Ein dicker Pluspunkt von Online-Bestellungen ist das gesetzlich verbriefte 14-tägige Widerrufsrecht beim Erwerb einer Ware. Zwar tauschen längst auch viele Vor-Ort-Händler Fehlkäufe anstandslos um, einen Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufs gibt es aber nur bei Fernabsatzverträgen. Beträgt der Warenwert zudem mehr als 40 Euro, muss der Internetverkäufer aktuell auch die Versandkosten tragen. Was im Einzelfall sprichwörtlich ein Fall für die Portokasse ist, kann aus einer Makroperspektive über schwarze oder rote Zahlen am Quartalsende entscheiden. Beispiel Zalando: Das Schuh- und Modehaus ächzt seit jeher unter gigantischen Rücklaufquoten – jedes zweite bestellte Produkt kommt im Schnitt wieder zurück. Die wohl überwiegend weibliche Kundschaft schätzt es eben, gleich mehrere potenzielle Lieblingsschuhe bequem nach Hause ordern zu können, aus denen dann ein oder zwei Paare ausgewählt werden. Der Rest geht halt retour.
Allerdings ist es ja nicht so, dass die Käufer allein von der großzügigen Widerrufsregelung profitieren. Für die Unternehmen ist der problemlose Umtausch schließlich auch ein gewichtiges Kauf- und Werbeargument – ich möchte sogar behaupten, dass der oft bejubelte Boom im Online-Handel in weiten Teilen der unkomplizierten und risikolosen Rückgabe bestellter Ware zu verdanken ist. Nun mag es sicher auch auf Kundenseite das ein oder andere schwarze Schaf geben, das etwa einen 700-Euro-Anzug immer nur kurz vor der nächsten Hochzeit im Freundeskreis bestellt, dort intensiv „anprobiert“ und anschließend wieder zurückschickt. Und natürlich läuft ein solches Verhalten dem eigentlichen Gedanken des Widerrufsrechts zuwider, sodass sich ein Kunde wohl auch nicht wundern muss, wenn der Händler ihm irgendwann nichts mehr verkaufen will. Also selbst schuld?
Amazon zieht überraschend die rote Karte
In dem skizzierten Extremfall sicherlich, die Mehrheit der Käufer dürfte aber schon aus Bequemlichkeits- und Zeitgründen wenig für derartige Scharaden übrig haben. Und dennoch kann es offenbar jedem von uns passieren, dass der Händler plötzlich die rote Karte zieht. Auch bei Amazon, das seinen Aufstieg und seine Popularität nicht zuletzt einem lange einzigartigen Service verdankt. Umso brüsker wirkt das rüde Vorgehen des Branchenprimus‘, das gestern Abend bei Stadt Bremerhaven zur Sprache kam – und welches mich ehrlich überrascht hat. Caschy zitiert dort aus einer E-Mail des Konzerns an einen Kunden, in der diesem lapidar mitgeteilt wurde, er habe zu viele Artikel zurückgeschickt und werde daher gesperrt. Aus die Maus.
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Eine Vorwarnung soll es nicht gegeben haben. Und dies scheint kein Einzelfall zu sein – in den dort vorhandenen Kommentaren sind weitere Berichte gleicher Art zu lesen. Am bittersten ist ein solcher Rauswurf dabei ausgerechnet für die besonders treuen Kunden, die etwa nicht nur bevorzugt bei Amazon eingekauft haben, sondern beispielsweise auch ihre MP3s dort lagern oder – durchaus brisant – einen Kindle-Reader oder ein Kindle-Tablet besitzen. Denn diese Geräte werden damit quasi wertlos – das Erwerben neuer E-Books oder von Apps über den Amazon-Store ist ja ohne Kundenkonto nicht mehr möglich. Wer aus dem eng gestrickten Ökosystem auf diese Weise verstoßen wird, dürfte sich schlagartig hilflos fühlen, macht es doch die selbstgewählte Abhängigkeit von einem Anbieter schmerzhaft bewusst.
