Twitter macht sich immer unsympathischer. Nicht nur, dass man Facebook momentan um jeden Preis nacheifert, einen neuen Algorithmus einführt, der die chronologische Timeline in Gefahr bringt oder sich (schon länger) API-technisch von kleineren Programmen und Tools abwendet und verschließt – nein, jetzt hat man auch noch Twitpic mehr oder minder zur Aufgabe gezwungen. Mit dem lässigen Kurznachrichtendienst von vor ein paar Jahren hat das nichts mehr zu tun.
Kopie von Social-Network-Unarten
Am Dienstag habe ich mich ja schon ausführlich mit der Algorithmus-Änderung von Twitter beschäftigt, die dazu führt, dass nicht mehr wir – also die Nutzer – sondern irgendein computergesteuerter Algorithmus entscheidet, was für uns interessant oder wichtig ist. Dadurch werden wir weiterhin entmündigt. Also, mehr als ohnehin schon.
Damit hat sich Twitter keine Freunde gemacht. Das konnte man in den Kommentaren auf den Text und auch auf Twitter selbst ziemlich deutlich spüren und herauslesen. Twitter verliert sich momentan ganz gewaltig – und macht sich damit selbst kaputt. Denn spätestens seit dem Börsengang vor knapp einem Jahr hat sich einiges verändert in dem Netzwerk, dass ich so sehr schätze. Es ist gierig geworden. Es fängt an, bekannte Social-Network-Unarten zu kopieren. Es vergrault die Nutzer der ersten Stunde, die beim Aufstieg kräftig geholfen haben. Die, die Twitter noch anders in Erinnerung haben.
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Twitpic schließt am 25. September
Nämlich als kleines, feines, unkompliziertes und schnelles Netzwerk. Mit einer Timeline und keiner Chronik-Profilansicht. Mit Chronologie und nicht mit Berechnung. Mit schneller und simpler Konversation und nicht mit Gruppenchats (ja, auch die sollen in der Mache sein). Letztlich ist Twitter nun dort, wo Facebook oder Google längst sind: Angekommen in der Wirklichkeit. Geld muss her, Investoren und Anteilseigner müssen zufrieden gestellt und die Machtposition muss gefestigt werden.
Letzteres beweist Twitter aktuell ziemlich deutlich. So schließt am 25. September, also in knapp drei Wochen, Twitpic. Twitpic hat sich seit 2008 zu einem der wichtigsten Drittanbieter-Tools im Twitter-Kosmos entwicklelt. Immer wieder sieht man Links zu Twitpic-Fotos in der Timeline. Letztlich ist es ein Upload-Dienst für Bilder wie es viele andere gibt. Aber kaum einer war für Twitter-Nutzer so wichtig und von ihnen so gut besucht.
„Published for Opposition“
Grund dafür ist, dass das US-Patent- und Markenamt den Antrag auf den Schutz der Marke „Twitpic“ am 24. Juni 2014 öffentlich gemacht hat. In der Phase „published for opposition“ können sich dann noch Gegner melden und ihre Ansprüche anmelden. Das hat Twitter gemacht – direkt bei Twitpic. Die wurden dann vor die Wahl gestellt: Entweder sie verzichten auf die Ansprüche oder Twitter wird ihnen den Zugriff auf die API-Schnittstellen entziehen. So stellt es zumindest Twitpic-Gründer Noah Everett in einem Blogpost dar.
Twitpic könne es nicht mit einem Unternehmen wie Twitter aufnehmen, gibt Everett wenig überraschend zu. Deswegen habe man sich entschlossen, den Dienst bald dicht zu machen. Es soll in den kommenden Tagen eine Export-Backup-Funktion für die Nutzer geben, mit der sie die bereits hochgeladenen Bilder speichern können. Damit geht nun der nächste Dienst, der Twitter einst mit groß gemacht hat.
Die Social-Network-Grenze: Und dann drehen sie ab
Es mag durchaus verständlich sein, dass ein Großunternehmen wie Twitter ein Interesse daran hat, seine Namensrechte zu schützen. Inwieweit das bei „Twitpic“ der Fall ist – keine Ahnung, ich bin kein Jurist. Aber rein subjektiv würde ich mit Everett und seinem Team gehen und zustimmen, wenn sie schreiben: „Wir glauben vollen Herzens daran, dass die Marke eigentlich uns gehört.“
Twitter sieht das offenbar anders – und dürfte damit weiter daran arbeiten, ziemlich viele Nutzer zu verärgern. Bislang war das Netzwerk für mich immer das Paradebeispiel, wenn es darum ging, wie man sich dem Nutzer gegenüber „richtig“ verhält. Oder zumindest „richtiger“ als die anderen. Inzwischen scheint bei Twitter aber eine Grenze überschritten worden zu sein, die wohl jedes soziale Netzwerk irgendwann mal überschreitet – und dann total abdreht.
Schade. Erneut.
Rein imagetechnisch wäre es wirklich besser gewesen, wenn man sich noch ein kleines bisschen von dem lässigen und offenen Stil bewahrt hätte, den man vor Geld, Börse und Durchbruch mal hatte. Twitter hält gegenüber CNBC übrigens dagegen: Man hätte Twitpic erlaubt, den Namen weiter zu nutzen, wenn man auf die Markeneintragung verzichten würde. Klingt zumindest nach einem Kompromis, wenn man es so formuliert. Allerdings erklärt das nicht, warum Twitpic gleich komplett dicht macht. Es bleiben also Fragen offen – viele sogar.
Somit bleibt es ein Trauerspiel. Twitter tut sich mit solchen Schlagzeilen keinen Gefallen. Und entfernt sich zunehmend von dem Social-Network-Ideal, das es für mich lange Zeit war. Schade. Erneut.