Wäre Steve Ballmer nicht gerade Microsoft-Chef, in seinem künftigen Arbeitszeugnis würde vielleicht die Phrase der „Trennung in gegenseitigem Einverständnis“ auftauchen. Übersetzt heißt das meist nichts anderes als: Rausschmiss mit etwas Zucker oben drauf. Der Zucker besteht dabei einzig darin, dem Geschassten wenigstens die Möglichkeit zu geben, den eigentlich erzwungenen Abgang noch irgendwie als eigene Entscheidung verkaufen zu können. Letzteres ist womöglich auch bei Steve Ballmer der Fall. Offiziell ist die überraschende Rücktrittserklärung aber natürlich einzig das Ergebnis eines mehrmonatigen inneren Denkprozesses, wie wir am Freitag erfahren haben.
Spekulationen und Zweifel
Von verschiedenen Seiten wird diese Darstellung jedoch längst angezweifelt. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass ein CEO irgendwann freiwillig das Feld räumt – sei es aus gesundheitlichen Gründen wie Steve Jobs oder Amtsmüdigkeit wie Rene Obermann. Bei Steve Ballmer kam der Schritt jedoch durchaus überraschend, wirkte der Microsoft-Chef in den letzten Monaten weder wie jemand, der seines Tuns überdrüssig wäre, noch ist bis heute etwas über eine Krankheit bekannt geworden. Ballmer selbst begründete den Schritt in einer E-Mail an die Mitarbeiter damit, sein ursprünglich anvisierter Rückzugstermin läge „in der Mitte“ der aktuellen Transformationsphase des Software-Konzerns zu einem Anbieter von Geräten und Dienstleistungen. Er wolle aber vermeiden, dass der CEO genau zu diesem Zeitpunkt wechsele.
Früheren Aussagen zufolge hatte Ballmer eigentlich das Jahr 2018 für seinen Abgang im Sinn, war also gewillt, noch rund fünf weitere Jahre an der Microsoft-Spitze zu bleiben. Im schnelllebigen Tech-Business sind das Lichtjahre Abstände, in denen Helden zu Zwergen werden können und Zwerge zu Riesen. Man denke bitte kurz nur einmal daran, dass Apple sein erstes iPhone vor gerade einmal sechs Jahren vorstellte – und was seitdem alles passiert ist. Jedenfalls kann Ballmer heute nicht wissen, wo Microsoft in fünf Jahren stehen wird. Davon abgesehen dachte ich, das Unternehmen stecke bereits mitten im größten Umbruch seiner Geschichte?!
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Warum jetzt? Warum ohne Nachfolger?
Welchen Vorteil soll also ein Rückzug in den nächsten zwölf Monaten genau haben? Und warum wird dieser angekündigt, bevor ein offizieller Nachfolger gefunden ist? Schließlich schwächt sich der noch amtierende CEO so selbst und damit letztendlich auch das Unternehmen. Hätte Ballmer also nicht warten können, bis der künftige Microsoft-Chef gefunden ist – Gespräche mit potenziellen Kandidaten hat es schließlich seit längerem gegeben. Die Umstände lassen Zweifel aufkommen, dass Ballmer tatsächlich aus freien Stücken geht.
Für einige Analysten ist die Sache klar: Der Stuhl des Microsoft-Chefs stand bereits seit längerem auf wackeligen Füßen, nun habe der Verwaltungsrat aber wohl endgültig den Daumen gesenkt. Als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht haben könnte, wird die 900-Millionen-Dollar-Abschreibung zum Ende des zweiten Quartals genannt. Andere Beobachter glauben derweil an die offizielle Version, dass Ballmer bereits seit längerem eingesehen habe, er sei nicht der Richtige für die bevorstehenden Aufgaben.
Kein Putsch, aber Liebesentzug?
Angebliche Stimmen aus dem Umfeld des 57-Jährigen haben nun allerdings gegenüber „AllThingsD“ behauptet, der Rücktritt sei weder geplant gewesen noch so einvernehmlich erfolgt, wie öffentlich dargestellt. (Wir erinnern uns: die Sache mit dem Arbeitszeugnis.) Ballmer habe demnach entgegen seiner Aussagen nicht vorgehabt, so schnell abzutreten – zumal die im Juli als „One Microsoft“ verkündete Neuordnung des Konzerns ja unter seiner Regie mit viel Elan begonnen wurde.
Einen wirklichen Putsch vonseiten des mächtigen Verwaltungsrates habe es aber ebenfalls nicht gegeben, jedoch sei angesichts zu vieler Dauerbaustellen und ungewisser Zukunftsaussichten Ballmers Rückhalt immer zügiger geschwunden. Nicht zuletzt bei Microsofts Übervater Bill Gates, der ebenfalls in dem neunköpfigen Gremium sitzt und hinter den Kulissen immer noch viele Fäden in der Hand hält. Eine nicht zu unterschätzende Rolle hat zudem wohl der Druck des Großaktionärs ValueAct gespielt, der immer vehementer darauf gedrängt hat, den CEO abzulösen und andernfalls mit einer Kampfkandidatur für einen Verwaltungsratsposten drohte.
Unfähigkeit, Entwicklungen vorauszusehen
Bittere Ironie: Ballmer glaubte offenbar bis zuletzt, sein aktueller Kurs werde vom Verwaltungsrat insgesamt mit Wohlwollen betrachtet. Die Einsicht, dass dem nicht so ist, muss wie ein Schock gewirkt haben – und hat wohl den Ausschlag für die plötzliche Entscheidung zum Rücktritt gegeben. Alles in allem sieht es damit danach aus, als sei Ballmer auch in eigener Sache an seinem vermutlich größten Makel gescheitert: der offensichtlichen Unfähigkeit, Entwicklungen mit ihren Auswirkungen richtig einschätzen und bewerten zu können. (Wir erinnern uns noch einmal: die Sache mit dem 500-Dollar-Telefon.)
Genau diese Fähigkeit braucht aber ein Unternehmen, das in vielen Wachstumsfeldern nicht mehr aus einer bequemen Führungsposition heraus agieren kann. Mehr als vieles andere.
Bild: Ballmer / Shutterstock