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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Haftung von Website-Betreibern für anonyme Beleidigungen keine Einschränkung der Meinungsfreiheit

geschrieben von Tobias Gillen

Beleidigende oder diffamierende Kommentare von Nutzern und Lesern sind unschön. Und dennoch sind die im Netz heutzutage an der Tagesordnung. Internet-Portale, Nachrichtenseiten und Blogs kämpfen zwar gegen diese Troll-Kultur, ein wirkliches Allheilmittel dagegen ist aber bislang nicht gefunden worden. Einem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zufolge, dürfte es in einigen europäischen Ländern nun neue Anreize geben, anonyme Troll-Kommentare zu unterbinden. Für deutsche Seitenbetreiber sind die Auswirkungen hingegen wohl eher gering.

EGMR

Beleidigung statt Diskussion

Als Blogger hat man es sicherlich schon am eigenen Beispiel erfahren: Man macht in einem Text einen Fehler oder schreibt über ein besonders kontroverses Thema und schon legen sie los, die Trolls und Basher. Statt einer gepflegten Diskussion hagelt es Beleidigungen, Beschimpfungen oder unsachliche Kritik. So ging es auch dem Betreiber von „Delfi“ – mit bis zu 330 Nachrichten täglich eines der größten estnischen Nachrichtenportale. Einige von dessen Lesern reagierte 2006 mit teils harschen Beschimpfungen auf einen neutral gehaltenen Artikel über eine Fährgesellschaft. Sechs Wochen später forderte das Fährunternehmen die Delfi-Gruppe auf, insgesamt 20 Kommentare zu entfernen.

Die Portalbetreiber kamen dem umgehend nach und löschten die Beleidigungen von ihrer Plattform. Doch nun fingen die Probleme erst an. Denn die Fährgesellschaft beanspruchte ebenfalls einen Schadensersatz in Höhe von umgerechnet 32.000 Euro, was die Delfi-Gruppe natürlich ablehnte. Es folgte ein erster Prozess. Nach einem anschließenden Verhandlungsmarathon durch verschiedene Instanzen und wechselnden Urteilen entschied der oberste estnische Gerichtshof schließlich, dass die Delfi-Betreiber für die Äußerungen auf ihrer Plattform verantwortlich gemacht werden können. So hätten sie etwa die Pflicht gehabt, durch ein Kontrollsystem zu verhindern, dass derartige Kommentare überhaupt veröffentlicht werden.

Betreiber-Haftung durchaus zulässig

Der Portalbetreiber zog daraufhin gegen die Republik Estland vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an und berief sich auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit nach Artikel 10 der EU-Menschenrechtskonvention. Das Unternehmen hob dabei unter anderem die eigene passive Rolle als „Hoster“ der Kommentare hervor und führte an, es sei bei über 10.000 Kommentaren täglich praktisch unmöglich, jeden einzelnen zu prüfen. Die estnische Regierung verwies derweil darauf, dass regelmäßig Kommentare geändert oder gesperrt würde – Delfi also durchaus eine aktive Rolle einnehme. Zudem profitiere man kommerziell durch die höheren Zugriffszahlen der Nutzer, die kommentieren und lade diese ein, ihre Meinung zu sagen.

Der EGMR schloss sich der Regierung an und wies die Klage ab. Der Gerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass die Delfi-Betreiber als professionelles Nachrichtenportal mit kommerzieller Ausrichtung unzureichend dafür gesorgt hätten, dass Dritte nicht in ihren Rechten angegriffen werden. Auch gebe es mangels einer verpflichtenden Registrierung keine Möglichkeit, Kommentare eindeutig Nutzern zuzuordnen, was ebenfalls ein Versäumnis des Betreibers sein. Die auferlegte Schadensersatzsumme sei darüber hinaus moderat ausgefallen. Insgesamt liege damit keine unzulässige Beschneidung der Meinungsfreiheit vor. Das letzte Wort ist allerdings möglicherweise noch nicht gesprochen: So kann gegen das Urteil Berufung eingelegt werden.

Übertragung auf Deutschland eher schwierig

Eine Übertragung auf hiesige Verhältnisse dürfte angesichts des Sachverhaltes derweil nur schwer möglich sein. In Deutschland hat der BGH 2011 in einem ähnlichen Fall auf die Störerhaftung verwiesen, d. h. ein Provider ist erst dann verantwortlich, wenn er Kenntnis von einer Rechtsverletzung erhalten hat und muss nicht selbst vorab prüfen. Darüber hinaus entschied das Landgericht München I erst Ende Juli dieses Jahres, es bestehe kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch auf die Identität eines anonymen Nutzers, der eine Rechtsverletzung begangen hat.

Bild: EGMR

Über den Autor

Tobias Gillen

Tobias Gillen ist Geschäftsführer der BASIC thinking GmbH und damit verantwortlich für BASIC thinking und BASIC thinking International. Seit 2017 leitet er zudem die Medienmarke FINANZENTDECKER.de. Erreichen kann man ihn immer per Social Media.

3 Kommentare

  • Es ist so schlimm mit der Abmahn- und Prozesswut für solche Geschichten. Es wundert mich ja geradezu, dass Deutschland hier mit der Regelung, dass ein Provider erst dann verantwortlich ist, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erhalten hat, im europäischen Vergleich innovativ sein soll. Ich hoffe die Delfi-Betreiber gehen nochmals in Berufung und fechten dieses lächerliche Urteil bis auf den letzten Prozess aus.

  • In meiner Stammkneipe ist vor kurzem jemand über die Telecom – Gesellschaft XY hergezogen und hat wohl rufschädigende Äusserungen gemacht (bin aber kein Jurist!). Der Wirt an der Theke hat dies wohl gehört, ist aber nicht eingeschritten und hat den Kommentar nicht „gelöscht“. Muss er nun auch eine Schadenersatzklage fürchten?

