Journalist und Blogger Richard Gutjahr wird sein beliebtes Blog in Kürze mit einem neuen Bezahlsystem versehen, das sich in einigen Punkten deutlich von anderen Modellen unterscheidet. Keine straffe Paywall, kein echtes Freemium, kein Abo, keine Vorkasse, sondern vielmehr eine „weiche Bezahlschranke“ wird dann Teile seiner Artikel schmücken. Die Preise für den Einzelabruf sollen sich deutlich unter einem Euro bewegen und mit der Zeit dynamisch entwickeln, je nachdem, wie Richard den Preisverlauf über ein WordPress-Plugin ansetzt.
Realisiert wird die Idee in Kooperation mit dem Münchner Startup LaterPay, das sich, beraten von Gutjahr, für den Micropayment-Dienst verantwortlich zeigt. Fragt sich: Zaubern Gutjahr und LaterPay damit die ultimative Lösung des Paid-Content-Dilemmas aus dem Hut, das seit einiger Zeit alle Online-Publisher quält? Ich finde: Jein.
Micropayment umgedacht
Aber von vorn, denn es gibt eine kleine Vorgeschichte. Rückblick. 2011: In Kairo protestieren die Menschen gegen das herrschende Regime. Richard Gutjahr ist vor Ort, die Kosten seiner selbst initiierten Berichterstattung steigen in unerwartete Sphären und belasten seine private Geldbörse zunehmend. Aber: Einiges wird durch anerkennende Spenden seiner Leser abgefedert, sogar honoriert. Daraus zieht Gutjahr die Schlussfolgerung, dass Leser gerne für guten Content zahlen. Sie wollen sogar, sofern sie den Nutzen des Gekauften erfahren und man es ihnen einfach macht, so seine zentrale These.
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Genau hier findet LaterPay seine Nische, ist doch die Grundidee von Micropayment-Diensten wie flattr im Netz nicht neu. Aber was genau ist anders? Für den Leser in erster Linie, dass er sich nicht mit einer „nervigen Vorabregistrierung und langen Vorab-Bezahlprozeduren“ rumärgern muss. Dies spart Zeit und schafft Spontanität. Deshalb reicht bei der erstmaligen Nutzung von LaterPay der imaginäre, digitale Handschlag zunächst einmal aus: Klickt ein Leser zwei Mal den Payment-Button, bekundet er „ja, ich zahle später“, ähnlich eines Bierdeckels in einer Kneipe.
Die Bezahlung erfolgt erst, wenn ein gewisses Limit – derzeit ist von 5 Euro die Rede – erreicht ist. Bis dahin hat der Leser die volle Kontrolle und Transparenz über die bisher aufgelaufenen Kosten. Als Zahlungsmöglichkeiten gibt LaterPay Bankeinzug, Kreditkarte und PayPal an.
Eingebaute Geld-zurück-Garantie
Besonders schön: Erfüllt ein Text oder aufpreispflichtiges Merkmal nicht die Erwartungen, die Preis und Headline suggerierten, hat der Leser die Möglichkeit, das Geld zurück zu verlangen. Um Missbrauch vorzubeugen, sorge „ein spezieller Algorithmus dafür, dass das System für alle fair bleibt und einzelne User die Inhalte nicht en gros zurückgeben“, so Gutjahr.
Auf Publisher-Seite wandern mindestens 85 Prozent der entrichteten Gebühr in die eigene Geldbörse, da LaterPay maximal 15 Prozent der Transaktionshöhe als Unkosten einbehält. Von einer „variablen Gebühr“ ist auf der Website von LaterPay die Rede, allerdings schweigt sich das Unternehmen darüber aus, nach welchen Maßstäben diese Variation angesetzt wird. Womöglich Betriebsgeheimnis.
Schöner Ansatz, aber (noch) nicht die ultimative Lösung
Ich finde: Die Ideen von Richard Gutjahr und LaterPay sind gut durchdacht, portieren sie doch alltägliche, gesellschaftliche Normalitäten ins digitale Zeitalter und bieten dadurch die große Chance, angenommen zu werden. Und doch bin ich skeptisch, ob dadurch das grundsätzliche Paid-Content-Dilemma von Onlinemedien umschifft werden kann – womöglich ist dies aber auch gar nicht das Ziel der Option, sondern nur ein weiterer Versuch, Menschen für die Wertigkeit digitaler Inhalte zu sensibilisieren.
Dass Leser gerne für gute Inhalte zahlen, ist sicherlich wahr. Doch ist in meinen Augen die individuelle Einschätzung darüber schwammig, ab wann ein Text oder Merkmal auch wirklich „gut genug“ ist, um bare Münze dafür auf den Tisch zu legen. Wenn ein hochwertiger Text trotz seiner qualitativen Wertigkeit von der Masse nicht freiwillig honoriert wird, hat das System seinen Sinn verfehlt, wie ich finde. Schließlich bleibt guter Content hinter verschlossener Tür und zeigt sich nur einem „elitären Kreis“, der das (zwar minimierte, aber dennoch existente) Risiko eingeht, zu klicken – und dafür zu zahlen.
Ebenso ist unklar, ab wann eine kritische Masse an aktiven, zahlungswilligen Benutzern erreicht ist, die LaterPay auch auf Dauer wirtschaftlich tragfähig machen. Bei wenigen Prozentpunkten echtem Gewinnanteil – von „maximal 15 Prozent der Gebühr“ ist die Rede, wovon Kreditkarten- und Lastschriftgebühren noch beglichen werden müssen – bleibt wirklich nur ein marginaler monetärer Anteil bei Abwickler LaterPay hängen. Ob das dauerhaft genug Luft zum Atmen bietet?
Fragt sich: Was sagt die Zielgruppe, die Leser?
All dieser gesunden Skepsis zum Trotz, ziehe ich meinen Hut vor so viel innovativem Unternehmergeist und drücke Richard sowie den Köpfen hinter LaterPay beide Daumen, dass das System gut angenommen wird. Guter Content verdient es, angemessen honoriert zu werden. Und mal ehrlich: Wie kann man sein eigenes Gewissen besser befriedigen, als ohne große Umwege einen hart arbeitenden Journalisten und ein junges Startup zugleich zu unterstützen?
Abschließend die Frage an euch Leser: Was sagt ihr als „Konsumenten“ dazu? Würdet ihr für gut recherchierte Texte zahlen und auf den digitalen Bierdeckel von Richard und LaterPay anschreiben lassen? Wo sind eure Grenzen – ab wann ist ein Inhalt wertig genug, um dafür zu bezahlen?