Details Mangelware
Weitere Details zum Amazon-Kehraus sind leider Mangelware. Unklar ist etwa, seit wann Amazon diese Praxis an den Tag legt, wie viele Kunden betroffen sind und was als kritisches Limit für eine Kontensperrung angesehen wird. Wir haben natürlich versucht, Antworten auf diese Fragen zu bekommen – Amazon reagierte auf unsere Anfrage allerdings leider nur mit einer auch an andere Medien verschickten Standardantwort. Demnach sei das Verhalten der betroffenen Käufer nicht „verbrauchergemäß“ gewesen. Sprecherin Christine Höger verweist zudem darauf, dass sich Amazon an Personen richte, die in „haushaltsüblichen Mengen“ bestellen. Dies werde sowohl in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen als auch auf den Amazon-Hilfeseiten kommuniziert. „Maßnahmen wie eine Kontoschließung nehmen wir nur in Ausnahmefällen nach eingehender und umfassender Prüfung vor, wenn eindeutig feststeht, dass bei dem betroffenen Konto kein Einkaufs- und Retourenverhalten eines Verbrauchers vorliegt“, so Höger weiter. Soll wohl heißen: Die Betroffenen haben sich regelmäßig ganze Schiffscontainer liefern lassen und dann festgestellt, dass ihr Keller doch nicht zur Lagerung ausreicht.
Also wirklich alles nur gewerblich agierende Hardcore-Retourer, die den Bogen überspannt haben? Erste Stimmen zeichnen ein anderes Bild. Aktuell ist die Lage aber noch unübersichtlich. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht das Vorgehen Amazons jedenfalls nicht unkritisch. Auf unsere Anfrage erklärt Jutta Gurkmann, Expertin für Wirtschaftsrecht beim vzbv, Händler seien zwar grundsätzlich frei darin, Kunden abzulehnen und Kundenbeziehungen zu beenden, dies dürfe aber nicht dazu führen, dass das Widerrufsrecht der Kunden ausgehebelt werde. Die Verbraucher müssten bedenkenlos Waren entsprechend der gesetzlichen Regelungen zurücksenden können. „Problematisch ist die Beendung der Kundenbeziehung, wenn Verbraucher durch eine Kontosperrung nicht mehr an ihre gekaufte Musik oder Bücher kommen. Der Zugriff auf die Daten muss gewährleistet sein“, betont Gurkmann. Laut den vorliegenen Informationen ist das zwar gegeben, nichtsdestotrotz wird ein an Amazon gebundener Kindle-Reader ab dem Tag der Sperrung praktisch wertlos.
„Nicht im Sinne des Gesetzgebers“
Der eigentliche Knackpunkt bleibt aber wohl die Frage: Können Amazon-Kunden Waren „bedenkenlos“ zurückschicken, wenn sie befürchten müssen, irgendwann – selbst nach vielen Jahren – plötzlich gesperrt zu werden? Der auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Sebastian Dosch verweist ebenfalls darauf, dass dies nicht im Sinne des Gesetzgebers sei. Auch handle es sich beim Vorgehen Amazons möglicherweise um einen Verstoß aus wettbewerbsrechtlicher Sicht. So könne hier eine Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit des Kunden nach § 4 Nr. 1 UWG vorliegen. Eine Klärung ist daher allerdings ausschließlich Verbraucherverbänden oder Amazon-Konkurrenten vorbehalten. Sollte sich herausstellen, dass die Sperrung eben doch über spezifische Einzelfälle hinausgeht, dürften die Chancen nicht unbedingt schlecht stehen, dass sich Verbraucherschützer des Themas annehmen.
Amazon sollte allerdings nicht zuletzt aus eigenem Interesse schnellstens für Klarheit sorgen und eindeutige Angaben zu den Hintergründen der Sperrungen machen. Bisher wirkt das Ganze wohl nicht nur auf mich wie ein Damoklesschwert, das jederzeit überall fallen kann. Betroffenen rät Dosch, mit Amazon in Kontakt zu treten und zu versuchen, die Sperrung rückgängig machen zu lassen. Rechtssicherheit kann aber wohl nur ein höchstinstanzliches Urteil bringen. In ein paar Jahren wissen wir mehr – wenn sich denn ein Kläger findet.
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