    Natürlich nicht! aber das Beispiel zeigt, wie unsinnig meiner Meinung nach diese Regelung ist. Obwohl, …. wenn ich da an gewissen Portale denke, die einzig und alleine der Verbreitung von fremdenfeindliche und antiislamische Gedankengut dient, …. ein echt schwieriges Thema, das wohl nicht mit einem Gesetzesartikel geregelt werden kann.

  • Das Vorspielen von Menschenrechten als Erfolgskonzept am Beispiel von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte?

    Leider wird all zu oft in deutschen Schulen und Universitäten von einer Forderung des Grundgesetzes schon auf deren Realisierung geschlossen. Die Realität wird nicht auf den Prüfstand gehoben, im Gegenteil: Wer in Deutschland nach der Verfassungswirklichkeit gefragt wird, pflegt oftmals nur das Grundgesetz aufzuschlagen um dann zu behaupten, dass das Wirklichkeit ist, was nach der Zielvorstellung des Grundgesetzes Wirklichkeit sein soll, allein weil es dort so geschrieben steht. Das ist irreführend…. Die deutsche Gewaltenteilung steht nur auf dem Papier. (weiteres unter http://gewaltenteilung.de/idee.htm = Homepage eines ehemaligen Richters).

    Das Bundesverfassungsgericht verspricht: Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtssuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (vgl. BVerfGE 49, 148 ; 87, 48 )- vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtssicherheit . Das ist irreführend, denn das Verfassungsgericht genügt diesen rechtsstaatlichen Erfordernis nicht. Es hat nämlich eine Fülle von (unbekannten) Voraussetzungen durch Richterrecht eingeführt, die zur Abweisung der Beschwerde führen. Ist der Kläger nicht anwaltlich vertreten, ist die Erfolgsquote im Bereich von 0,2 bis 0,3 % (vgl. http://www.amazon.de/Das-Recht-Verfassungsbeschwerde-R%C3%BCdiger-Zuck/dp/3406467237 ). Auch hat sich das Bundesverfassungsgericht eindeutig zu den Bürgerrechten geäußert “Sie als Bürgerinnen und Bürger haben kein Recht auf Recht und auch erst recht kein Grundrecht bzw. grundrechtsgleiches Recht auf Demokratie aus dem Grundgesetz”. Das wurde bei der Anhörung zur Klageeröffnung gegen den ESM vom Verfassungsrichter und den anwesenden Regierungsvertreter ausgesprochen und auch so vertreten (vgl. http://www.demokratisch-links.de/die-linke-probleme-mit-demokratie-und-rechtsstaat ).

    Die angeblich funktionierende Gesetzgebungs- und Gerichtspraxis ist die schlimmste Lebenslüge, denn hier ist die Berichterstattung in allen Medien nicht nur sehr weit von den wahren Verhältnissen entfernt, sondern sogar irreführend……Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen (nebst Justizministerien, Petitionsausschüssen etc.) fehlt wegen gewollter Verdrehungsabsicht der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit. Hauptverantwortlich für das perfide Rechtschaos mit Methode sind die Parlamentsabgeordneten, das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte… (von http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html ).

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges, wobei eine Individualbeschwerde alle Beschwerden und Rechtswege erschöpfen muss. Die Menschenrechtsopfer sind dann bis zum Europäischen Gerichtshof im Durchschnitt nach 15 Jahren finanziell, gesundheitlich und sozial abgebrannt mit über 100 Nebenverfahren. Und wenn die Menschenrechtsverletzung in wenigen Fällen festgestellt wird, wird nicht entschädigt und rehabilitiert, sondern an das kranke System zurück verwiesen, in welchem der Horrortrip weitergeht. Der Erfolg ist gleich null, im Sinne der Regierungen, Sinn und Zweck des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist, den Menschen eine Menschenrechtskommission vorzuspielen. Eine Illusion von einer heilen Welt der Menschenrechte vorzuspielen. (vgl. http://derhonigmannsagt.wordpress.com/tag/europaischer-gerichtshof-fur-menschenrechte/ ).

    Der psychologische Abwehrmechanismus insbesondere der Justiz funktioniert perfekt (siehe dazu Schneider AnwBl. 2004.333), alles läuft darauf hinaus, die Unantastbarkeit richterlichen Verhaltens zu stärken und den Staat von dem Einstehen für ihm zuzurechnendes Unrecht freizustellen. Die einzigen Juristen, die sanktionslos die Gesetze verletzen dürfen, sind die Richter! Wenn aber die Rechtsunterworfenen richterliche Fehlurteile und richterliche Pflichtverletzungen ersatzlos tragen müssen, dann sind die Kriterien eines Rechtsstaates nicht mehr erfüllt. Und so bleibt am Ende die Erkenntnis: Einen Rechtsstaat, wie er den Verfassern des Grundgesetzes vorgeschwebt hat, den haben wir nicht, und wir entfernen uns ständig weiter von diesem Ideal. s. http://www.hoerbuchkids.de/hu/mr/homepage/justiz/info.php?id=134 .

    Politiker von Parteien, die nicht in der Regierung sitzen Macht haben, geben gelegentlich sinngemäß zu, dass Grundrechte nur Show sind ( vgl. http://www.youtube.com/watch?v=dgsNB8JKDd8 ) und die Antworten der Bundesregierung zu Grundrechtsfragen von von einer selbstgefälligen Grundhaltung getragen sind, die keine Kritik zulassen, siehe z.B. und http://www.gruene-bundestag.de/cms/archiv/dok/294/294128.achtung_der_grundrechte.html .
    Irreführende Werbung ist übrigens eine kriminelle Handlung und das Lügen widerspricht auch dem 8. Gebot Gottes.