So. Nach mehreren Mammutsitzungen steht er also nun, der Koalitionsvertrag. Natürlich ist die Niederschrift zur politischen Agenda der nächsten vier Jahre nur eine schöne Absichtserklärung. Und bevor die SPD nicht ihr Mitgliedervotum durchgestanden durchgeführt hat, ist das 185-Seiten-Werk nicht mehr als ein Haufen bedrucktes Papier, der noch vor Weihnachten in die Tonne wandern könnte. Sollte sich die Basis der ältesten deutschen parlamentarisch vertretenen Partei aber dazu entschließen, das Regierungsbündnis mit der vor einigen Wochen noch als pestgleiches Übel klassifizierten Merkel-Truppe einzugehen, wären die nun vorgestellten Punkte aber eben das, was man zu tun gedenkt. Ein Blick lohnt daher unbedingt.
Uns interessiert dabei natürlich vor allem, was in Sachen Internet, Breitband, IT-Sicherheit oder auch Datenschutz zu erwarten ist. Ich habe mich daher mal durch den Vertragsentwurf gewühlt und die wichtigsten Eckdaten herausgesucht. Der nachfolgende Überblick zeigt euch, welche Absichtserklärungen ich zu welchen Themen gefunden habe. Falls euch wichtige Aspekte aufgefallen sind, die hier fehlen, freue ich mich über Ergänzungen in den Kommentaren.
1. Breitbandausbau
Den Anfang macht der Breitbandausbau. Diesen will die künftige Koalition weiter fördern und „die digitale Spaltung zwischen den urbanen Ballungszentren und ländlichen Räumen“ überwinden. Im Rahmen dessen explizit genannt wird unter anderem Vectoring. Das kennt man also. Ansonsten soll es eine Breitbandförderung für Kommunen geben, genannt „kommunikative Daseinsvorsorge“. Angedacht sind darüber hinaus auch ein neues Sonderfinanzierungsprogramm zum Netzausbau sowie ein „Breitband-Bürgerfond„, in den Bürger zu attraktiven Renditen investieren können sollen. Das gleiche Modell hat die noch amtierende Vorgängerregierung ja bereits für die Refinanzierung von Stromtrassen vorgeschlagen – viel passiert ist dabei allerdings noch nicht.
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Außerdem sollen funkbasierte Breitbandangebote wie LTE ausgebaut werden – auch mit frei gewordenen TV-Frequenzen. Als flächendeckende Mindestgeschwindigkeit wird aktuell 2 Mbit/s angepeilt. Bis 2018 soll die „flächendeckende Grundversorgung“ bei minimum 50 Mbit/s liegen. Darüber hinaus wollen die Koalitionäre Netzbetreibern unter Umständen erlauben, Kunden länger an sich zu binden, um die finanziellen „Anreize“ für einen schnelleren Ausbau auf dem Land zu erhöhen. Geprüft werden soll, ob man Vertragslaufzeiten von drei oder vier Jahren gestattet – ein Punkt, der noch für reichlich Diskussionen sorgen dürfte.
2. Offene WLANs und Routerzwang
Zum Thema freies WLAN war von Union und SPD vorab ja bereits die Absicht bekundet worden, rechtliche Barrieren aus dem Weg zu räumen. Dies findet sich nun auch im Koalitionsvertrag wieder. Dort heißt es:
Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar ist. Wir werden die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offenen Netze und deren Anbieter schaffen. Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Accessprovidern).
Ebenfalls gesetzlich festgeschrieben werden soll die freie Geräte-Auswahl beim Netzzugang, sprich: das Reizthema „Routerzwang“ will man endlich angehen und entsprechende Praktiken der Netzbetreiber untersagen. Schön wäre es ja. Ebenfalls zu begrüßen ist die Absicht, dass erforderliche Zugangsdaten vor Kunden nicht mehr verheimlicht werden dürfen.
