unter den Suchmaschinen. So läuft das nicht.
Sie haben das Verbot eines Dienstes von Uber in Deutschland bereits scharf kritisiert. Aber es ging doch einfach darum, dass das Angebot gegen ein Gesetz verstieß.
Gesetze, die geschrieben werden, um ganz bestimmte Geschäftsfelder zu schützen, sind notwendigerweise schlechte Gesetze. Und das gilt eben genau für die Gesetze im Taxigewerbe. Technologie kann ja ein Marktumfeld verändern, zum Vorteil des Kunden. Ich kann mit Uber häufiger und preisgünstiger fahren. Das ist hervorragend.
Schutz vor Oligopolen
Aber das Gesetz hat ja auch zum Zweck, einen gewissen Sicherheitsstandard zu bewahren.
Wenn es darum geht, die Sicherheit der Kunden bei der Beförderung zu gewährleisten, dann soll das geschehen. Vielleicht sollte man das Lizensierungsverfahren verändern oder auch die Regeln für die Versicherung der Fahrzeuge. Aber die Antwort kann doch nicht sein, das einfach zu stoppen. Um sichere Fahrten anzubieten, muss niemand ein offizielles Taxiunternehmen sein. Wer das voraussetzt, schützt einfach ein Oligopol.
Ein Teil der Ablehnung gegen US-Internetkonzerne rührt auch aus deren Selbstdarstellung. Sie präsentieren sich, als gehe es darum, die Welt zu verbessern. Dabei ist das eigentliche Ziel doch einfach Geld.
Das nennt man Kapitalismus! Ich finde die Frage sehr interessant, worum es bei dem Aufstand gegen Google und andere Silicon Valley-Unternehmen eigentlich geht. Wieviel davon ist von althergebrachten Industrien gesteuert und hat wenig mit der Stimmung in der deutschen Bevölkerung zu tun? Wieviel von dieser Abwehrhaltung entstammt einem antikapitalistischen Reflex? Und wieviel davon ist purer Antiamerikanismus?
Das Interview führten Martin Kaelble und Nils Kreimeier für „Capital“, das es uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Bild: re:publica 2014 / Flickr (CC-BY 2.0)