3. Netzneutralität
Bei einem anderen Reizthema, der Netzneutralität, spricht sich eine mögliche künftige Regierung für den „diskriminierungsfreien Transport aller Datenpakete im Internet“ aus. Netzneutralität soll dazu verbindlich im Telekommunikationsgesetz verankert werden; auch wolle man sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen. In Deutschland soll die Bundesnetzagentur künftig über die Einhaltung der Netzneutralität wachen.
Darüber hinaus soll die Filterung von Datenpaketen via Deep Packet Inspection verboten werden. Zudem spricht man sich prinzipiell für die Weiterentwicklung des „Best-Effort-Internet“ aus, erklärt gleichzeitig aber auch, dass „Netzwerkmanagement dort möglich sein soll, wo es technisch geboten ist, damit bandbreitensensible Daten und Anwendungen ohne Verzögerung übertragen werden können“. Wie das im Einzelnen dann in praktische Politik umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Inhaltlich soll künftig dabei sichergestellt werden, dass „Provider ihre eigenen Dienste und Partnerangebote nicht durch höhere Datenvolumina oder schnellere Übertragungsgeschwindigkeit im Wettbewerb bevorzugen“. Für die Telekom hieße das also beispielsweise, dass der IP-TV-Dienst Entertain nicht einfach vom monatlichen Datenvolumen ausgenommen werden kann. Auch im Mobilfunk sollen Verbraucher besser gestellt werden: So dürfen Provider den Plänen zufolge VoIP-Dienste nicht mehr einfach untersagen, sondern müssen diese wenigstens gegen ein zusätzliches Entgelt ermöglichen.
4. Verbraucherschutz im Internet
Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken am Telefon und im Internet sowie den allgemeinen Abmahnwahnsinn soll nach zwei Jahren daraufhin überprüft werden, ob sich Verbesserungen ergeben haben. Im Fokus dabei soll vor allem „die Wirksamkeit der Streitwertdeckelung bei Abmahnungen gegen Verbraucher auf Grund von urheberrechtlichen Verstößen im Internet“ stehen.
Verbraucherschutz will eine künftige Regierung aus Union und SPD zudem als „gleichberechtigtes“ Ziel von Aufsichtsbehörden wie der Bundesnetzagentur festschreiben. Behörden sollen darüber hinaus bei wiederholtem Verdacht künftig verpflichtet sein, entsprechende Prüfungen vorzunehmen. Die staatliche Förderung von Stiftung Warentest und Verbraucherzentrale Bundesverband will man darüber hinaus erhöhen. Des Weiteren soll eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, dass Verbraucherverbände datenschutzrechtliche Verstöße abmahnen und Unterlassungsklage erheben können. Im E-Commerce-Bereich spricht sich der Koalitionsvertrag unter anderem für eine Rückgabemöglichkeit von Apps aus.
5. Vorratsdatenspeicherung
Mit Blick auf die umstrittene Vorratsdatenspeicherung sieht die Koalition – wenig überraschend – eine Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie vor. Das nach der 2010 ergangenen BVerfG-Entscheidung bis heute auf Eis liegende Gesetz wird also erneut angegangen, um „Zwangsgelder durch den EuGH“ zu vermeiden.
Immerhin will man auf europäischer Ebene auf eine Reduzierung der Speicherfristen der Telekommunikationsverbindungsdaten auf drei Monate hinwirken. Bis dato gelten die üblichen sechs Monate. Ein Zugriff soll auf die Daten soll nur bei schweren Straftaten und nach Richtergenehmigung sowie zur „Abwehr akuter Gefahren von Leib und Leben“ erfolgen.
6. Cyberkriminalität
Das Strafrecht soll stärker an das digitale Zeitalter angepasst werden. Unter anderem wollen Union und SPD den strafrechtlichen Schutz vor Beleidigungen in sozialen Netzwerken und Internetforen verbessern. „Cybermobbing“ und „Cybergrooming“ sollen zudem einfacher gemeldet und angezeigt werden können. Darüber hinaus will man eine zentrale Meldestelle für Phishing-Angriffe und andere Attacken schaffen.
7. IT-Sicherheit, Datenschutz und NSA
Im Bereich der IT-Sicherheit soll es ein spezifisches IT-Sicherheitsgesetz geben, in dem Mindestanforderungen für kritische Infrastrukturen formuliert werden. Auch sollen „erhebliche“ Sicherheitsvorfälle künftig einer Meldepflicht unterliegen. Die Kapazitäten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sollen ausgebaut werden. Gleiches gilt für das Cyber-Abwehrzentrum. Bundesbehörden werden darüber hinaus verpflichtet, 10 Prozent ihrer IT-Budgets für Sicherheitstechnologie zu verwenden.
Angestrebt wird des Weiteren unter anderem eine Zertifizierung für Cloud-Infrastrukturen. Methoden zur Anonymisierung, Pseudonymisierung und Datensparsamkeit sollen zudem „zu verbindlichen“ Regelwerken werden, um das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer System umzusetzen. Internet-Provider sollen verpflichtet werden, Kunden darüber zu informieren, wenn ihnen Hinweise auf Schadprogramme vorliegen. Änderungen sind auch bei Haftungsfragen vorgesehen: Hier ist angedacht, dass IT-Hersteller und –Dienstanbieter für Datenschutz- und Sicherheitsmängel ihrer Produkte künftig juristisch geradestehen.
Die Regierung will außerdem die schnelle Verabschiedung eines einheitlichen europäischen Datenschutzrechts „mit strengen deutschen Standards“ forcieren. Mit Blick auf den NSA-Skandal heißt es, man dränge auf weitere Aufklärung und wolle ein „rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln“ sowie die Spionageabwehr stärken. Europäische Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, ihre Verbindungen zumindest innerhalb der EU zu verschlüsseln sowie Daten nicht an ausländische Geheimdienste weiterleiten dürfen. Bei „Safe-Harbor“- und „Swift“-Abkommen plädiert man lediglich allgemein und unspezifisch für „Nachverhandlungen“. Konkret vorgeschlagen wird ansonsten die Einführung einer Meldepflicht auf EU-Ebene für Unternehmen, die Daten von Nutzern ohne Einwilligung an Behörden in Drittstaaten übermitteln.
8. E-Government
Bei IT-Ausschreibungen durch die öffentliche Hand sollen künftig verbindliche Sicherheitsstandards vorgegeben und – „wenn möglich“ – Open-Source-Lösungen bevorzugt werden. Für den einfacheren Bürger-Zugang zu Dienstleistungen und Behörden soll innerhalb der kommenden vier Jahre nach dem Vorbild der einheitlichen Behördennummer unter www.115.de ein zentrales Online-Portal mit den 100 wichtigsten Verwaltungsangeboten geschaffen werden.
Für den digitalen Dialog mit Behörden ist die Einführung eines „Bürgerkontos“ mit den wichtigsten persönlichen Stammdaten vorgesehen; dieses ist nicht verpflichtend, soll die Verwaltungskommunikation aber vereinfachen und kann zum „digitalen Dokumentenpostfach“ erweitert werden. Zur Identifizierung soll der elektronische Personalausweis dienen. Im Bereich Open Data verspricht man Verbesserungen und will im Gegensatz zum bisherigen Kurs einen Beitritt Deutschlands zur Initiative Open Government Partnership anstreben.
9. Urheberrecht
In Sachen Urheberrecht plant die Koalition einen „effektiveren Schutz von Markeninhabern, Urhebern und anderen Kreativen vor Rechtsverletzungen“ sowie unter anderem eine gesetzliche Verschärfung für Diensteanbieter, „deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut“. Derartige Plattformen sollen sich nicht mehr auf das Haftungsprivileg als Hostprovider zurückziehen können, sprich, sie sind künftig für illegale gespeicherte Inhalte verantwortlich. Eine derartige Regelung wird von Urheberrechtsvertretern wie der GVU seit langem gefordert.
In der Frage einer steuerlichen Begünstigung digitaler Medien von E-Books, E-Paper und anderen digitalen Publikationen will man sich auf EU-Ebene für eine mögliche Absenkung des Mehrwertsteuersatzes an das niedrigere Niveau für Papierbücher (7 Prozent) einsetzen; für Hörbücher soll dieser künftig gelten.